Facebook: Alles löschen, außer von Politikern
Das EuGH-Urteil gegen Facebook stärkt die Rechte von Beleidigten, neue Twitter-Funktionen ihre Möglichkeiten. Es sei denn, Politiker stecken hinter der Beleidigung, die dürfen das. Sagt Facebook jedenfalls.

Es bewegt sich etwas bei der Moderation von Inhalten auf Social-Media-Plattformen. Auf Twitter können Nutzer*innen in Kanada, den USA und Japan inzwischen selbst Antworten auf ihre eigenen Tweets unsichtbar machen. "More control over your conversation" nennt Twitter das, mehr Kontrolle über das eigene Gespräch. Die versteckten Antworten werden aber nicht gelöscht. Hinter einem kleinen Button am Ausgangs-Tweet verbirgt sich die Option, alle versteckten Antworten anzuschauen.

Die Idee ist gut und sinnvoll, aber ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ermöglicht diese Funktion Twitterern, tatsächlich ein sinnstiftenderes Gespräch zu führen, mit dem Gesprächsstarter automatisch in der Rolle einer Moderatorin. Auf der anderen Seite kann Twitter sich dadurch nicht der eigenen Moderations-Pflicht entziehen. Die Abwehr von Trollen, Bedrohungen und Faschisten darf Twitter nicht allein auf die Schultern der Menschen laden, die sich digital öffentlich unterhalten wollen, da steht die Plattform weiter in der Pflicht. Bei den die Ausgangstweets anderer Menschen sowieso, weil die nur von Ersteller*innen oder von Twitter selbst gelöscht werden können.

In die Pflicht hat der Europäische Gerichtshof auch Facebook genommen. Die ehemalige österreichische Nationalratsabgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek (Grüne) war erfolgreich gegen eine Beleidigung auf Facebook vorgegangen. Sie hatte anschließend gefordert, Facebook müsse die gleiche Beleidigung in allen Posts löschen, nicht nur bei dem Nutzer, den die Unterlassungsverfügung betrifft. Der Oberste Gerichtshof hatte daraufhin den Europäischen Gerichtshof gefragt, ob das mit der "EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr" vereinbar ist. Relevant sind unter anderem Artikel 14 und 15, in denen geregelt ist, dass Diensteanbieter nicht für Informationen verantwortlich sind, die Nutzer*innen eingeben, so lange sie "keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information" haben, und dass sie nicht verpflichtet sind, "die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen."

Der EuGH urteilte mit Bezug auf Artikel 18, dass Österreich das Recht hat, Facebook dazu zu verpflichten, wortgleiche Beleidigungen überall zu löschen – so lange sie mit automatisierten Mitteln zu finden sind. Facebook wird damit nicht verpflichtet, alle Inhalte auf Rechtsverletzungen zu überwachen, aber die Rechtsverletzung im Einzelfall weltweit(!) zu verhindern.

Interessant am Urteil ist, dass auch der EuGH den Unterschied zwischen Social-Media-Plattformen und Hosting-Dienstleistern erkennt. Im Urteil steht der Satz: "Da ein soziales Netzwerk die schnelle Übermittlung der vom Hosting-Anbieter gespeicherten Informationen zwischen seinen verschiedenen Nutzern erleichtert, besteht eine reale Gefahr, dass eine Information, die als rechtswidrig eingestuft wurde, zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Nutzer dieses Netzwerks wiedergegeben und geteilt wird." Facebook, Twitter und andere Social-Media-Plattformen gelten rechtlich zwar als Hosting-Dienstleister, aber sie werden aufgrund der Dienste beurteilt, die sie tatsächlich zur Verfügung stellen. Sie sind zugleich Dienstanbieter und Plattformbetreiber und haben damit eine Sonderstellung, für die wir noch keinen besseren Namen als "Plattform" haben. Vielleicht braucht es tatsächlich noch ein neues Wort.

Während Österreich Facebook zwingt, eine Beleidigung flächendeckend zu finden und zu löschen, lockert Facebook an anderer Stelle seine Standards noch weiter. Anlass ist – wie könnte es anders sein – Donald Trump. Weil sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nicht an Recht und Gesetz, Anstand oder demokratische Regeln hält, aber trotzdem noch Präsident ist, stellt er die Medien vor echte Herausforderungen: Ist es berichtenswert, was der US-Präsident sagt, auch wenn er lügt? Oder ist nur die Lüge berichtenswert?

Facebook stellt sich da klar auf, natürlich auch deshalb, weil sie nicht als Medienbetreiber gesehen werden wollen: Er darf sagen, was er will. Die "newsworthiness exemption" ist eine Ausnahme in den Nutzungsbedingungen. Sie lässt zu, dass Inhalte, die ansonsten gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, gepostet werden dürfen, wenn sie einen Nachrichtenwert haben. Nacktheit und Gewalt will Facebook loswerden, sie sind aber immer wieder Teil der Nachrichten. Auslöser dieser Ausnahme war, dass Facebook 2016 das berühmte Foto aus dem Vietnam-Krieg von Kim Phuc von der Seite der norwegischen Zeitung Aftenposten gelöscht hatte und damit eine Welle an Empörung produziert hatte.

Nun aber weitet Facebook diese Nachrichtenwert-Ausnahme pauschal aus. "We will treat speech from politicians as newsworthy content that should, as a general rule, be seen and heard", hat Facebooks Chefkommunikator Nick Clegg angekündigt. Es ist ein interessantes Merkmal kultureller Unterschiede, dass sich dieser Satz nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt, weil wir keine direkte Übersetzung für "Speech" oder "newsworthy" haben. Sinngemäß: "Wir werden Aussagen von Politikern so behandeln, dass sie es immer wert sind, gesehen und gehört zu werden" - selbst wenn sie eigentlich gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen.

Facebook hält es also grundsätzlich für richtig, dass Donald Trump seine Lügen öffentlich verbreiten darf. Auf Twitter ist es übrigens auch nicht anders. Nick Clegg hätte eine solche Sonderbehandlung in seiner Zeit als stellvertretender Prime Minister von David Cameron sicher auch gern gehabt.

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