"Ostern bedeutet für mich, dass Gott sich auf die Seite des Lebens schlägt", sagt Tina Willms. Die ehemalige Pastorin der Martin-Luther-Kirchengemeinde in Hameln weiß wovon sie spricht. Als Pastorin hatte sie jahrelang im Gottesdienst auf der Kanzel die Auferstehungshoffnung vor ihrer Gemeinde verkündet, die am Osterfest alle Christen jedes Jahr rund um den Globus vereint. Das war vor ihrem Burnout im Mai 2005. Sie arbeitete als Gemeindepfarrerin, Erfahrungen als Seelsorgerin im Krankenhaus hatte sie schon. Die Pfarrstelle teilte sich die gebürtige Ostfriesin mit Ihrem Ehemann, eine weitere Kollegin war mit im Team. Damals konzentrierte sich Willms auf die Seelsorge und Homiletik, die Lehre von der Predigt. Sie war für die Gottesdienste und Trauerfeiern zuständig.
Tina Willms gehört zu der Pfarrergeneration, die schon im Studium einen Brief erhielt, in dem stand, dass es zu viele Absolventen gäbe und dass sie sich vielleicht überlegen solle, beruflich etwas anderes zu machen. Das hielt sie nicht ab. Aber sie merkte bald: als Pfarrerin ist man immer im Dienst. "Bei drei anstehenden Beerdigungen in der Woche kann ich ja nicht sagen: Das passt mir jetzt gar nicht, die eine Trauerfeier halte ich besser in zwei Wochen. Immer hatte ich eine Liste im Kopf, was noch alles zu machen ist." 2003 gewann Tina Willms den ökumenischen Predigtpreis für die beste Morgenandacht im Radio. Ihr gelang vieles. Doch mit der Arbeitsdichte wuchsen ihre Sorgen. Die Mutter eines Sohnes hatte zwei Fehlgeburten erlitten. Noch schwerer wurde es, als die Angst hinzukam, nicht mehr alles zu schaffen. Auf einer Sitzung brach die Pastorin plötzlich zusammen. "Ich hatte das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt. Ich habe Todesängste gehabt." In der Notaufnahme des Krankenhauses sagte man ihr lediglich, sie habe hyperventiliert. Sollte das wieder passieren, solle sie einfach in eine Tüte atmen. Ihre Hausärztin habe ein Überlastungssyndrom festgestellt und sie erst einmal krankgeschrieben. "Aus dieser Krankschreibung bin ich nie wieder rausgekommen", erzählt Willms. Lange Zeit vertrug sie keinerlei Stress. "Ich war in einem Ausnahmezustand", erzählt sie rückblickend.
Gott ist in den Schwachen mächtig
"Stets habe ich den anderen gepredigt, dass bei Gott nicht die Leistung zählt und habe selbst bis an die Grenzen der Erschöpfung und manchmal darüber hinaus geschafft", erzählt Willms. Was für viele selbstverständlich ist, musste sie nach ihrem Burnout langsam wieder lernen: sich entspannen können. Dafür saß sie viel in der Sonne und hat sich vorgestellt, dass diese Sonne wie Gottes Liebe ist. Nach und nach ließ sie das schon oft Gepredigte auch für sich selbst gelten: nicht die Leistung zählt vor Gott, "Gott wertschätzt mich trotz allem." Die Theologin sagt: "Als ich das existentiell durchbuchstabieren musste, weil ich nichts mehr leisten konnte, wurde ich demütiger und bescheidener." Tina Willms war durch eine evangelikale Jugendarbeit geprägt. In vielen evangelikalen Kreisen sei Gott der Allmächtige, der einen Plan hat. "Heute glaube ich, dass Gott besonders nah bei den Menschen ist, die leiden. Er verhängt nicht das Leid über uns, sondern ist mit uns Menschen solidarisch und schenkt uns Kraft." Das war für sie ein zentraler Punkt im Wandel ihres eigenen Glaubens. Wer glaube, dass Gott in Jesus Christus auf der Erde war, der erkenne, dass er nicht zuerst der Allmächtige, sondern vielmehr der Ohnmächtige und der mit uns Menschen solidarische Gott ist. Durch ihre Erkrankung hat sich dieser Blick auf Ostern für sie verschärft: "Ich war nicht mehr in der Rolle der starken Pastorin, sondern ganz unten und fühlte mich trotzdem noch gehalten und geliebt."
