Marktstand
epd-bild / Jens Schulze
Auch auf dem Markt kann sich hinter knackig frischem Gemüse fragwürdiges Gedankengut verbergen.
Fragwürdige Ökoproduzenten
Lebe gesund?
In Deutschland gibt es viele Bio- und Ökoprodukte, die mit einem zertifizierten Siegel versehen sind. Doch solch ein Biosiegel ist keine Pflicht und die Zertifizierung zudem teuer. So werden auf Märkten und in Einkaufsläden oft auch Produkte verkauft, die sich ohne Siegel das Image von "Bio" und "Öko" geben. Bei manchen stecken fragwürdige Produzenten dahinter. Ein Hintergrundinterview mit Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der lutherisch-bayrischen Landeskirche mit Dienstsitz in München.

evangelisch.de: Herr Pöhlmann, wir sind auf die Webseite von "Lebe Gesund" gestoßen. Da werden leckere Basilikum-Pesto, Dinkel-Spirelli-Bärlauch, gut aussehende Brote, feine Aufstriche oder Heimatprodukte vom Land des Friedens angeboten. Was ist dagegen einzuwenden?

Matthias Pöhlmann: Gegen eine gesunde Ernährung ist natürlich nichts zu sagen. Nur muss man wissen, dass dieser Versand "Lebe Gesund" zu den Umfeldinitiativen der umstrittenen fränkischen Neureligion "Universelles Leben" gehört. Seit vielen Jahren sind diese Marktstände in deutschen Städten präsent, ungefähr 40 derzeit. Es gibt auch einzelne Läden, wo über diese Produkte hinaus auch Literatur des Universellen Lebens vertrieben und verkauft wird. Auf den Marktständen findet man solches Werbematerial allerdings nicht, weil das in der Vergangenheit von manchen Marktleitern untersagt wurde.

Aber im Impressum von "Lebe Gesund" findet sich nur eine Adresse in Marktheidenfeld. Da ist keine Rede vom "Universellen Leben".

Pöhlmann: Es ist eben eine Umfeldinitiative des Universellen Lebens. Das heißt, wenn man sich die Adresse anschaut, Marktheidenfeld, dort befinden sich im Gewerbezentrum auch das Einkaufsland "Alles fürs Leben", die Sophia-Bibliothek des Universellen Lebens und auch das Zelt Gottes bei den Menschen. Nichts gegen die Qualität der Produkte, aber die wenigsten wissen das. Ich war vor vielen Jahren in der Sophia-Bibliothek, aber inzwischen habe ich Hausverbot, weil ich angeblich die Urchristinnen und Urchristen verunglimpfe.

Matthias Pöhlmann ist landeskirchlicher Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen.

Mag doch jeder glauben, was er will. Und wenn das dann noch mit gesunder Ernährung finanziert wird. Wo ist das Problem?

Pöhlmann: Das Universelle Leben sieht sich selbst als urchristlich an. Es wird heftig polemisiert gegen die so genannte Baalskaste, gegen die Priester. Man legt sich neue Offenbarungen zu Grunde. Teilweise ist es so, dass man die Bibel aus dem Verkehr ziehen möchte, weil sie verfälscht sei. Im Zentrum steht die Prophetin Gabriele Wittek, die sich für das absolute Gesetz hält. Da gab es in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung: Von Schwester Gabi sind wir jetzt inzwischen bei der Inkarnation der göttlichen Sophia. Das ist ein sehr anmaßender Anspruch. Es gibt letztlich ein Gerichtsurteil, dass das Universelle Leben als totalitäre Organisation bezeichnet werden darf, weil Kritik intern nicht vorgesehen ist.

Na gut, es gibt auch Kirchengemeinden, wo der Pfarrer nicht gerne kritisiert wird. Was ist genau problematisch beim Universellen Leben?

