Darf man Pfarrer*innen Ziele setzen?
Als Kirche (und auch sonst) müssen wir unser "Warum" kennen und es in messbare Ziele umsetzen. Denn wer keine Erfolge misst, hat auch keine.

Erik Flügge hat es wieder geschafft: Er hat eine überflüssige Diskussion angestoßen oder den Finger in die Wunde gelegt, je nach Sichtweise. In seinen Thesen anlässlich der alljährlichen Kirchenaustrittszahlen fand sich auch der Satz: "Kirchliches Personal wird wie Führungskräfte bezahlt und verhält sich nicht so."

Es entspann sich eine Diskussion an dem Diskussionort, wo sich gesellschaftliche Eliten dieser Tage ihre Meinungen um die Ohren hauen: Twitter. (Ok, eigentlich ist das Medium, aber das ist dann ja immer erst der zweite Schritt nach den Twitter-Threads.) Das Schöne daran: Thesen wie die aus Erik Flügges Text werden tatsächlich zielführend weiterdiskutiert, auch wenn sich am Ende nicht alle einig sind.

Die Frage, die mich aus der These und der Diskussion dazu besonders reizt, ist: Was heißt es eigentlich, sich wie eine Führungskraft zu verhalten?

Ein wesentlicher Teil von Führung ist, eine Vision zu haben, wo sich die eigene Organisation hinbewegen soll. Wer, wie und was wollen wir in fünf Jahren, in zehn Jahren, in fünfzehn Jahren sein? Wer das weiß, kann sich überlegen, was alle Beteiligten tun sollten, um auf diese Ziele hinzuarbeiten. Daraus entsteht dann eine Strategie, aus der wiederum konkrete Ziele entwickelt werden können, die man sich dann vornimmt.

Der Heilige Geist weht nicht einfach so Gläubige in die Kirchen

Für ihre Gemeinden sind Pfarrer*innen oft in dieser Rolle, denn sie sind die Fokuspunkte für das Gemeindeleben und setzen Schwerpunkte, was da eigentlich passiert. Daneben allerdings haben die Pfarrgemeinderäte und Presbyterien in der evangelischen Kirche noch ein Wörtchen mitzureden: Pfarrer*innen können nicht schalten und walten, wie sie wollen.

Das bedeutet, dass sie gemeinsames Führungshandeln üben müssen. Die Verantwortung für die Gemeinde tragen sie nicht allein. Die Ziele für die eigene Gemeinde müssen sie gemeinsam mit allen Beteiligten festlegen. Dieses Ziel kann aber nicht sein: Wir verwalten den Ist-Zustand und hoffen, dass der Heilige Geist uns mehr Gläubige in die Kirche weht. Das wird nämlich nicht einfach so passieren. Und es ist ja auch die Frage, ob das eigentlich das ist, was wir als Kirche wollen.

Also braucht jede Gemeinde ebenso wie die ganze Kirche eine klare Vision. Es gibt viele Wege, eine zu finden, viele Methoden, die Berater wie Erik Flügge besser kennen als ich. Ich würde aber immer mit der Frage anfangen: Warum tun wir das, was wir tun? (Eine der bekanntesten Methoden, mit dem "warum" zu arbeiten, ist der "Golden Circle" von Simon Sinek. Einfach mal googlen, das haben zahlreiche Marketingblogs schon lange aufgeschrieben.)

Wenn eine Gemeinde – oder eine ganze Kirche – aus der Vision dann Ziele abgeleitet hat, müssen daraus konkrete Handlungen werden. Und dazu gehören dann auch, sagt Erik Flügge, "Kennzahlen, Zielvereinbarungen und Erfolgsmessung".

Da stehen der Heiliger-Geist-Fraktion dann die Haare zu Berge. Stellvertretend: "Wenn wir vom Glauben als Geschenk Gottes ausgehen. Wie soll man diesen an Zielvereinbarungen binden oder quantifizieren wollen? Glauben und Kommunikation des Evangeliums müssen die Leitkategorien sein." Diese Reaktion überspringt aber die Zwischenschritte, von einer Vision – einem übergeordneten "Warum?" – auf konkrete Aufgaben zu kommen. Und da können und sollten wir tatsächlich wissen, was wir erreichen wollten und ob wir das erreicht haben.

Wer keine Erfolge misst, hat auch keine

Um beispielsweise mehr Menschen ein Glaubensgeschenk machen zu können, müssen sie erstmal da sein. Also könnte ein konkretes Ziel sein: Sprich mit zwölf Menschen über Jesus. Wenn wir dieses Ziel haben, können wir darüber reden, wie das funktioniert und was wir da sagen können, um nicht mit den Zeugen Jehovas verwechselt zu werden, die das schon seit Jahrzehnten machen.

Es kann aber auch viele andere Ziele für eine Gemeinde geben: X Prozent mehr Gottesdienstbesucher. Zahl Y von Kontakten mit Leuten, die die Gemeinde noch nicht kennt. Mindestens so viele Newsletter-Abos, wie die Gemeinde Mitglieder hat. Ein Viertel mehr Teilnehmende an Gemeindeveranstaltungen in definierten Zielgruppen. Zehn Veranstaltungen an Orten, wo im vergangenen Jahr keine waren. 80 % mehr Spenden- & Kollektenerlöse.

Das setzt aber voraus, dass wir Vergleichszahlen kennen! Sie müssen dokumentiert sein, sie müssen öffentlich sein, und es muss möglich sein, an den gesteckten Zielen zu scheitern. Führungskräfte in der Wirtschaft müssen irgendwann gehen, wenn sie die gesteckten Ziele nicht erreichen. Das müssen wir in der Kirche nicht so machen. Trotzdem dienen solche Ziele dazu, regelmäßig gemeinsam zu gucken: Machen wir eigentlich etwas richtig? An ambitionierten Zielen zu scheitern ist nicht schlimm, so lange man etwas daraus lernt, was man nächstes Mal anders machen kann.

Nicht alles lässt sich in Zahlen erfassen. Ich würde zum Beispiel keiner Pfarrer*in wünschen, ein Zahlenziel bei Beerdigungen erfüllen zu müssen. Bei Taufen, also Kircheneintritten, wäre das aber sinnvoll! Unrealistische Ziele helfen auch nicht weiter. Für eine einzelne Gemeinde wäre das Ziel "Wir stoppen den Klimawandel" unsinnig (abgesehen von der Frage, ob es zum "Warum" passt). Aber selbst das lässt sich runterbrechen, zum Beispiel auf "Wir reduzieren den CO2-Ausstoß unserer Gemeinde um 15 %" oder "Wir pflanzen pro Jahr drei Bäume."

Aber wer seine Erfolge nicht misst, kann auch keine haben. Deshalb wird eine Kirche ohne messbare Ziele wird immer erfolglos bleiben.

Vielen Dank für's Lesen und Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!