evangelisch.de: Herr Bohli, wie kann man sich das vorstellen?
Erich Bohli: Statt eines Grabsteins ist in der Schweiz nun auch ein QR-Code am Grab des Verstorbenen möglich. Das hat nun das Bevölkerungsamt der Stadt Zürich bewilligt. Durch das Scannen des Codes kann die auf www.meet-my-life.net hinterlegte Autobiographie der Verstorbenen heruntergeladen und gelesen werden.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Online-Texterin und Marketing-Coach. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Die Autobiographien der interessierten Menschen werden bei uns automatisch mit einem QR-Code versehen. Was liegt also näher, als dass die Angehörigen von meet-my-life.net-Autorinnen und -Autoren das Andenken an Verstorbene wachhalten, indem sie diesen QR-Code auch auf dem Grabstein anbringen?
Die Besucherinnen und Besucher des Grabes können dann zu Hause, oder schon auf dem Heimweg, die ganze Lebensgeschichte des oder der Verstorbenen lesen – und allenfalls auch weitergeben. Was nun im Friedhof Nordheim Zürich erstmals möglich ist. Selbstverständlich haben die Hinterbliebenen schon vorher Gelegenheit, den QR-Code in Todesanzeigen und/oder Danksagungen sowie Abdankungen und Nachrufen zu verwenden.
Wie kamen Sie zu dieser Idee eines QR-Codes?
Bohli: Vor über sieben Jahren kamen in der Schweiz auf breiterer Basis die ersten Anwendungen auf. Wir gingen deshalb der Frage nach, ob wir nicht alle unsere Lebensgeschichten auch damit versehen könnten. Der Gedanke war, allen, die eine Lebensgeschichte nicht am PC lesen wollten, das Lesen unterwegs zu erleichtern. Also ohne jedes Mal unsere Webseite und die Texte aufzurufen, einfach den via QR-Code jederzeit auf dem Smartphone abrufbaren Text zu lesen, bzw. weiterzulesen.
Schon damals starrten ja im öffentlichen Verkehr alle in ihr Handy. Unser Webmaster fand eine Lösung und seither ist jede auf meet-my-life.net lesbare Lebensgeschichte automatisch mit einem QR-Code versehen. Der Steinmetzt hat den Code genau gleich wie das Foto brennen lassen und denn in den Stein eingesetzt. Das Element ist also unabhängig vom Stein – und könnte auch überall sonst verwendet werden. Allenfalls auch mehrfach….
Ausgangspunkt war wie gesagt, es den Lesenden bequemer zu machen und mehr Leute zum Lesen des ganzen Textes zu bringen. Das würde dann auch zu mehr Rückmeldungen an die Autorinnen und Autoren führen, was ja alle freut und zum Schreiben motiviert.
Aber wir dachten damals schon ein wenig weiter und sahen die praktische Verwendung im Falle des Ablebens: In den Todesanzeigen, Abdankungen, Danksagungen, Nachrufen und letztlich auf dem Grabstein, der Urne. Entsprechend unserer wissenschaftlichen Vision, Lebensgeschichten als Kulturgut und Teil unserer Erinnerungskultur auf breiter Basis zu verbreiten und möglichst lange zu erhalten. Gerade auch für spätere wissenschaftliche Forschungsarbeiten - auch religiöser Art.
Gibt es denn eine Nachfrage?
Bohli: Im Mai diesen Jahres ist meine Frau verstorben. Als "Erfinder" der Integration eines QR-Codes in die Lebensgeschichten war es für mich naheliegend, meine Idee umzusetzen, um sie konkreten zu nutzen.
Bei uns direkt sind allerdings bisher praktisch keine Anfragen zu diesem Thema eingegangen. Wir haben jedoch auch keinen Überblick, ob und wie oft diese praktische Funktion benutzt wird. Ich vermute jedoch, dass der Gedanke, sich jetzt schon um die Verwendung des QR-Codes zu kümmern, noch ein wenig skurril wirkt. Es wäre ja eigentlich ein Thema für die Hinterbliebenen. Aber in den schweren Momenten des Abschiednehmens ist das gewiss nicht das, was bei den Hinterbliebenen "top of mind" ist.
"Publikations-Auftrag" bereits zu Lebzeiten stellen
Nachdem unsere Medieninformation dieser konkreten Verwendung und Bewilligung auf vielversprechendes mediales Interesse gestoßen ist, könnte sich das eventuell langsam ändern. Wir glauben jedoch, dass die Autoren selbst noch zu Lebzeiten aktiv werden müssten. Z.B. mit einem "Publikations-Auftrag" an die Hinterbliebenen, wie und wo der QR-Code zu verwenden sei. Die Frage ist, wieweit es ein Tabu ist, sich mit seinem eigenen Ab- und Nachleben zu befassen. Wir werden das Thema nun sicher unseren in Newslettern unseren Autorinnen und Autoren wieder näher bringen.
Welchen "Vorteil" hat es gegenüber eines herkömmlichen Grabsteins?
Bohli: Wir hatten nie den Gedanken, in die konventionellen Bestattungsrituale einzugreifen. Wir wollten einfach nur dem Pfarrer und der Pfarrerin die Arbeit erleichtern. Eigentlich sehen wir es als Aufwertung des Grabsteins, indem er nun vielmehr Informationen vermittelt, als das bisher der Fall ist. Aber der Grabstein kommt ja erst viele Monate nach dem Ableben. Die Verwendung in den davorliegenden Kommunikationen wäre noch naheliegender und effektiver. Sofern daran gelegen ist, das Leben Verstorbener auf breitere Basis publik zu machen.
Glauben Sie, dass ist zukunftsweisend? Wird es ihrer Meinung nach in Zukunft nur QR-Codes geben?
Bohli: Falls diese Möglichkeit genügend bekannt wird und nicht seitens der Behörden Steine in den Weg gelegt werden, sollte jeder Grabstein als Medium zu Ehren und Erinnerung der Verstorbenen so genutzt werden. Alles andere wäre eine große Geldverschwendung.
Natürlich hoffen wir, dass diese Verwendungsmöglichkeit eine weitere Motivation ist, Lebensgeschichten auf meet-my-life.net zu schreiben und öffentlich zu erhalten. Wir möchten aus wissenschaftlicher Motivation (nicht kommerziellen Gründen) einen möglichst großen Schatz an Autobiographien aufbauen.
Dann ist eventuell ein teurer Grabstein gar nicht nötig?
Bohli: Das glaube ich nicht. Ein Eingriff in die traditionellen Rituale war auch nie in unseren Köpfen. Aber eine Aufwertung schon. Irgendwie braucht es ja einen physischen, lange haltenden "Träger" für den Code.
meet-my-life ist eine Internetplattform, auf der Lebensgeschichten nicht nur online geschrieben und gespeichert werden, sondern auf Wunsch gleich auch publiziert werden können. Das 2014 aus der Universität Zürich heraus mit Hilfe von Swisscom-Hosting gegründete, weltweit einzigartige und nicht kommerzielle Unternehmen wird von Coop als Hauptsponsor unterstützt und arbeitet eng mit dem Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft (ISEK) der Universität Zürich zusammen.