Herr Boote, was war der Anstoß für Sie, "Population Boom" zu drehen?
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Werner Boote: Ich habe nach "Plastic Planet" viele Gespräche geführt, in denen sich Menschen gemeldet und gesagt haben: Wir haben viel zu viel Plastikmüll und verschmutzen die Welt - ist der Grund nicht einfach, dass es zu viele Menschen auf der Welt gibt? Mich hat das immer fürchterlich geärgert, weil ich nicht gewusst habe, ob das so ist und was ich darauf sagen soll. Ich wollte da nachhaken. Im Nachhinein habe ich schon gefühlt, dass das wie eine Ausrede geklungen hat. Ich bin auf die Suche gegangen nach der Herausforderung unseres Jahrhunderts, der Überbevölkerung, und wie man dem begegnen muss. Ich habe dann relativ schnell herausgefunden: Da stimmt etwas nicht, irgendwie ist das anders, als es sich in meinem Kopf fest verankert hatte.
Wie ist es denn? Hat die Erde überhaupt eine Maximalkapazität an Menschen?
Boote: Naja, die gibt's natürlich, überhaupt keine Frage. Aber das ist nicht die Frage, die wir uns stellen müssen, weil wir diese Zahl nie erreichen werden. Schon jetzt ist klar, dass die Bevölkerung schrumpfen wird. Wir produzieren jetzt schon so viele Lebensmittel, dass wir 9,6 Milliarden ernähren können - das ist der Zenit, den die Weltbevölkerung wohl 2040 erreichen wird. Die richtige Frage ist: Wie wollen wir uns entwickeln? Der ökologische Fußabdruck stieg in den Ländern sehr gering an, in denen die Menschen noch relativ viele Kinder bekamen. In den Ländern, wo die Menschen immer weniger Kinder bekamen, stieg der ökologische Fußabdruck am rasantesten an, sprich: in der westlichen Welt. Es ist ganz klar, dass wir uns so schnell als möglich in ein nachhaltigeres, faires Leben entwickeln müssen. Einfach um dafür zu sorgen, dass wir, wenn wir den Zenit erreichen, trotzdem noch einen gewissen Wohlstand für uns alle erhalten können. Das geht natürlich nur, wenn es alle zusammen wollen.
Wir können als westliche Staaten ja nicht sagen: Ihr dürft unseren Wohlstand nie erreichen.
Boote: Das ist eben diese Präpotenz, die oft an den Tag gelegt wird: Um Gottes Willen, wenn die anderen jetzt auch noch das wollen, was wir haben, wo kommen wir denn da hin? Das ist auf jeden Fall der falsche Ansatz.
"Dieses Dogma blockiert uns in der Entwicklung einer besseren Welt"
Sie waren weltweit unterwegs, in China, in Mexiko, Kenia, Japan, USA, Finnland, Bangladesh. In China hat Ihnen Hu Hungtao, Generaldirektor der Nationalen Kommission für Bevölkerung und Familienplanung, gesagt: "Ein Paar mit zu vielen Kindern ist eine Belastung für die Gesellschaft". Ist Ihnen das noch anderswo begegnet?
Boote: Ich bilde mir ein, dass es auch in unseren Breitengraden so gesagt wird, dass das Gefühl suggeriert wird: Um Gottes Willen, will man da jetzt noch einen neuen Erdenbürger in die Welt setzen, es gibt doch eh schon so viele! Und Bevölkerungsreduktionsprogramme gibt es nicht nur in China. Vor allem im lateinamerikanischen Raum und auf den Philippinen wurde sehr viel investiert in Fernsehsoaps. Die ehemalige amerikanische Botschafterin auf den Philippinen hat uns gesagt, diese Bevölkerungsprogramme funktionierten prächtig: Es wurden sehr viele Fernsehserien gemacht, in denen es darum ging, den Menschen "double income, no kids" oder maximal ein Kind schmackhaft zu machen. Diese Kampagne wurde auf sehr vielen Bereichen gefahren.
Sie erzählen ihren Film fast ohne Statistiken, sondern vor allem durch die Begegnung mit Menschen. Man hätte diese ganzen Zahlen zeigen können: So viele Menschen gibt es, das ist das tatsächliche Wachstum, so viele Menschen leben in Bangladesch und so weiter. Das haben Sie nicht gemacht. Warum?
