Der Begriff "irreguläre Migration" hat sich in den vergangenen Monaten im Sprachgebrauch durchgesetzt. Was heißt das eigentlich?
Dieter Bökemeier: "Viele sprechen von "irregulärer" oder "illegaler" Migration im Gegensatz zu einer offiziell erlaubten Einreise, zum Beispiel zur Aufnahme einer Arbeit, Ausbildung oder zur Familienzusammenführung."
Was sind die Unterschiede?
Bökemeier: Eine erlaubte Einreise geschieht mit einem regulär gewährten Visum und mündet in einen entsprechenden Aufenthaltstitel. Es reisen aber auch Menschen ohne gültiges Visum ein, also zunächst formal unerlaubt. Dies gilt für fast alle Flüchtlinge. Denn: Um Schutz in Deutschland zu beantragen, bekommt man kein Visum. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 formuliert aber, dass jeder Mensch das Recht hat, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen.
Das Recht hat man also, nur in Anspruch nehmen kann man es nur, wenn man zunächst "irregulär" einreist. Aber in dem Augenblick, indem man zu erkennen gibt, dass man Schutz sucht, also Asyl beantragt, ist eine möglicherweise unerlaubte Einreise "geheilt". Dann sind die Schutzsuchenden legal hier. Sie haben Anspruch auf eine rechtsstaatliche Prüfung ihres Anliegens und erhalten solange eine Aufenthaltsgestattung.
Früher hieß es, Menschen auf der Flucht kommen nach Deutschland, heute heißt es irreguläre Migration. Was ist passiert?
Bökemeier: Passiert ist, dass schutzsuchende Menschen unser Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention ernst nehmen. Und passiert ist, dass viele in der Politik sehr lautstark kommunizieren, dass unser Land dadurch überfordert sei. Ich bin überzeugt: Das stimmt so pauschal nicht. Aber dieses Narrativ setzt sich durch ständige Wiederholung und die Propaganda der extremen Rechten immer mehr fest.
Und so wird dann von "illegaler" oder "irregulärer" Migration gesprochen, um Verschlechterungen des Asylrechts und der Lebensbedingungen von Asylsuchenden zu rechtfertigen. Denn gegen etwas vermeintlich "Illegales" – so das Kalkül – scheint ja jedes Mittel recht. Dabei – siehe oben – ist das Stellen eines Asylantrages absolut legal. Illegal dagegen wäre eine Zurückweisung der Schutzsuchenden an der Grenze oder wenn ihr Schutzersuchen nicht sorgfältig geprüft würde – etwa in fragwürdigen Schnellverfahren.
Ist mit mehr Abschiebungen und Grenzkontrollen irgendetwas gewonnen gegen islamistische Gefährder in Deutschland?
Bökemeier: Ich glaube kaum. Wichtig wäre vielmehr, sehr überlegt und mit Kraft gegen islamistischen und anderen Terror vorzugehen. Dazu können gewisse Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheitsbehörden gehören. Wichtig ist aber auch die Stärkung von Präventionsarbeit – übrigens genauso gegen rechten Terror.
Und: Wichtig ist ein gesellschaftliches Klima der Offenheit, das sich gegen Pauschalverurteilungen wehrt und zum Beispiel zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden weiß. Es ist unverantwortlich, stattdessen die Ursache nur wieder in der Migration zu suchen. Die Gefahr wird so kaum kleiner, stattdessen werden menschliche Härten, Spannungen und Diskriminierungen gefördert.