Das christliche Ostern versteht man besser, wenn man auch das jüdische Fest kennt. Seine Geschichte geht zurück auf die Flucht der Israeliten aus Ägypten. In der hebräischen Bibel - und damit auch im Alten Testament im 2. Buch Mose - wird erzählt, wie das Volk der Israeliten durch die Knechtschaft in Ägypten bedrängt wurde. Immer schwerer mussten sie arbeiten, um die Vorgaben des Pharao zu erfüllen.
Da nahm Gott die Sache selbst in die Hand und forderte durch seinen Diener Mose vom Pharao: "Lass mein Volk ziehen!". Bis heute sind diese Worte berühmt, unter anderem durch den bekannten Gospel "When Israel was in Egyptland". Doch der Pharao weigerte sich, und so kam eine Plage nach der anderen über das Land.
Als alles nichts half, setzte Gott zum großen Finale an. Der Todesengel sollte jedes Erstgeborene in Ägypten töten, ganz gleich ob Mensch oder Tier. Allein die Israeliten sollten verschont bleiben. Jede Familie schlachtete ein einjähriges Tier und bestrich den Türpfosten des Hauses mit seinem Blut. So wusste der Todesengel, als welchen Häusern er vorübergehen, welche Familien er verschonen sollte. Vom hebräischen Wort für "Vorübergehen", pasach, leitet sich wahrscheinlich auch der Name des Pessachfestes ab.
Nach dieser letzten Plage hatte der Pharao ein Einsehen und ließ die Israeliten ziehen. Und an diese wundersame Befreiung eines ganzen Volkes aus der Knechtschaft erinnern die Juden seither jedes Jahr aufs neue - bis heute. Und auch das Osterfest beruft sich auf diese Tradition. Nicht zuletzt lässt sich das am Namen erkennen: In fast allen europäischen Sprachen heißt Ostern "Pasqua" oder ähnlich.
Auch Jesus feierte Pessach
Um die Zeitenwende herum wurde das Pessachfest nach einem gängigen Ritus gefeiert. Im zentralen Tempel in Jerusalem wurden Opfertiere geschlachtet, um an die Schlachtung der Lämmer in Ägypten zu erinnern. Zugleich wurde dieses Opferlamm dargebracht, um das Volk ein Jahr lang vor Strafen und Plagen zu bewahren. Jeder Pessachpilger nahm ein Stück des Fleisches mit nach Hause, wo es im Kreis der Angehörigen zubereitet wurde. So hat es wohl auch Jesus gemacht, wie sich aus den Berichten der Evangelien schließen lässt.
Den genauen Ablauf kennen wir nur aus späteren Jahren. Bis zum 10. Jahrhundert wurden die Vorschriften immer weiter präzisiert, an die sich Juden in aller Welt bis heute halten. Wichtig ist vor allem der Ablauf des sogenannten Sederabends (Seder bedeutet "Ordnung"). Seder war auch, was Jesus mit seinen Jüngern teilte und was Christen heute als das "letzte Abendmahl" an Gründonnerstag kennen.
Bittere Knechtschaft, bittere Kräuter
Bis zum Einbruch der Dunkelheit soll man am Sederabend nichts essen. Dann beginnt die Feier mit einem Segensspruch des Hausvaters. Die Vorspeise besteht aus Kräutern und Fruchtmus, das Hauptmahl wird mit Lamm zubereitet. Dazu gibt es ungesäuertes Brot (Matzen) und Bitterkräuter. Um das Mahl herum werden insgesamt vier Becher Wein im Kreis gereicht, und jede Handlung wird durch Lesungen aus der Bibel gedeutet.
Jede Speise hat eine bestimmte Bedeutung. Die Bitterkräuter zum Beispiel erinnern an die bittere Knechtschaft in Ägypten, das Fruchtmus steht für den Lehm, aus dem die Israeliten Ziegel für den Pharao brennen sollten. Jeder Teilnehmer des Sedermahls soll sich in die Ursprungssituation des Festes hineinversetzen und so tun, als wäre er selbst aus der Knechtschaft befreit worden.
Die Matzen aus ungesäuertem Teig erinnern daran, dass die Israeliten in Ägypten vor ihrer Flucht zu wenig Zeit hatten, um noch Brot mit Sauerteig zu backen. Um diesem Gedenken auch heute gerecht zu werden, entfernen jüdische Gläubige vor dem Pessachfest alles aus ihren Häusern, was auch nur im Entferntesten gesäuert ("chametz") sein könnte. Entsprechendes Essen wird verschenkt, verkauft oder verzehrt. Gläsernes Geschirr muss drei Tage lang gewässert werden, Besteck und Töpfe werden abgekocht. In manchen Familien gibt es auch ein besonderes Sederbesteck, das nur zu den Festtagen genutzt wird, so dass sich eine besondere Reinigung von Säuerndem erübrigt.
Pessach als Vorlage für Ostern
In der Darstellung der Zeit vor Jesu Tod orientieren sich die Evangelisten an den damaligen Gepflogenheiten. Auch das "letzte Abendmahl" ist eine häusliche Feier, bietet Deuteworte zu den Speisen, ein Dankgebet und einen Segensspruch über dem Becher. Aber es geht einen entscheidenden Schritt weiter: Jesus deutet sich, so die Texte der Bibel, selbst als Pessachlamm, das geopfert werden soll. Und das ein für alle Mal. Eine jährliche Entsühnung durch ein Tieropfer ist, so der Glaube der Christen, nicht mehr nötig.
Wenn Christen das Abendmahl heute feiern, stehen sie in der Tradition des jüdischen Pessachfestes, das an die Befreiung der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten erinnert. Zugleich verbinden sie die Erfahrung, dass Menschen durch Gottes Handeln befreit werden, mit Tod und Auferstehung Jesu Christi.