Sie schaffte es, durch die Burnout-Erkrankung bewusst ohne Psychopharmaka zu gehen. "Das war für mich gut. Mir war, als hätte ich in mir ein kleines Navigationsgerät, welches mir zeigte, was ich wann wieder kann." Tina Willms ist ein sensibler Mensch. Das zeigte sich auch in ihrer einfühlsamen Arbeit, vor allem bei Trauerreden. Diese Empfindsamkeit ist für sie sehr wichtig, und sie lässt sie sich nicht nehmen. In den Worten des Psalm 36, 6-10 liegt für sie eine besondere Kraft: "Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, ... Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht." Zuversichtlich stimmt sie auch der Bibelvers aus 2. Korinther 12,9: "Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig."
Von großer Verzagtheit bis hin zum Mut
"Ich glaube, dass Gott neues Leben erschaffen oder einen Wendepunkt zum Guten bringen kann, sogar im Tod. So verstehe ich Ostern." Gott zeige sich solidarisch mit den Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens sind, ist Willms überzeugt. "Ich finde, man kann das auch im alltäglichen Leben spüren und sich selbst dafür einsetzen, dass sich solche Wendepunkte zum Guten ereignen. Der Glaube hilft ihr beim Loslassen ihres Selbstbildes, dass immer alles perfekt sein müsse. "Ich bin ein Mensch von vielen Menschen auf dieser Erde mit begrenzter Kraft. Ich muss schauen, wo ich diese Kraft einsetze. An mir hängt nicht alles. Ich tue, was ich kann." Und: "Das ist genug!"
Rund um Ostern kann man draußen viel entdecken. Die Natur erwacht zum neuen Leben. Wenn es ihr nicht gut geht, hat die Theologin für sich herausgefunden, dass es ihr hilft, raus an die frische Luft zu gehen und sich zu bewegen. "Äußere Aktivität bringt auch in einem oft etwas in Bewegung."
Und was bringt die Zukunft? In der Wahrnehmung ihrer Umwelt arbeiten einige Menschen mit einem Weitwinkel – andere mit einem Teleobjektiv. So habe das der Pfarrer und Lyriker Detlef Block ausgedrückt. Willms sagt von sich: "Ich bin der Mensch für das Teleobjektiv. Ich vertiefe mich gern in Dinge und schaue genau hin." Den Pfarrerberuf übt sie seit Ihrem Burnout nicht mehr aus. Heute sucht sie schreibend nach neuen Formen, durch die sich Menschen ansprechen lassen. Manchmal empfindet sie es als ein kleines Wunder, dass ihr Wendepunkt, an dem sie ganz unten war, gleichzeitig etwas Neues begründet und möglich gemacht hat. Wann immer sie Kraft hat, schreibt sie Lyrik, Andachten, Gedichte und Gebete. Erste Lesungen hat sie bereits gehalten: "Es war ganz still, wenn ich las. Wir haben gelacht und einige Zuhörer haben auch geweint. Das war sehr anrührend für mich.“ Dabei begleitete sie ihr heute 17 Jahre alter Sohn musikalisch; ein anderes Mal wurde sie von ihrem Klavierlehrer unterstützt. Denn auch das ist ein neuer Weg, den sie eingeschlagen hat: Das Klavierspielen lernen. "Einen Karriereplan habe ich nicht", sagt die 52-Jährige. "Aber ich halte Ausschau nach den Türen, die sich öffnen und stelle fest, dass es immer wieder die ein oder andere gibt, durch die ich hindurch gehen kann."
Ostergedicht von Tina Willms (aus: "Erdennah - Himmelweit")
Im Dunkel wartet ein Engel auf dich.
Und Trauernde trifft ein tröstendes Wort.
Einer sagt: Die Toten sind ausgeflogen,
ihre Höhlen bleiben für immer leer.
Über den Gräbern schimmert schon Hoffnung:
Gott hebt uns auf, wenn der Tod uns fällt.
Er ruft unsere Namen in neues Leben
Und empfängt uns in einem Haus aus Licht.