Pöhlmann: Das ist schon ein wesentlicher Unterschied: Kein Pfarrer würde sich als "Lehrpropheten der Jetztzeit" bezeichnen. Religionswissenschaftlich könnte man sagen, dass es sich bei dem Universellen Leben um eine Neureligion handelt, die zwar christliche Begrifflichkeiten verwendet, aber mit einem außerchristlichen Inhalt versieht. Darüber hinaus sprechen wir von einer sehr konfliktträchtigen Gruppierung. Es gibt Beispiele von Aussteigerinnen und Aussteigern, die davon berichten, in welche Abhängigkeit sie geraten sind, insbesondere weil sie so in dem System gefangen waren, weil dieser hohe Anspruch vertreten wird, keine Kritik geäußert werden darf. Es gibt manche, die auch ihr persönliches Geld in diese Gruppe eingebracht haben, wo sie dann auch Mühe hatten, es wieder zurückzubekommen. Diese Fälle liegen allerdings weiter zurück.

Das wollte ich gerade sagen, die Hochzeit des Universellen Lebens ist doch schon lange her, oder?

Pöhlmann: Es ist in der Tat viel ruhiger geworden um das Universelle Leben. In den vergangenen Jahren wurden viele juristische Auseinandersetzungen geführt, eben auch gegen meine lutherische Kirche in Bayern. Aber das war früher. Ich habe jetzt den Eindruck, das Universelle Leben bereitet sich auf die Zeit nach Gabriele Wittek vor. Sie ist die Lehrprophetin der Jetztzeit und das Zentrum des Universellen Lebens. Aber sie ist Jahrgang 1933.

Also wird es bald ein Universelles Leben ohne Prophetin geben?

Pöhlmann: Es ist klar, nach Gabriele Wittek als Lehrprophetin wird es keine Nachfolgerin oder keinen Nachfolger geben. Und das Universelle Leben zieht nur noch wenige junge Menschen an. Früher hat man gesprochen von etwa 10.000 Mitgliedern, ich schätze heute sind es noch 1000 bis höchstens 2000. Zu den Veranstaltungen, die im Sophia-TV übertragen werden, kommen maximal 400 bis 600 Anhänger.

Also hat das Universelle Leben das gleiche Problem wie Ihre und alle anderen Landeskirchen. Es gibt immer weniger Mitglieder. Was aber nun tun mit "Lebe Gesund"? Sollte man das nicht mehr kaufen, um nicht weiter das Universelle Leben mitzufinanzieren?

Pöhlmann: Das war immer eine Testfrage. Wenn ich Vorträge gehalten habe, waren oft auch UL-Anhänger im Zuhörerraum. Man wolle, dass ich mich dazu hinreißen lasse, jetzt diese "Lebe Gesund"-Produkte zu boykottieren. Das werde ich natürlich nicht tun, sondern ich sage: Wichtig ist, dass man als Käufer und Käuferin informiert ist und dass man dann für sich eine verantwortungsvolle Entscheidung trifft.

Verlassen wir Franken und schauen auf die Bundesrepublik. Gibt es weitere Beispiele von "Öko" und "Bio", hinter denen problematische Gruppen und Strömungen stehen?

Pöhlmann: Ja die so genannte Anastasia-Bewegung. Da könnte man sagen: Grüne Schale, brauner Kern. Es gibt Beispiele, wo einzelne neben ihren Öko-Produkten auch ihre Ideologie vertreiben. Ein Beispiel ist Robert Briechle in Unterthingau im Allgäu, der auch Perma-Kultur macht, wogegen nichts zu sagen ist. Gleichzeitig aber wird bei Veranstaltungen Werbung für die sehr umstrittene Buchreihe Anastasia gemacht, obwohl man als Außenstehender denkt, das ist doch ein harmloser Öko-Bauer.

Anastasia-Bücher? Was ist dagegen zu sagen?

