Jonathan hat sich sogar schon eine Wunschliste für den Osterhasen ausgedacht: "Die Benjamin Blümchen-Osterkassette, den Lego-Osterhasen, der so tolle Grimassen schneiden kann, einen Straßenhockeyschläger, und bitte, bitte auch eine Taschenlampe." Mutter Annika versucht die Wunschflut einzudämmen. "Du darfst dir ein Geschenk zu Ostern wünschen. So viel kann der Osterhase doch gar nicht tragen."
Aber Wünsche zurückstellen, das ist gar nicht so einfach. Schließlich wächst Jonathan wie in einer Art "Wunderland" auf, in der alles zu jeder Zeit zu bekommen ist. Selbst in Familien mit durchschnittlichem Einkommen sorgen Großeltern, Paten und Eltern oft dafür, dass Spielzeug und Kleidung die Schränke im Kinderzimmer zum Bersten bringen. Kindern und auch ihren Eltern mag die Vorstellung schwer fallen, dass das womöglich nicht immer so weiter geht.
Dabei ist für Fachleute inzwischen unbestritten, dass wir und die Generation unserer Kinder und Enkel uns vom "Immer-mehr" verabschieden müssen. Der Soziologe Meinhard Miegel, seit 2011 Mitglied der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages, prognostiziert: "In den wohlhabenden Industrieländern wird der materielle Wohlstand sinken und Umstellungen in unserem Verhalten und in unseren Einstellungen erzwingen."
Das bringt eine Herausforderung für Lebensstil und Erziehung mit sich. Denn die Mehrzahl derer, die nach dem Krieg geboren wurden, ist damit aufgewachsen, dass Wohlstand, Konsum, Technisierung und Mobilität stetig zunehmen. Angesichts von entfesselten Finanzmärkten, fortschreitender Naturzerstörung, Klimawandel und der absehbaren Knappheit an Ressourcen wie Erdöl, wächst die Erkenntnis: Ein Weiter wie bisher kann es nicht geben. Eine "Wohlstandsdämmerung" zieht herauf – verbunden mit der Einsicht, dass der Planet Erde den Raubbau an Rohstoffen und an Wasser, Erde und Luft nicht unbeschadet übersteht.
Kinder jetzt schon stark machen
"Wir leben habgierig und ungerecht gegenüber den Armen und auch gegenüber künftigen Generationen", ist die Sozialpädagogin Freya Pausewang überzeugt. "In einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum nicht möglich. Wir haben nicht zwei oder noch mehr Erdbälle, um weiter so leben zu können. Darauf müssen wir uns einstellen – und unsere Kinder stark für die Zukunft machen." Sie sieht die Herausforderung und die Möglichkeit, Kinder von klein auf für eine Zukunft stark zu machen, in der es andere Quellen für das Wohlgefühl als den Konsum oder die schnelle Erfüllung materieller Wünsche gibt: Entdeckung der eigenen kreativen Fähigkeiten, Bildung und Glaube. "Das Leben ist auch dann freudig, wenn ich mir nicht alle materiellen Wünsche erfülle. Mehr Zeit und weniger Hektik, Gemeinsamkeit, mehr Einklang mit der Natur und soziale Kontakte, auch das macht doch reich! Es gibt so viel zum Freuen – und diese Freude kann man mit Kindern doch leben", findet sie.
Dabei bedeutet ein anderer Lebensstil nicht in erster Linie Verzicht, sondern, so beschreibt es Harald Weltzer, einer der Vordenker für einen Paradigmenwechsel, "im besten Fall auch ein Mehr an Zeit, Ruhe und Kontakt zu Menschen und zur Natur". Gefragt ist deshalb eine Erziehung, die Kinder zur Mitgestaltung, zu Ideenreichtum und zum respektvollen und einfühlsamen Umgang mit Mensch und Natur ermutigt.
Eltern haben Vorbildfunktion
Dazu ist nötig, dass die Generation der Eltern und Großeltern sich erst einmal selbst mit dem Gedanken anfreundet, dass weniger mehr sein könnte. Glauben wir selbst, dass Sein wichtiger ist als Haben? Denn auch hier gilt: Vorbild und Einstellung der Eltern sind für Kinder stets prägender als Ermahnungen oder Belehrungen.
"Kinder brauchen zuallererst verlässliche Beziehungen und Kontakte, in denen sie sich ausprobieren und einbringen können", so der Kinderarzt, Wissenschaftler und Autor Herbert Renz-Polster. Kinder sollten erleben können, wie befriedigend es ist, etwas selbst zu machen. Genau wie der Neurobiologe Gerald Hüther plädiert Renz-Polster dafür, Kindern die Gelegenheit zu geben, die Welt und die Natur beim Selbsttun und Begreifen zu entdecken und dabei ihre Sinne einzubeziehen. Das Experimentieren und Spielen mit Naturmaterialien könne die Achtsamkeit und Respekt für die Schöpfung wecken und fördern.
Psychologin: Sein ist wichtiger als Haben
"Für eine stabile Entwicklung des Kindes ist das Sein weit wichtiger als das Haben. Wenn die Grundbedürfnisse wie Ernährung, Wohnen, angemessene Kleidung, Bildung und Gruppenbezug erfüllt sind, leidet das Kind bei weiterer Knappheit in seiner Entwicklung kaum. Menschen in ärmeren Ländern entwickeln sich bei geringer materieller Ausstattung gesund und psychisch stabil", stellt die Pädagogin Pausewang fest.
Sie ermutigt Eltern dazu, eine "ökologische und global-soziale Ethik anzubahnen". Kinder, die erleben, dass ihre Eltern für diakonische, soziale oder ökologische Projekte Zeit und Geld einsetzen, werden auch als Erwachsene stark genug sein, eine Gesellschaft mitzugestalten, in der Wachstum und Wohlstand nicht mehr Hauptquelle von Lebenszufriedenheit sind.
Jonathans Eltern jedenfalls hoffen für Ostern auf gutes Wetter. Die Idee eines Picknicks im Freien jedenfalls findet auch Jonathan toll. Schließlich hat er beim Backen des Osterlamms geholfen. Ostereier gibt es natürlich auch – und wer weiß, vielleicht auch sonst noch eine Kleinigkeit, die der Osterhase tragen konnte.