"Das Perfekte ist das, was wir haben"
Der neue Bluttest zur Bestimmung des Down-Syndroms bei Ungeborenen soll auf einfache Weise Klarheit bringen. Der so genannte PraenaTest steht kurz vor der Markteinführung. Den Eltern nimmt er allerdings die Entscheidung nicht ab, ob sie ein behindertes Kind großziehen wollen oder nicht. Elzbieta Szczebak, Pressesprecherin des Deutschen Down-Syndrom-Infocenters, wirbt dafür, die Vielfalt zu sehen - nicht nur die "Behinderung".
25.07.2012
evangelisch.de

Wie bewertet das Deutsche Down-Syndrom-Infocenter den neuen Bluttest, der jetzt auf den Markt kommt?

Elzbieta Szczebak: Die Diskussion ist für uns nicht neu. Wir verfolgen sie schon seit letztem Jahr und sind froh, dass sie so vielfältig geführt wird. Es ist legitim, dass die Forschung solche Tests entwickelt. Man muss aber auch daran denken, welche Konsequenzen das hat - für die Menschen, die Kinder zur Welt bringen und für die Kinder selbst. Denn wenn ein Test entwickelt wird und sich "nicht-invasive Methode" nennt, dann ist im ersten Moment für alle offensichtlich: "Ach, wunderbar! Es ist nicht invasiv und wird keinem schaden."

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Das sehen wir anders. Bei einer positiven Diagnose bedeutet es, eine Entscheidung fällen zu müssen - für oder gegen das Kind. Über 90 Prozent der Eltern entscheiden sich für einen Abbruch, vielleicht weil sie so wenig über das Down-Syndrom wissen und keine Akzeptanz in ihrem Umfeld vermuten. Wir beobachten, dass die klischeehaften Vorstellungen über das Leben von Menschen mit Down-Syndrom immer noch aus dem letzten Jahrhundert zu stammen scheinen.

Es genügt nicht, die Eltern einfach nur vor die Gewissensentscheidung zu stellen. Jede Entscheidung hat einen Background aus Werten und Gesetzgebung. Hier lügt sich unsere Gesellschaft etwas in die Tasche, wenn sie an eine freie individuelle Entscheidung glaubt oder auf sie setzt. Wir wollen die Eltern und die Kinder mit Down-Syndrom nicht einfach im Regen stehen lassen.

Ausreden zu erfinden ist kurzsichtig und hilft niemandem - wie zum Beispiel vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Herrn Dr. Montgomery zu lesen war: "Das Rad ist nicht aufzuhalten, wir haben schon längst die Erlaubnis zu Fruchtwasseruntersuchung und Abtreibung in diesem Zusammenhang." Ja, haben wir. Wir haben einen Schritt nach dem anderen gemacht; wir haben auch die feministische Revolution hinter uns und "den Bauch, der mir gehört". Aber trotzdem können wir nicht sagen: Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen, sondern mit dem, was wir uns schon alles "erarbeitet" haben, müssen wir uns neu auseinandersetzen.

Wie "schwer" ist es denn tatsächlich, ein Kind mit Down-Syndrom großzuziehen?

Szczebak: Hier werden Sie die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Die Mehrheit der Eltern würde sagen: "Es ist eine Riesenherausforderung und es ist nicht jeder Tag Sonnenschein", aber sie freuen sich über ihre Kinder, sie lieben ihre Kinder über alles. Gerade heute habe ich von einer Mutter gelesen: "Wenn wir damals den Test gemacht hätten, weiß ich nicht, ob das Leben meines Sohnes nicht auf dem Spiel gestanden hätte. Heute bin ich glücklich über dieses Kind und ich weine während ich dieses schreibe, weil ich glaube: Das ist das perfekte Kind." Wir wollen alle ein perfektes, ungebrochenes Leben haben, auch für unsere Kinder - aber das kann man nicht bestellen. Das "Perfekte" ist das, was wir haben.

Welche körperlichen Einschränkungen haben die Kinder mit Down-Syndrom? Sind sie oft krank?

Elzbieta Szczebak ist Pressesprecherin des Deutschen Down-Syndrom-Infocenters in Lauf bei Nürnberg.

Szczebak: Kinder mit Down-Syndrom haben eine verminderte Immunsystem-Stärke. Herzfehler kommen bei mehr als 50 Prozent vor, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Manchmal treten diese Veränderungen spontan nach der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten zurück, manchmal müssen sie operiert werden. Bei jedem Kind mit Down-Syndrom ist die Muskelhypotonie mehr oder weniger ausgeprägt. Man muss außerdem sehr auf die Schilddrüsenwerte achten, und es ist bekannt, dass sie einfach kleiner werden als der Durchschnitt der Bevölkerung. Gut die Hälfte hat Augenprobleme, auch die Hörfähigkeit ist bei manchen eingeschränkt.