Boote: Die Versuchung war natürlich groß, das so zu tun. Die ersten Schnittfassungen waren auch überladen mit Zahlen und Statistiken. Das Problem ist nur: Das nimmt die Emotionalität im Film weg, und das seine Stärke. Wenn man dadurch dann auf das Thema "Überbevölkerung" aufmerksam wird, ist es eigentlich sehr einfach, Statistiken zu finden und sie mit einer gewissen Distanz zu beurteilen.
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Ich glaube, dass durch den Film Menschen darauf aufmerksam gemacht werden, dass es vielleicht ein veraltetes Weltbild ist, ein festgefahrenes Dogma, das man überdenken muss. Nicht nur, weil es zutiefst unmenschliche und gefährliche Ideen hervorrufen und unterstützen kann, sondern weil uns dieses Dogma blockiert in jeder weiteren Entwicklung einer besseren Welt. Ich kann diese "Überbevölkerung" immer als eine Ausrede für Sachen verwenden. So wie es mir anfangs gesagt wurde: Wir haben so viel Plastikmüll - naja, es gibt halt zu viele Menschen auf der Welt. Ausrede! Wenn ich sage, ich bekenne mich zu dieser globalen Gemeinschaft, dann muss ich auch den Schritt machen: Gut, wir sollten vielleicht etwas gegen die Umweltverschmutzung machen, und ich bin auch Teil davon, habe also auch Verantwortung zu tragen, das Ganze in eine bessere Richtung zu wenden. Das ist notwendig, denn so wie wir uns jetzt entwickeln, ist es zu wenig nachhaltig und zu wenig fair.
"Was brauchst du wirklich, um glücklich zu sein?"
Mit "Plastic Planet" hatten Sie eine Botschaft, die jeder Einzelne umsetzen konnte: Weniger Plastik benutzen. "Population Boom" hat die Botschaft, die sie gerade genannt haben: Jeder Mensch ist gleich viel wert, und wir hätten eigentlich genug Platz und Ressourcen für alle. Aber wer soll sich diese Botschaft zu Herzen nehmen?
Boote: Jeder natürlich, jeder und jede! "Population Boom" ist ein viel komplexeres Thema. Aber ich versuche, mit "Population Boom" wieder für mehr Menschlichkeit zu plädieren. Das ist etwas, was in allen Bereichen uns ein bisschen abhandengekommen ist. Wir müssen uns dessen wieder stärker bewusst werden, wie wir miteinander umgehen - das ist so ein naiver Gedanke, aber es geht in alle Richtungen und hat überall einen enormen Wert! Ich kann gar nicht ausdrücken, wie wichtig das ist. Banaler Ansatz: Wenn sich zum Beispiel jemand von der Deutschen Bank zum Denken anregen lässt und die Botschaft des Films versteht, dann wird er vielleicht sagen: Vielleicht sollte die Deutsche Bank sich nicht mehr an Landraub in Afrika beteiligen, weil das auf Kosten der Menschen geht, die dort sind. Es kann auch die Gesetzgebung sein, die sagt, so sollte es nicht gemacht werden, wenn zum Beispiel kurzfristige Profitgier auf Kosten von Menschen geht, da muss ein Riegel vor.
Das Bild, was mir im Kopf geblieben ist, ist, wie Sie und ihr Interviewpartner in Afrika aus dem Jeep steigen und vor ihnen ist einfach nur fruchtbare, grüne, bewohnbare Weite, und da ist niemand. Welche Szene ist Ihnen vom Dreh am deutlichsten im Gedächtnis geblieben?
Boote: Wir haben dreieinhalb Jahre an dem Film gearbeitet, da hat es sehr viele Schritte gegeben. Einer der emotional stärksten Momente für mich war die Zugfahrt am Ende. Aber der Moment, der mir sehr viel zu kiefeln [zu denken, Anm.d.Red.] gegeben hat, war, wie mich der Massai in Kenia (den wir wirklich zufällig getroffen haben) gefragt hat: Naja, was brauchst du eigentlich, um glücklich zu sein? Da habe ich mich richtig auf den Schlips getreten gefühlt. Da habe ich mich dann gesehen als "Westler" und wie viel Unsinn ich schon glaube, was ich zum Glücklichsein benötige – aber dass ich einen gewissen Wohlstand auf der anderen Seite auch als sehr angenehm empfinde. Man muss dann irgendwann mal sagen: Was braucht man wirklich, um glücklich zu sein?
Hier stehen die Termine, wann und wo "Population Boom" im Kino läuft.