War der zweite Film ein Vorwand für Sie, wieder Zeit mit Sophie zu verbringen, wie eine Kollegin von Ihnen augenzwinkernd schreibt?
Annette Wagner: Die Kollegin und ich, wir beide kennen und mögen Sophie sehr. Ich finde, dass sie unglaublichen Lebensmut und eine positive Ausstrahlung hat – und eine Gabe, Menschen zusammenzubringen. Für mein Team und mich war jeder Tag, den wir mit ihr verbrachten, voller Überraschungen, manchmal auch voller Chaos und manchmal gab es Tränen. Aber es hat immer unseren Blick auf die Welt geweitet. Insofern: Ja, es war eine schöne Gelegenheit, erneut Zeit mit ihr zu verbringen, aber das war nicht der einzige Grund, den Film zu machen.
Das Hauptmotiv ist für mich ein großes Erschrecken, wenn ich mir die Zahlen angucke: 90 bis 95 Prozent der ungeborenen Kinder, bei denen das Down-Syndrom diagnostiziert wird, werden heutzutage abgetrieben. Die werdenden Eltern trauen sich ein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom nicht zu oder wollen das nicht. Dem wollte ich ein lebendiges Bild entgegenstellen, wie ein gutes, glückliches Leben möglich ist – sowohl für Menschen wie Sophie als auch für ihr Umfeld.Es kam eine Mail von einer Lehrerin, die sagte: "Wir haben diesen Film angeguckt" – der ja nun schon zehn Jahre alt ist – "und meine Schüler wollen wissen: Was macht diese Sophie eigentlich heute?" Das trug ich zum Redakteur und sagte: "Das wäre doch ein Anlass, zehn Jahre später zu gucken: Wie sieht die Berufswahl aus? Ist es Sophie möglich, wie anderen Jugendlichen auch, einen Beruf frei zu wählen? Oder ist eine beschützende Werkstatt die Endstation?"
Die Dreharbeiten und vor allem die Vorbereitungen dafür haben sich über ein Jahr hingezogen und waren nicht immer einfach. Welche Herausforderungen gab es für Sie und Ihr Team?
Wagner: Zunächst mal musste Sophie selbst überzeugt werden. So gern sie mich und das Kamerateam mag, bringen Dreharbeiten doch eine Aufregung in ihr Leben. Sie war gerade in dieser schwierigen Phase zwischen dem Ende der Schule und der Frage, ob sie in eine Berufsorientierungsgruppe aufgenommen wird. Da war sie sehr unter Druck und hat geschwankt. Ein zweiter Punkt war, dass sie meinen ersten ARD-Film über sie – "Sophie – ein göttliches Geschenk" – angeguckt und sich als kleines Mädchen mit Nickelbrille in der dritten Klasse gesehen hatte. Sie konnte den Zeitsprung nicht abstrahieren, sie hat gesagt: "Bin kein Baby mehr! Film – um Himmels Willen, nein!" Und der dritte und deutliche Punkt war, dass auch ihre Mutter gerade durch eine berufliche Wiedereinstiegsphase sehr stark belastet war und viele Probleme sah.
Sophie selbst haben Sie dann damit überzeugt, dass sie selbst drehen durfte. Warum war das wichtig und was ist dabei herausgekommen?
Wagner: Ich besuchte sie mit der Frage: "Sophie, können wir denn jetzt zusammen arbeiten?" Es stand auf der Kippe, dass sie Nein gesagt hätte. Ich hatte eine kleine HD-Kamera für ein KIKA-Projekt in der Tasche und habe zu ihr gesagt: "Könntest du es dir denn vorstellen, wenn du selber mitmachst? Hier habe ich so eine Kamera. Wenn wir beide zusammen drehen, würde es dann für dich passen?" Und dann kam ihre Neugier durch, sie wollte das ausprobieren, hat die Kamera genommen und mich und ihre Mutter spontan interviewt. Daran hat sie Spaß gefunden und gesagt: "Ja. Ich drehe und du drehst. Das ist geil!" In dem Moment, als sie die Kamera in die Hand nahm und so strahlte, hab ich gedacht: "Ja, da hättest du auch gleich drauf kommen können, Annette!" So ist nicht nur das Thema des Films "Inklusion", sondern so ist es auch inklusive Arbeit mit einer behinderten jungen Frau. Nicht nur ein Film über sie, sondern mit ihr - auf Augenhöhe - entstanden.
