Wie sind Sie denn darauf gekommen, so etwas in der Kirche anzubieten?
Tia Pelz: Bevor ich nach Ziegelstein gekommen bin, habe ich dreieinhalb Jahre mit meiner Familie in den USA gelebt. Da konnte ich mich Halloween natürlich überhaupt nicht entziehen. Ich habe dort auch erlebt, dass sowohl die lutherischen als auch andere Kirchen inzwischen einen positiven Zugang zu Halloween haben. Manche Kirchen sind komplett gruselig dekoriert. In Bayern war für mich klar, wenn der 31. Oktober kein Feiertag ist, können wir als Kirche gegen einen Tag, an dem Kinder kostenlos Süßigkeiten kriegen und sich verkleiden dürfen, nur verlieren. Da kann der schönst gestaltete Reformation-Familiengottesdienst nicht mithalten. Deswegen dachte ich mir: Wenn ich an diesem Tag Reformation feiern will, muss ich Halloween integrieren. Es ist mein Ansatz zu sagen: Ich nehme das auf, was die Menschen bewegt und was sie feiern, und bringe es, wenn es geht, zurück in die Kirche oder gehe dahin, wo die Menschen sind.
Welche gemeinsamen Themen haben denn Halloween und der Reformationstag?
Pelz: Es ist ja kein Zufall, dass die beiden Feiern auf den gleichen Tag fallen. Da ist Luther, der mit seinen persönlichen Ängsten und Zweifeln konfrontiert war. Er befasste sich mit der Frage, wie bekomme ich einen gerechten Gott, um keine Angst mehr haben zu müssen. Und Halloween ist das Fest vor Allerheiligen, bei dem es darum geht, noch einmal zu zeigen: Die Geisterwelt hat keine Macht über uns, wir haben keine Angst vor Geistern, wir sind stärker. Da passt es für mich super zusammen, als Pfarrerin zu sagen: Gott ist stärker, Geister haben keine Macht, und es reicht nicht, zu sagen, es gibt sie nicht. Halloween ist nicht viel anders als Karneval, den wir ja ganz selbstverständlich in den Kirchen haben. Es gibt Karnevalspredigten und Faschingsgottesdienste. Da haben wir auch keine Berührungsängste. Halloween ist nichts traditionell Deutsches, aber auch ich bin schon vor 20 Jahren herumgelaufen und habe Süßigkeiten gesammelt.
Auf was müssen sich Familien in Ihrer Kirche am Donnerstag einstellen?
Pelz: Die Kirche wird gruselig dekoriert sein, mit Geistern, Kürbissen, ganz viel Lichterketten und Lichtinstallationen - vielleicht finden wir auch noch eine Nebelmaschine. Wir werden eine biblische Geschichte über eine Totenbeschwörerin hören. Die meisten wissen gar nicht, dass sie in der Bibel steht. Wir werden Lieder gegen die Angst singen und werden vor allem mit Luther überlegen, was hilft alles gegen die Angst? Ein Lied, das am Reformationstag nicht fehlen darf, ist: "Ein feste Burg ist unser Gott". In der dritten Strophe heißt es: "und wenn die Welt voll Teufel wär". Dann wird über den sauren Fürsten gesprochen - also, besser kann es ja gar nicht passen: Süßes oder Saures, wir vertreiben das Saure mit Süßem. Ich glaube, das wäre in Luthers Sinn.
Sie haben einen solchen Gottesdienst im vergangenen Jahr schon mal gefeiert. Wer saß denn da so vor Ihnen in der Kirchenbank?
Pelz: Es kamen viele Vampire, Hexen, ein paar Clowns, viele Geister, auch große Geister übrigens. Die Eltern waren fast alle verkleidet. Teufel waren einige dabei, die haben wir nicht rausgeworfen. Auch der Tod, also ein Sensenmann, und durchaus dunkle Gestalten waren dabei. Einer der Mitarbeiter wird Martin Luther sein, der durch den gesamten Gottesdienst führt.
Wie ist der Grusel-Gottesdienst denn im vergangenen Jahr angekommen?
Pelz: Meine Jugendlichen waren ganz Feuer und Flamme. Sie investieren in die Vorbereitung auch dieses Jahr wieder sehr viel Zeit. Und dann kamen sehr viele Familien, die ich gar nicht so oft in der Kirche sehe, auch katholische Familien. Das Feedback war überwältigend, alle fanden es fantastisch: "Können wir das bitte nächstes Jahr wieder machen?"
Fanden denn auch Gemeindemitglieder die Idee nicht so gut?
Pelz: Absolut! Es gibt immer Menschen, die erst mal mit dem Begriff fremdeln. "Gruselkirche" fanden manche wirklich komisch. Ich habe es ihnen dann erklärt. Einige der Kritikerinnen und Kritiker sind auch gekommen, um sich das mal anzuschauen. Und am Ende waren sie überzeugt, weil es ein Erfolg war. Die wenigsten sind aus theologischen Gründen kritisch, sondern weil sie zunächst sagen, das kennen wir nicht, das hatten wir noch nicht.
Nach dem Gottesdienst werden an diesem Tag natürlich auch bei Ihnen noch Kinder an der Haustüre klingeln und Süßes oder Saures rufen...
Pelz: Mir macht es inzwischen Riesenspaß, Süßigkeiten zu verteilen. Es ist der einzige Tag, an dem ich fremden Menschen ohne Bedingungen Süßigkeiten schenke. Das ist für mich tatsächlich ein Sinnbild: Luther spricht darüber, dass Dinge alleine aus Gnade passieren. Natürlich bin ich nicht Gott, aber sich klarzumachen, dass wir eine Chance haben, Menschen einfach ohne Bedingungen freundlich zu begegnen, finde ich wirklich im reformatorischen Sinne.