Fernseher vor gelbem Hintergrund
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23. Dezember, ARD, 22.30 Uhr:
TV-Tipp: "Udo!"
Auch wenn Udo Jürgens eigentlich nicht in diese Schublade gehört: Er selbst, Roy Black und Rex Gildo waren viele Jahre lang die mit Abstand erfolgreichsten deutschsprachigen Sänger. Musikalisch gab es zwar erhebliche Unterschiede, weil die Lieder des Österreichers dem französischen Chanson deutlich näher waren als dem Schlager, aber es gibt tragische biografische Parallelen. Eine Dokumentation.

Alle drei trugen einen Künstlernamen, und tatsächlich war die Person, die sie in der Öffentlichkeit verkörperten, zu großen Teilen eine Kunstfigur. Gildo durfte aus Image-Gründen seine mutmaßliche Homosexualität nicht ausleben, Roy Black litt an Depressionen; angesichts der jeweiligen Todesumstände lässt sich nicht ausschließen, dass sich beide das Leben genommen haben. 

Der am 21. Dezember 2014 verstorbene Udo Jürgens ist immerhin achtzig Jahre alt geworden, und anders als den Kollegen war ihm bis zum Schluss eine über alle Maßen erfolgreiche Karriere vergönnt. Ein rundum glücklicher Mensch war jedoch auch er nicht, wie das Porträt "Udo!" nahelegt. Mit der sehenswerten Dokumentation beschließt die ARD einen Abend, der um 20.15 Uhr mit der Show "Udo Jürgens Forever" beginnt; Stars wie Howard Carpendale, Vanessa Mai, Wencke Myhre oder Conchita Wurst ehren den Kollegen mit eigenen Versionen seiner größten Erfolge und erinnern sich an persönliche Begegnungen.

Im Vergleich zu diesem Glamourgedöns schlägt "Udo!" (22.30 Uhr) eine ganz andere Note an. Der einstündige Film ist beileibe kein Denkmalsturz, aber gerade die Aussagen der 1967 geborenen Jürgens-Tochter Jenny sind recht kritisch. "Papa war immer weg" lautet einer ihrer Schlüsselsätze: Den Preis des Ruhms musste vor allem die Familie bezahlen. Eine zweite Bemerkung verdeutlicht, wie zwiespältig ihre Gefühle für den Vater immer noch sind: "Papa war eine verlorene Seele." In diese Richtung gehen auch die Schilderungen von Jürgens’ jüngerem Bruder. Aus den Erzählungen des Malers und Fotografen Manfred Bockelmann wird am ehesten deutlich, dass Schein und Sein nicht deckungsgleich waren: Im wirklichen Leben sei Udo "ein Autist und immer einsam" gewesen. 

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Jürgens’ selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass seine Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit auf dem Klagenfurter Gutshof der vermögenden Eltern längst nicht so schön waren wie die seines Bruders. Damals gab es den Begriff "Mobbing" im Deutschen noch nicht, aber er dürfte recht gut treffen, was dem wegen seiner abstehenden Ohren gehänselten Junge widerfahren ist. Aus den Aussagen des 1964 geborenen Sohn John spricht ebenfalls viel Mitgefühl, wenn er den Vater als "Getriebenen" bezeichnet. Erika Meier ist weniger gnädig. Die Mutter von Jenny und John klingt sehr verbittert und wirft ihrem Ex-Mann vor allem seine Unfähigkeit zur ehelichen Treue vor. Einer der vielen Seitensprünge deckte sich auf verblüffende Weise mit einer Beziehung, die Jürgens 1966 in seinem ersten großen Hit "17 Jahr, blondes Haar" besungen hatte; im selben Jahr kam eine nichteheliche Tochter zur Welt.

Natürlich befassen sich die Autoren David Kunac und Sebastian Dehnhardt in ihrem unter anderem durch private Aufnahmen aus dem Familienarchiv illustrierten Film auch mit der Karriere des begnadeten Komponisten. Seine erste große Liebe war der Jazz, ein kurzer Ausflug in die Welt des Schlagers bereitete ihm wenig Vergnügen. Erst der legendäre Musikproduzent Hans R. Beierlein wies ihm jenen Weg, der ihn mit über 100 Millionen verkauften Tonträgern zum Weltstar werden ließ. Der Sieg mit "Merci, Chérie" im dritten Anlauf beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, wie der European Song Contest früher hieß, war sein Durchbruch. Es folgten Hits, die bis heute auch all’ jene mitsingen können, die nie eine Schallplatte oder CD von Udo Jürgens erworben haben: "Immer wieder geht die Sonne auf" (1967), "Griechischer Wein" (1974), "Ein ehrenwertes Haus" (1975). Selbstredend erklingen diese Lieder auch in der Doku, die dafür mehrfach auf das letzte Konzert am 7. Dezember 2014 in Zürich zurückgreift. 

Sehenswert ist "Udo!" jenseits der Musik und der privaten Eindrücke nicht zuletzt als zeitgeschichtliches Dokument. Als die Jugend Ende der Sechzigerjahre aufbegehrte, passte sich Jürgens dem neuen Zeitgeist an. Sein vom Satiriker Eckart Hachfeld getextetes Lied "Lieb Vaterland" (1971) führte zu einer mit viel Hingabe geführten Kontroverse, die in der Frage gipfelte, ob eine "Märchentante des Kapitalismus", wie er von linken Musikkritikern bezeichnet wurde, glaubwürdig politische Lieder singen könne.