Nachdem sie am Anfang ein bisschen Technikprobleme hatte - wann ist das Ding jetzt an und aus? - hat man deutlich gespürt: Was Sophie liebt, ist mit Menschen zu sein. Wenn sie durch die Kamera guckte, war sie ganz bei denen, die da auf der anderen Seite sind. Es hat sie natürlich stolz gemacht, selber zu drehen, es hat sie aber auch fokussiert und ihr vielleicht ein zusätzliches, temperiertes Ausdrucksmittel für Gefühle gegeben. Sehr berührt hat mich der Schluss, als wir am letzten Tag bei ihr zuhause in ihrem Zimmer gedreht haben. Da reagierte sie auf unsere finalen Dreharbeiten, indem sie das Team und mich filmte und dann durch die Kamera verkündete: "Dieses Film ist jetzt beendet." Der Abschied ist uns allen nicht leicht gefallen nach dem Jahr.
"Ich glaube, es würde uns nicht schaden, wenn unser Leben ein bisschen langsamer, behutsamer und etwas vorurteilsfreier würde"
Was haben Sie persönlich bei den Dreharbeiten gelernt?
Wagner: Ich habe gelernt, geduldiger zu sein. Ich habe gelernt, die Welt durch Sophies Augen zu sehen – das bedeutet, klarer zu sehen, wo Überforderungen lauern. Ich habe aber auch verstanden, dass ihre Fröhlichkeit und ihre lebensbejahende Art ganz viel damit zu tun hat, wie vorurteilslos sie auf die Welt guckt. Sie nimmt die Leute unvoreingenommen an. Wenn Sophie liebt, dann liebt sie bedingungslos. Und das ist eine große Gabe.
Wie schätzen Sie die Lage: Wird Sophie die Berufsausbildung zur Kindergartenhelferin und ein selbständiges Leben schaffen?
Wagner: Ich glaube, dass Sophie das schafft, denn sie hat eine unglaubliche Energie. Es ist gut, dass sie diese Berufsvorbereitungseinrichtung (BVE) besucht, da werden junge Menschen mit Behinderung in ihrer Berufsorientierung unterstützt – mit dem Ziel, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Stelle zu bekommen. In dieser Phase wird sie das zu ihr Passende finden, da bin ich mir sicher. Ob das wirklich Kindergartenhelferin ist, weiß ich nicht. Im Moment führt das Arbeiten mit Kindern eher dazu, dass sie selbst sich kindisch verhält, vielleicht kommt dieses Praktikum zu früh innerhalb ihrer persönlichen Entwicklung. Aber sie hat eine große Gabe der Fürsorge, sie kann Gruppen zusammenzubringen und andere motivieren. Ich schätze an ihr, dass sie Dinge anpackt: "Das will ich jetzt machen!", und dann mit großer Kraft darauf zugeht und es ausprobiert. Deswegen bin ich mir sicher, dass sie es schafft.
Wieviel Unterstützung braucht Sophie – oder alle Menschen mit Down-Syndrom, die ins junge Erwachsenenalter kommen?
Wagner: Sophie braucht eine strukturierende Unterstützung und ein emotionales Zuhause. Im Moment wünscht sie sich, nicht in ein betreutes Wohnen für Behinderte zu kommen, sondern ihre Mutter und sie versuchen, sie in einem gerade entstehenden Wohnprojekt unterzubringen, in dem verschiedene Menschen eine Art Hausgemeinschaft bilden, also ein Zuhause mit familiärer Struktur, aber nicht mit einer klassischen Betreuung. All die Dinge, die Sophies Mutter erkämpft hat für ihre Tochter – nicht in die Behindertenschule!, Nicht in die Behindertenwerkstätte! – tragen ganz klar zu dem bei, was man sich heute als "Inklusion" auf die Fahnen schreibt: dass Menschen mit Behinderungen mit allen anderen gemeinsam leben. Ich glaube, es würde uns nicht schaden, wenn unser Leben ein bisschen langsamer, behutsamer und etwas vorurteilsfreier würde. Wenn die Gesellschaft von dem, was Sophie mitbringt, lernen würde.