Dr. Stefanie Schardien
privat
Dr. Stefanie Schardien
Erhellend. Unterwegs im Advent
Stefanie Schardien: "Wandeln im Licht des Lebens"
"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Stefanie Schardien macht sich Gedanken über diese Worte aus dem Johannes Evangelium. Gerade in der dunkelsten Zeit des Jahres rückt uns ins Bewusstsein, was uns fehlt und wonach wir uns auf einmal so sehnen: Licht.

In diesem Jahr hatte der Juli 237 Sonnenstunden. Ein gewöhnlicher Dezember hat nur rund fünfzig. So betrachtet dürfte "das Licht der Welt" eigentlich eher ein Sommerthema sein. Der Sommer ist hell mit seinem frühen Sonnenaufgang und den kurzen Nächten. Aber nein, genau dann drehen sich unsere Gedanken nicht so sehr um das Licht. Unsere Freude daran und unser Nachdenken darüber verlagern wir sehr intensiv auf diese Zeit im Dezember, auf den Advent und dann auf das große lichte Finale: Den Heiligen Abend und das Weihnachtsfest. Gerade in der dunkelsten Zeit des Jahres rückt uns ins Bewusstsein, was uns fehlt und wonach wir uns auf einmal so sehnen: Licht. Also treffen wir Maßnahmen gegen die Dunkelheit. Wir zünden Kerzen an, hängen Lichterketten auf und verschenken leuchtende Sterne. Wir schmücken den Christbaum, dekorieren den Esstisch festlich für ein schönes Essen und freuen uns daran, wie hübsch die Städte und Dörfer erleuchtet sind. Nimm das, Finsternis!

Das Konzept "Licht" scheint erst mit dem Konzept "Finsternis" so richtig aufzugehen. Es braucht den Nachthimmel, damit der Stern zeigt, was er kann. Kerzen bei der Sommer-Gartenparty sind nett, aber eben nicht so durchdringend wie abends in meinem Wohnzimmer am Heiligen Abend. 
Nun gibt Weihnachten 2024 in puncto Finsternis als Hintergrundfolie für das Leben so ziemlich alles. Und dabei wären die wenigen Sonnenstunden wohl unser kleinstes Problem. Vielmehr ist es die Liste der düsteren Gedanken und Nachrichten, die mindestens so lang wie eine Woche voller Winternächte am Stück und die Sehnsucht nach Licht vergrößert. Allerorten höre ich Menschen seufzen, aus tiefem Herzen. Über die privaten Nöte und Traurigkeiten, aber immer öfter auch über die großen Sorgen der Welt. Viele fürchten, dass mit dem Weltfrieden und dem Klima doch am Ende irgendwie alles den Bach runtergeht. Der Letzte macht das Licht aus… Dann ist für immer zappenduster.  

Vor kurzem saß ich in der modernen Kapelle eines katholischen Tagungshauses. Eine große Nische war in die Wand eingelassen: Sie war komplett schwarz getüncht. Davor eine alte Marienfigur mit dem Jesuskind auf dem Arm. Ein kleiner Lichtspot von der Decke war genau so gesetzt, dass er diese kleine Jesusfigur zum Leuchten gebracht hat. Sofort hatte ich die Worte Jesu im Ohr: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Wie ein Lichtstreif können die Worte in dieser Zeit ins düster vor sich hin pochende Herz treffen. Auch Jesus redet von seinem Licht nicht, ohne die Finsternis als Gegenspielerin zu erwähnen. Im Licht zu sein, ist kein Automatismus. Das Dunkel ist noch um uns und immer besteht die Gefahr, dass wir hineingeraten. 

Wer übrigens in der Bibel auf das schaut, was vor diesem leuchtenden "Ich-bin"-Wort geschieht, der findet eine düstere Geschichte: eine Ehebrecherin soll gesteinigt werden. Der Tod mit seiner Dunkelheit zieht herauf. In quasi letzter Sekunde rettet Jesus die Frau davor, unter den Steinen begraben zu werden und schenkt ihr das Licht des Lebens. 

So sehr wir am Heiligen Abend spüren, dass wir ohne den frühen dunklen Abend den Lichterschein des Christbaums oder der Kerzen auf dem Tisch nicht so wunderschön finden würden, so wenig tauglich ist diese Idee für den Rest des Lebens: Zwar erzählen Menschen nach einer Krankheit im Rückblick, dass sie auf einmal die Gesundheit besonders schätzen; zwar erinnern wir, wie wundervoll die ersten gemeinsamen Feiern nach der einsamen Corona-Zeit war - doch sträubt sich etwas in mir, diese Arten von Finsternissen im Leben als Vorbedingung für die Erfahrung des Lichts am Ende des Tunnels quasi würdigen und vielleicht gar für wünschenswert halten zu müssen. "Wer weiß, wofür das gut ist?" Solche Sätze können Menschen in dunklen Momenten nicht immer gut hören. Diese dunklen Seiten gehören zu dieser Welt und aus manchen kann ich etwas lernen, erfahren, mitnehmen. Zugleich gehört es aber zu meiner tiefen Glaubenshoffnung, dass am Ende das "Licht der Welt" das letzte Wort – oder eben den letzten Schein auf alles – haben wird. 

Dafür kann der Heilige Abend, dafür können die Weihnachtstage mit ihren Kerzen am Christbaum und den funkelnden Sternen darin stehen: Nimm das, Dunkelheit des Lebens! In diesen Tagen, an denen viele von uns mehr Zeit zuhause, bei Freunden oder Familie verbringen, wo man am späten Nachmittag oder Abend oder gar in der tiefen Nacht in die Kirche geht, da nehmen wir noch einmal besonders wahr: soviel Dunkel um uns. Aber heute können wir eben auch an die Hoffnung erinnern: Heute kommt der – zugegeben: erst einmal im Miniatur-Format – aber es kommt jener, der von sich sagen wird: Ich bin das Licht der Welt. Bleib um mich. Bei mir heißt auch für dich die Zielperspektive "Wandeln im Licht des Lebens".

 

Irgendwann restlos und für immer. Darauf hoffe ich. Das Konzept Finsternis wird irgendwann, am Ende aller Zeiten, in der Ewigkeit ausgedient haben. Ich stelle mir vor, dass wir Licht dann ohne sein Gegenteil, ohne dunkle Kontrastfolie spüren können. Viele Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben, erzählen immer wieder das: alles war plötzlich nur noch voller Licht. Wie anders sollte ich mir Ewigkeit anders vorstellen, als dass dort Frieden ohne Krieg, Gerechtigkeit ohne Ausbeutung, Hoffnung ohne Verzweiflung herrscht. Lichtes Leben ohne finstere Sorgen. 

Solange wir da noch nicht angekommen sind, können wir diese Gedanken, diese Hoffnung aber schon einmal feiern: Am Heiligen Abend und Weihnachten geben wir dem Licht des Lebens seinen großen Auftritt und nehmen seinen Sieg über die Dunkelheit vorweg. 

Denn der Letzte, auf den wir hoffen, lässt das Licht an.