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14. Oktober, MDR, 23.10 Uhr
TV-Tipp: "Das Mädchen mit den goldenen Händen"
Zu Beginn dieses Films mit dem schönen Titel "Das Mädchen mit den goldenen Händen" erklingen die ersten Zeilen aus einer Geschichte der Gebrüder Grimm.

Das Märchen "Das Mädchen ohne Hände" der Gebrüder Grimm ist eine grausame Moritat: Der Teufel verspricht einem verarmten Müller Reichtum, wenn er ihm im Gegenzug überlässt, was hinter der Mühle steht. Dort ist ja bloß der Apfelbaum, denkt der Müller, und lässt sich auf den Handel ein; aber der Teufel hatte es auf seine Tochter abgesehen. Das Mädchen greift zu einer List, weshalb ihm der Vater auf Geheiß des Teufels sogar die Hände abhackt. Später zieht die junge Frau in die Welt hinaus und findet nach allerlei Irrungen und Wirrungen doch noch ihr Glück. 

Am Schluss des Films erklingen die Zeilen nochmals, der Verweis auf das Märchen hat also eine große Bedeutung für das Regiedebüt der Schauspielerin Katharina Marie Schubert. Die Filmhandlung scheint jedoch eine gänzlich andere Geschichte zu erzählen. Sie beginnt mit einem runden Geburtstag: Lehrerin Gudrun (Corinna Harfouch) wird sechzig. Die Feier findet im Saal jenes seit Jahren leerstehenden Kinderheims statt, in dem sie einst aufgewachsen ist. Der halbe Ort gibt sich Ehre, die Stimmung ist prächtig, aber mit der guten Laune der Jubilarin ist es schlagartig vorbei, als sie erfährt, was offenbar bereits jeder weiß: Der Bürgermeister (Jörg Schüttauf) will das Gebäude verkaufen.

Gudrun ist empört: Sie träumt davon, aus dem Haus einen Ort der Begegnung zu machen, und nun soll die Stätte ihrer Kindheit verscherbelt werden. Den symbolischen Preis von einer Mark würde sie gern zahlen, doch mit dem Kaufvertrag wären Zahlungsverpflichtungen in Millionenhöhe verbunden: Das Haus muss komplett renoviert werden; Investoren aus dem Westen wollen ein Hotel daraus machen. Geschickt verknüpft Schuberts Drehbuch fortan Gudruns Geschichte mit typischen Ost/West-Konflikten. Die Handlung spielt 1999 irgendwo in Brandenburg, und schon der Prolog offenbart die Kluft: Im Zug aus Berlin hört Gudruns Tochter Lara (Birte Schnöink), wie sich ein überhebliches Wessi-Pärchen über die Ortsnamen lustig macht; während der Feier erzählt ein talentloser Komiker unlustige Wessi-Witze.

Lara hat ihr Elternhaus schon vor Jahren verlassen, sie repräsentiert die nächste Generation; natürlich nehmen ihr die Daheimgebliebenen übel, dass sie "abgehauen" ist. Es geht um die tiefen Gräben aus der Nachwendezeit, die bis heute verhindern, das zusammenwächst, was zusammengehört. Die einen schauen nur nach vorn, die anderen nur zurück, aber man könne den Menschen doch nicht alles wegnehmen, was ihnen etwas bedeute, sagt Gudrun zum Bürgermeister. Das baufällige Heim mag auch die DDR symbolisieren, doch es steht vor allem für Heimatverlust.  

Schubert, deren Mutter einst aus der DDR geflohen ist, hat ihren Film nach dem langen Prolog in drei Kapitel aufgeteilt. Sie gelten Gudrun, Lara und ihrem Stiefvater Werner (Peter-René Lüdicke). Nach einem Verkehrsunfall muss Gudrun ins Krankenhaus. Lara, die nie erfahren hat, wer ihr leiblicher Vater ist, will der Mutter ein paar Sachen bringen und stößt beim Stöbern auf rätselhafte Spuren der Vergangenheit. Bei dieser Gelegenheit bekommt sie auch die goldenen Hände, als bei einem Kästchen die Farbe abblättert.

Sie beschließt, den Hinweisen auf den Grund zu gehen, und besucht in Berlin zwei Menschen, die einst in Gudruns Leben eine große Rolle gespielt haben. Die Erzählungen einer Therapeutin (Imogen Kogge) und eines Malers (Stephan Bissmeier) lassen die hartleibige Mutter, die mit ihrer Sturheit ständig alle vor den Kopf stößt, in einem anderen Licht erscheinen. Bei der Besetzung hat Schubert darauf geachtet, dass die Mitwirkenden – zu nennen wären noch Ulrike Krumbiegel und Gabriela Maria Schmeide – ostdeutsche Wurzeln haben.

Wo das nicht der Fall war, etwa bei Birte Schnöink, die so etwas wie die Entdeckung des Films ist, passt die westliche Sozialisation zumindest zur Biografie der jeweiligen Figur. Bei der Umsetzung ihres Drehbuchs hat sich Schubert allerdings wie so viele Schauspielerinnen und Schauspieler, die nach vielen Jahren vor der Kamera ihren ersten Langfilm drehen, vor allem auf die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen konzentriert.

Handwerklich wirkt die zudem nur äußerst sparsam mit Musik unterlegte Inszenierung mit ihren langen Einstellungen sehr reduziert; die Kamera (Barbu Balasoiu) bleibt meist statisch. Den bühnenerfahrenen Mitgliedern des Ensembles kommt ein derartiger Stil natürlich entgegen, aber filmisch ist das etwas enttäuschend. Schubert hat dennoch den Preis der Deutschen Filmkritik für den besten Film bekommen, Harfouch ist als beste Schauspielerin ausgezeichnet worden.