Kerstin Krebs steht auf dem Bürgersteig gegenüber dem Würzburger Congress Centrum, schwarzer Mantel, schwarze Kappe, klamme Hände. An ihr vorbei rauscht der Verkehr, ihre Stimme ist kaum zu hören. Krebs ist zur Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angereist, die am Montag im Congress Centrum über den Umgang mit sexualisierter Gewalt diskutiert. Betroffene, zu denen auch Krebs gehört, haben für den Tag eine kleine Demonstration angemeldet, um ihre Unzufriedenheit mit dem Tempo und dem Umgang der EKD mit dem Thema Missbrauch zu zeigen.
"Dass wir hier an der Bordsteinkante stehen müssen, zeigt doch, wie die Kirche uns sieht: als Außenseiter", sagt Krebs. Später möchte sie als Gast im Plenum zuhören, wenn die mehr als 120 Delegierten der Synode erstmals seit Veröffentlichung der bundesweiten ForuM-Studie über Konsequenzen für den Umgang mit Missbrauchsfällen in evangelischer Kirche und Diakonie beraten.
Auch Henning Stein, Vater eines behinderten Sohnes, der in einem schulischen Wohnheim der Diakonie missbraucht wurde, ist zur Demo gekommen. Er war Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der ForuM-Studie und mahnt die Kirche zu einer demütigen Haltung im Angesicht der Verbrechen, die in ihren Reihen geschehen sind.
Im Januar nach der Veröffentlichung der Studie hatte Stein von der EKD als "Institution aus Teflon" gesprochen. "Alles perlt ab", sagte er damals. Ob die Stimmen der Betroffenen durch den Lärm der fahrenden Lkw ins Tagungszentrum dringen oder ob ihre Wünsche und Kritik an der Institution abprallen, muss die EKD-Synode auch in der Ernsthaftigkeit beweisen, mit der das Thema am Montag diskutiert wird. Schwerpunktthemen der Synodentagung sind Migration und Menschenrechte. Wie glaubwürdig die Kirche von dem einen sprechen kann, hängt auch davon ab, wie konsequent sie Menschenrechtsverletzungen in den eigenen Reihen aufarbeitet.
Die ForuM-Studie offenbarte Mängel: eine Führungs- und Leitungskultur, in der Verantwortlichkeit nicht klar erkennbar war. Eine reaktive Aufarbeitung, die mangels Transparenz zu weiteren Opfern führte. Die Forschenden sprachen von einem gefährlichen "Milieu der Geschwisterlichkeit". Wenn Betroffene sich den Wünschen und Vorstellungen der Institution widersetzten, erlebten sie Ausgrenzung und Stigmatisierung.
Verzögerungen verärgern Betroffene
Seit Januar wurde an den 38 Empfehlungen der Forschenden im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der EKD gearbeitet. Herausgekommen ist ein zwölf Punkte umfassender Maßnahmenplan, der auf der bis Mittwoch tagenden Synode beschlossen werden soll. Verzögert hat sich hingegen eine Richtlinie für ein einheitliches System von Anerkennungsleistungen. Darüber sind viele Betroffene verärgert.
Dass die EKD dort noch nicht weiter ist, liegt auch an der fehlenden Zustimmung der 20 Landeskirchen und 17 Diakonie-Landesverbände. Auch der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum, Detlev Zander, hält seinen Unmut in seiner Rede vor der Synode nicht zurück. Gerne hätte er berichtet, dass ForuM alles verändert habe, sagt er. "Doch der große Aufschrei ist ausgeblieben."
Landeskirchen "Beine machen"
Der Aufschrei bleibt auch mitten im "Milieu der Geschwisterlichkeit" aus: In der Aussprache zum Bericht aus dem Beteiligungsforum melden sich drei Synodale. Angela Rinn, Theologieprofessorin aus Hessen, sagt, sie sei beschämt, dass die Arbeit im Beteiligungsforum so mühsam vorangehe und oftmals an die Belastungsgrenze der Beteiligten komme, wie Zander und seine Kollegin Nancy Janz es schildern. Die Synodale Nicole Grochowina mahnt die Delegierten, ihren Landeskirchen "Beine zu machen" bei der Umsetzung der Empfehlungen.
Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, die als Vertreterin der EKD im Beteiligungsforum sitzt, spricht engagiert und wendet sich auch an das Kollegium der leitenden Geistlichen der Landeskirchen, die der Debatte ebenfalls zuhören: Bis in den letzten Winkel müsse spürbar werden, dass man anders Kirche sein wolle und die eigenen Werte ernst nimmt.
Kerstin Krebs ist nach Ende der gut zweistündigen Beratungen ernüchtert. Die Kirche gehe auf Nummer sicher, aber Selbstkritik oder gar "Power" vorwärtszukommen, habe sie nicht gespürt.