Das Down-Syndrom gilt als "geistige Behinderung". Von "verminderter Intelligenz" ist die Rede. Stimmt das?

Szczebak: Wir Menschen brauchen immer Beschreibungen und wir schaffen Kategorien, um uns zurechtzufinden. Sie würden heute Wissenschaftlern finden, die sagen: "Menschen mit Down-Syndrom sind nicht behindert, sie werden behindert." Es kommt auf die Definition von "Behinderung" an. Und vielleicht ist es für alle hilfreicher zu sagen: Die Kategorie "Intelligenz" ist nicht anzuwenden in diesem Fall.

Fakt ist, dass das Down-Syndrom sich auf die Gehirnfunktionen und damit auf geistige Entwicklung auswirkt. Aber der Grad der Einschränkung ist ganz unterschiedlich ausgeprägt. Sie würden im Alltagsleben Menschen mit Down-Syndrom begegnen, die gut einen Hauptschulabschluss schaffen, die Ihnen über Kunst Auskunft geben können, die mit Ihnen ein Gespräch über Opernmusik führen können.

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Ich finde es verblüffend in manchen Gesprächen mit Menschen mit Down-Syndrom, wie klar und genau sie Dinge benennen und auf den Punkt bringen. Das habe ich erlebt in einer Begegnung in einer Redaktionssitzung vom Ohrenkuss: Es dauert vielleicht länger, bis Sie eine Antwort auf die Frage bekommen: "Was ist Zukunft?" Dann sagt jemand: "Zukunft ist das, was zu uns kommt." Es ist ein schöner metaphorischer Satz, ein sehr schöner Gedanke. Viele Menschen mit Down-Syndrom werden unterschätzt, manche Pädagogen sagen auch: Sie sind permanent unterfordert. Man müsste die Latte manchmal viel höher hängen.

Man kann es nicht verschweigen, dass die geistige Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom nicht dem entspricht, was wir für Norm halten, was unserer Vorstellung entspricht. Es wäre falsch zu sagen, dass sie so sind wie wir. Aber vielleicht wäre es endlich an der Zeit zu sagen: Die Vielfalt steht auf dem Programm. In der Vielfalt ist alles möglich.

Haben Menschen mit Down-Syndrom Ihrer Erfahrung nach manchmal ganz besondere Fähigkeiten und Begabungen, die Menschen ohne Down-Syndrom nicht so oft haben?

Szczebak: … oder nicht so ausgeprägt. Es gibt diese landläufige, ein bisschen an ein Klischee grenzende Vorstellung: Sie sind besonders freundlich, besonders liebevoll, sie gehen auf uns zu und umarmen uns, und geben einfach menschliche Wärme weiter. Sie haben keine Berührungsängste, was ihnen manchmal zum Verhängnis werden kann. Wir sind das im Alltag, vor allem im Umgang unter Erwachsenen, nicht gewöhnt. Aber man kann sich doch auch daran freuen, dass einige von ihnen uns das Leben dadurch bereichern.

Kennen Sie einen Menschen mit Down-Syndrom, der aufgrund dieser genetischen Veranlagung mit seinem Leben unzufrieden wäre?

Szczebak: Zur Lebenszufriedenheit von Menschen mit Down-Syndrom gibt es eine ganz neue Studie aus den Vereinigten Staaten: Ein amerikanischer Kinderarzt und Genetiker, Brian Skotko, hat sowohl Eltern und Geschwister als auch Menschen mit Down-Syndrom selbst befragt. Das Ergebnis ist überwiegend positiv in allen drei Spalten.

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Lediglich vier Prozent der Eltern würden sagen: Wir hätten das Kind lieber nicht bekommen. Das waren häufig Eltern, die über komplexe gesundheitliche Probleme oder erhebliche Lernschwierigkeiten bei ihrem Kind berichteten.

Natürlich sind einzelne Menschen mit Down-Syndrom hin und wieder unzufrieden. Wenn der Tag nicht gut gelaufen ist, wenn etwas bei der Arbeit daneben ging, verzweifeln sie manchmal und sagen: Hätte ich bloß nicht Down-Syndrom. Das trifft auf diejenigen zu, die ein ausgeprägtes Reflexionspotenzial haben.

Wenn Sie in einem ganz normalen Gespräch wirklich auf die Frage kommen: "Wie zufrieden bist du mit dir?", dann kommt eigentlich immer die Antwort: "Sehr zufrieden. Ich bin glücklich, Ich habe kein Problem mit dem Down-Syndrom." Oder: "Ich habe manchmal Down-Syndrom." Da kann man natürlich von unserer Warte aus sagen: "Du hast doch nicht verstanden, wie dich das einschränkt." Aber man kann auch sagen: "Ach ja – so siehst du das, ein lustiger Zugang!"