Pöhlmann: Es ist eine Buchreihe aus Russland. Da wird ein Mythos verbreitet. Es geht um Anastasia, eine junge Frau aus Sibirien. Sie soll dem Icherzähler begegnet sein. Sie gilt als eine Nachfahrin einer idealtypisch beschriebenen wedrussischen Kultur, die es schon vor der Christianisierung gegeben haben soll. Anastasia kann mit Tieren kommunizieren, sie ernährt sich nur von Früchten und Nüssen, sie hat einen Heilstrahl. Sie wird in diesen Büchern als Erlösergestalt dargestellt. 

Ja, aber das ist doch eine hübsche Fantasy-Geschichte.

Pöhlmann: Aber das ist nur die eine Seite. In diesen Büchern findet man ganz klar antisemitische Aussagen und Stereotypen. Man findet rassistisches Gedankengut. Und auch antidemokratische Vorstellungen, etwa wenn es heißt, dass es sich bei der Demokratie in Wahrheit um eine Irrokratie handeln würde.

Also bio-öko und rechtsradikal?

Pöhlmann: Die Anastasia-Bewegung ist ja nicht zentral organisiert. Sie gleicht mehr einer Szene, die in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten ist, die seit 2023 bundesweit beobachtet wird und als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt wird. Ich spreche von Anastasianismus, um den ideologischen Kern der Sache deutlich zu machen. Das sind Themen, die in dieser Bewegung aufgegriffen werden, die in unserer Gesellschaft gefragt sind: Ökologie, Esoterik, Spiritualität, authentisches Wissen, das so genannte wedrussische Wissen einer idealtypischen vorchristlichen russischen Kultur oder die Sehnsucht nach alternativen Lernformen. 

Mit Erfolg? 

Pöhlmann: Wenn man sich anschaut, mit wem der Öko-Bauer Briechle Kontakte und personelle Vernetzungen betreibt, so ist das schon eine Art Netzwerk. Zu nennen ist etwa der Reichsbürger Frank Willy Ludwig aus Liepe bei Eberwalde. Briechle betreibt auch die "Mutterhofakademie". Bei dieser Mutterhofakademie finden Kurse statt, wo es um nachhaltige ökologische Landwirtschaft geht. Aber dort finden auch Vorträge von dem umstrittenen, angeblichen Bildungsexperten Ricardo Leppe statt, der auch die Anastasia-Bücher empfiehlt und auch ein Anhänger der so genannten Germanischen Neuen Medizin ist.

Und es gibt auch Anhänger, wenn man in Richtung Norden und Osten schaut.

Pöhlmann: Im Blick auf die Anastasia-Bewegung haben wir in Brandenburg das goldene Grabow. Dort haben sich mehrere Familien zu einer größeren Anastasia-Lebensform zusammengeschlossen. Der Grundgedanke ist dabei, einen Familienlandsitz zu gründen, der der Selbstversorgung dient. Ein anderes Beispiel ist Weda Elysia in Wienrode im Harz, wo man Grundstücke und Gebäude aufgekauft hat, etwa eine Dorfschenke. Anhänger der Anastasia-Bewegung führten öfter beim Berliner Reichstag Volkstänze mit dem Rechtsextremisten und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling, dem so genannten Volkslehrer auf. Der war ja auch ganz vorne dabei beim Sturm auf die Reichstagstreppe bei der großen Querdenker-Demo in Berlin. Überhaupt ist das Phänomen der völkischen Siedler ein Problem etwa in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern. Dort wird versucht, Bioprodukte an den Mann und an die Frau zu bringen. Dass die Rechtsextremen das Thema Umweltschutz für sich entdeckt haben, ist schon länger zu beobachten. Der Slogan: Umweltschutz ist Heimatschutz. Blut und Boden ist der Kern der Vorstellungen, und da versucht man die entsprechenden Produkte anzubieten.

Heißt also: Augen auf beim Einkauf, wenn es um Bio- und Ökoprodukte geht und kritisch nachfragen, woher sie stammen?

Pöhlmann: So würde ich das empfehlen. Denn "Bio" und "Öko" sollte eben nicht naiv und blauäugig heißen.