Foto: Radio Bremen
Sabine Postel: "Wir legen den Finger in die Wunde"
Sie gehört längst zu den dienstältesten "Tatort"-Figuren: Inga Lürsen, die engagierte Ermittlerin aus Bremen, ist seit 1997 im Einsatz – jetzt ist der 30. Einsatz der von Sabine Postel gespielten Kommissarin zu sehen. In der Folge "Tatort: Alle meine Jungs" am 18.5. (20.15 Uhr, ARD) geht Inga Lürsen wie gewohnt mit ihrem Assistenten Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) auf Gaunerjagd, der seit 2001 mit von der Partie ist. Der Film von Regisseur Florian Baxmeyer spielt in einem Milieu, das sonst selten zu Fernseh-Ehren kommt: Es geht um einen Mord an einem Müllmann, und die Suche nach dem Täter führt Inga Lürsen von der Müllkippe bis hinauf in vermeintlich bessere Kreise.

Frau Postel, der "Tatort" ist Kult, regelmäßig schalten sonntags viele Millionen Zuschauer ein. Gehören Sie selber auch dazu?

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Sabine Postel: Ja, ich gehöre auch dazu. Für mich ist das Kult – und da ich ein völlig neidfreier Mensch bin, gucke ich den Kollegen gerne zu, auch den neuen. Mich darf sonntagabends auch keiner anrufen, zur "Tatort"-Zeit gehe ich nicht ans Telefon.

Sie selber sind seit 1997 dabei, jetzt läuft Ihr 30. Fall als Bremer Kommissarin Inga Lürsen. Was hat sich in dieser Zeit geändert?

Postel: Inga Lürsen ist etwas milder geworden, nicht mehr ganz so ruppig, wie sie am Anfang war. Aber sie ist sich immer treu geblieben. Sie kämpft nach wie vor für mehr soziale Gerechtigkeit, will immer noch ein bisschen die Welt verändern.

Der neue Fall spielt unter Müllmännern. Haben Sie auf einer echten Müllkippe gedreht?

Postel: Ja. Das war schon sehr geruchsbelästigend, vorsichtig formuliert – da stinkt‘s ordentlich. Da kriegt man noch mehr Respekt vor den Leuten, die jeden Tag unseren Müll wegmachen.

In dem Film wird Inga Lürsens Müll durchwühlt und sie wird ausspioniert. Haben Sie als Fernsehstar Angst, dass Ihnen das auch passieren könnte?

Postel: Wenn man eine größere Prominenz hat als ich, muss man sicherlich aufpassen, denn es gibt ja Fans, die ein bisschen manisch sind. Was mich aber wirklich ärgert ist, dass wir alle diese kleinteilige Mülltrennung machen, und man das Gefühl hat, das wird am Ende sowieso alles auf einen Haufen gekippt.

Trennen Sie Ihren Müll denn trotzdem?

Postel: Ja, aber in dem Bewusstsein, dass es eine gewisse Absurdität hat. Ich stehe vor meinen Behältern, und wenn die gelbe Tonne voll ist, frage ich mich: Darf ich jetzt was von der gelben in die graue Tonne tun? Wir trennen uns zu Tode, aber weil die überdimensionierten Müllverbrennungsanlagen nicht ausgelastet sind, werden sie mit importiertem Müll befeuert, um rentabel zu sein – auch mit Giftmüll, der unsortiert mitverbrannt wird. Solche Fälle gibt es ja überall, und das ist auch ein Thema in unserem Krimi.

"Wirklich grenzwertig finde ich dieses Getwittere während des Films"

Sind es die wiederkehrenden gesellschaftskritischen Themen, die den Bremer "Tatort" so beliebt machen?

Postel: Wir haben mittlerweile einen großen Fanclub, weil wir den Finger immer in Wunden legen. Zwischendurch geht es auch mal um Privatmorde, wie ich sie nenne, aber im Prinzip versuchen wir immer, Themen zu finden, die gesellschaftskritisch sind. Da treten Stedefreund und Lürsen auch mal in den Hintergrund, da sind wir relativ uneitel. Das ist sicher auch einer der Gründe, warum diese Konstellation schon so lange hält.

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Wird es irgendwann ein Techtelmechtel zwischen den beiden geben?

Postel: Nein, wenn die zwei ein Pärchen wären, das würde nicht funktionieren. Die Figuren sind beide Solisten – er hat eine gescheiterte Ehe, sie nur missglückte Beziehungen.

Vielleicht bekommt Inga Lürsen ja mal einen neuen Freund?

Postel: Die armen Menschen, die sich mit ihr einlassen, sterben ja leider immer schnelle Tode. Aber der Privatstrang hat bei uns sowieso nicht die Bedeutung wie bei anderen Kommissaren, weil wir das Gesellschaftspolitische in den Vordergrund stellen. Das ist unser Konzept.

Lesen Sie eigentlich, was Fans im Internet über Ihre "Tatort"-Einsätze schreiben?

Postel: Ich schaue schon, was die Leute über Inga Lürsen schreiben, und finde das auch ganz interessant. Aber tausend Leute haben eben auch tausend Meinungen. Wirklich grenzwertig finde ich dieses Getwittere über den "Tatort" während des Films. Entweder ich chatte oder ich gucke einen Film – dann muss ich mich aber auch darauf einlassen, sonst verpasse ich doch sämtliche Feinheiten.

"Ich habe mit dem Alter gar kein Problem, ich fühle mich eher wie 40"

Ihr 30. "Tatort" läuft kurz nach Ihrem 60. Geburtstag. Wissen Sie schon, wann Inga Lürsen in Rente gehen soll?

Postel: Nein, mir macht es immer noch unheimlich viel Spaß. In meinem Job kann ich ja arbeiten, solange ich gesund bin und solange die Leute mich sehen wollen. Gesund bin ich, und da wir gerade die Zehn-Millionen-Grenze geknackt haben, gibt es auch von daher keinen Anlass, was zu ändern. Ich bin ja auch permanent mit jüngeren Menschen zusammen, mit Kollegen, meinem Sohn und seinem Freundeskreis, und meinem Lebensgefährten. Ich habe mit dem Alter gar kein Problem, ich fühle mich eher wie 40.

Demnächst sind Sie im Ersten auch in "Die Kanzlei" zu sehen, der Fortsetzung der Anwaltsserie "Der Dicke" mit Dieter Pfaff, der voriges Jahr starb. Haben Sie gezögert, ohne ihn weiterzumachen?

Postel: Das war wirklich furchtbar. Dieter war nicht nur ein Kollege, sondern auch ein guter Freund, deshalb war es ein doppelter Schlag. Wir hatten schon mit dem Dreh begonnen – unter der Prämisse, dass er nach seiner Reha wieder einsteigt. Wir waren mitten in den Dreharbeiten, als er starb, und waren alle in einer Schockstarre. Zuerst dachten wir, es macht keinen Sinn, weiterzudrehen. Ich empfand das als Sakrileg, die Serie war doch sein Kind. Aber es wäre auch in Dieters Sinne gewesen, dass wir weitermachen. Er war als Mensch sehr sozial, und es hängen 45 Menschen mit ihren Arbeitsplätzen an der Serie. Wenn wir Schauspieler hingeschmissen hätten, wären diese Leute brotlos gewesen. Da hat man doch auch eine Verantwortung.

Wie finden Sie Herbert Knaup als neuen Anwalt?

Postel: Er ist ein toller Schauspieler und Kollege – und in seiner Skurrilität und Schlacksigkeit ist er ganz anders als Dieter. Gott sei Dank hat man nicht versucht, einen Ersatz für Dieter zu finden, denn den gibt es nicht.