Unglücklich wirken die Erdmännchen im Tierpark Nordhorn eigentlich nicht. Aufgeregt und neugierig laufen die Tiere herbei, als die Tierpflegerin das Gehege betritt, um sie zu füttern. Sogar auf den Schoß springen die Erdmännchen, um sich die schmackhaften Käferlarven zu holen. In freier Natur müssten sich die üblicherweise in Afrika lebenden Tiere das Futter selbst suchen und dabei immer auf der Hut vor Fressfeinden wie Wildkatzen und Schlangen sein.
Diese Sorgen haben die Erdmännchen im niedersächsischen Nordhorn nicht. Geht es ihnen also im Zoo besser? Aber können Tiere überhaupt ein artgerechtes Leben in Gefangenschaft führen? Um diese Fragen geht es, wenn Tierschützer Zoos Tierquälerei vorwerfen.
Tatsächlich konnten hierzulande noch 2011 "die meisten Gehege die artspezifischen Bedürfnisse der gezeigten Tiere nicht angemessen befriedigen", heißt es im "EU-Zoo-Report 2011", einer von europäischen Tierschutzvereinen in Auftrag gegebenen Studie. So hätten beispielsweise in 87 Prozent der untersuchten Gehege jegliche Arten von Verhaltens- oder Beschäftigungsmaterialien gefehlt.
Kein prinzipieller Widerspruch
"Mehr als zehn Jahre später haben sich die Zustände nicht grundlegend verbessert", kritisiert die Tierschutzaktivistin Laura Zodrow vom Verein "Pro Wildlife", die an der Studie mitgearbeitet hat. Zoos müssten sich immer kritisch fragen, ob sie die Bedürfnisse der Tiere tatsächlich erfüllen können, sagt auch der Nordhorner Tierparkleiter Nils Kramer. Schwer sei das beispielsweise bei Meeressäugern wie etwa Eisbären, die einen großen Bewegungsdrang haben und deren natürlicher Lebensraum sich auf tausende Quadratkilometer erstreckt. Grundsätzlich könne jedes Tier gehalten werden, ist der Tierarzt überzeugt. "Auch ein Blauwal. Der Zoo wäre halt riesig: ein halber Ozean", fügt er augenzwinkernd hinzu.
Auch der Berliner Tierethiker Bernd Ladwig sieht zumindest keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen Tierschutz und Tierhaltung. Das Leben in menschlicher Obhut könne zumindest bestimmten Arten Vorteile bieten, wie etwa Versorgungssicherheit, Wärme und Zuwendung, sagte der Philosophieprofessor 2020 in der "Sternstunde Philosophie" im Schweizer Fernsehen. "Das setzt aber natürlich voraus, dass diese Tiere, wenn wir sie ihn Ruhe ließen, nicht besser dran wären."
Nur Fachleute können Verhalten einschätzen
Vor allem domestizierte Tieren wie Hunde und Katze hätten Ladwig zufolge ohne den Menschen meist ein schlechteres Leben. Überdies falle es dem Menschen bei diesen Tieren vergleichsweise leicht, einzuschätzen, wie es ihnen geht und was sie möchten.
Ethisch heikler ist aus Ladwigs Sicht etwa die anspruchsvolle Haltung von Bartagamen. Die australische Echse wurde vom Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe zum "Heimtier des Jahres 2023" gekürt. Zumindest der Laie könne angesichts der Fremdheit des Reptils kaum erkennen, ob es dem Tier zum Beispiel Freude bereitet, hochgehoben zu werden. "Ist das Tier schläfrig? Ist es aufmerksam? Ist es ruhig, weil es seine Wesensart ist, oder ist es ruhig, weil es Angst hat?" Solche Fragen könnten bei exotischen Tieren, wenn überhaupt, nur Experten beantworten.
Massenhaftes Artensterben
Deutlicher erkennbar indes ist das Problem des Artensterbens. Im Kampf dagegen spielten Zoos eine unverzichtbare Rolle, betont Tierparkleiter Kramer und betritt das Gehege der vietnamesischen Sikahirsche. "Einmal fleißig streicheln und füttern. Das sind die letzten ihrer Art", rät der Veterinär, während ihm die hübschen, weiß gepunkteten Tiere aus der Hand fressen.
Die Hirsche sind Teil eines Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP). In freier Wildbahn sind sie ausgestorben. Auch Nordpersische Leoparden, nordamerikanische Waldbisons und bedrohte Haustierrassen wie Bentheimer Landschafe und Landschweine werden in Nordhorn gezüchtet.
Den Zoos kommt Kramer zufolge eine "Archefunktion" zu. Das Wort verweist auf die biblische Sintflut-Erzählung, in der Noah mit einer Arche von allen Landtierarten je ein Paar rettet. Tatsächlich hat der vom Menschen verursachte Artenschwund apokalyptische Ausmaße erreicht. "Die Arten sterben schneller, als wir sie erfassen können", sagt der Göttinger Evolutionsbiologe Christoph Bleidorn. Denn von den mutmaßlich 10 bis 20 Millionen existierenden Arten seien bisher nur etwas mehr als 1,5 Millionen beschrieben. Das Ausmaß der Katastrophe ist laut Bleidorn mit den fünf großen Massenaussterben der vergangenen 500 Millionen Jahre vergleichbar.
Hinzu komme die Frage, welche Lebensräume überhaupt noch als "wild" bezeichnet werden können, gibt Kramer zu bedenken. Nahezu überall auf der Erde habe der Menschen seinen Fuß hingesetzt. Selbst in riesigen Nationalparks wie etwa dem Krüger-Park in Südafrika seien die Tiere nicht im eigentliche Sinne frei. Auch infolge des Bevölkerungswachstums würden die Lebensräume von Wildtieren kleiner und fragmentierter. Ihr Schicksal liege dadurch mehr und mehr in Menschenhand. "Im Prinzip entsteht da draußen gerade ein großer Zoo, weil wir kleine Lebensräume managen müssen." Bei der Bewältigung dieser Aufgabe sei das Wissen der Zoos unersetzlich.