Getty Images/iStockphoto/vicnt
5. September, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Alles gelogen"
"Alles gelogen" wirkt im Vergleich optisch ähnlich sparsam wie das Silvesterkammerspiel "Kurzschluss" (2002) mit Anke Engelke und Matthias Brandt, das Haffner zuvor für den WDR gedreht hatte.

Kleine Lügen bringen Würze in den Alltag. Hier eine Schmeichelei, dort eine Ausrede oder ein beherztes "Wir schaffen das": Wer es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nimmt, kommt im Leben weiter. Auch Hajo Siewers hat ein entspanntes Verhältnis zur Wirklichkeit. Als Mitarbeiter eines Autohauses gehört es quasi zu seinem Berufsbild, den Menschen Träume zu verkaufen: "Wir sollten das beste Leben leben, nicht das günstigste"; auf diese Weise wird beispielsweise ein braver angehender Familienvater zum Cabrio-Typ. Im Privatleben sieht sich Hajo ebenfalls auf der Sonnenseite, selbst wenn das nur bedingt der Realität entspricht.

Zwar lassen sich nicht alle Probleme weglächeln, aber oft hilft eine moderate Verdrehung der Tatsachen, um sie getreu seiner Devise "Die Wahrheit ist biegsamer als eine Banane" in angenehmerem Licht erscheinen zu lassen. Dabei ist Hajo weder ein Blender noch ein notorischer Lügner. Er möchte einfach, dass sich alle wohlfühlen, und deshalb erzählt er seinen Mitmenschen, Gattin Vera (Katrin Wichmann) eingeschlossen, was sie hören wollen. Ausgedacht hat sich das Ralf Husmann, für seine Drehbücher zu "Stromberg" und "Dr. Psycho" mit dem Grimme-Preis und diversen anderen Auszeichnungen geehrt, und gerade die Dialoge des Films sind von gewohnter Qualität.

Dennoch gebühren Bastian Pastewka die Meriten nicht minder, weil ihm ein echtes Kunststück gelingt: Als Hajo wieder mal zu spät zur Arbeit kommt und die Chefin (Pina Kühr) endgültig die Nase voll von seinen Eskapaden hat, greift er zur krassesten aller nur denkbaren Notlügen und erzählt, seine Frau sei gestorben. Damit setzt er eine Spirale in Gang, die schließlich alles zu zerstören droht, was er sich aufgebaut hat. Dank Pastewka bleibt er trotzdem Sympathieträger; ohne Mitgefühl für diesen Mann, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird, würde die Geschichte vermutlich auch nicht funktionieren. Regie führte Erik Haffner, der zuletzt für Paramount+ die fesselnd inszenierte Serie "Kohlrabenschwarz" (2023) gedreht hat. Von deren optischem Einfallsreichtum ist bei der Umsetzung von Husmanns Drehbuch nicht viel zu sehen.

"Alles gelogen" wirkt im Vergleich optisch ähnlich sparsam wie das Silvesterkammerspiel "Kurzschluss" (2002) mit Anke Engelke und Matthias Brandt, das Haffner zuvor für den WDR gedreht hatte. Einzige auffällige Einstellung ist der Blick auf den zunehmend nervösen Hajo im Büro der Schulrektorin aus der Perspektive der Wanduhr. Die Mitwirkenden sind allerdings ausnahmslos sehenswert, zumal die Geschichte ihnen viel Spielmaterial liefert, denn die Handlung entwickelt eine unerwartete Komplexität. Ursache für die Verspätung ist der Schultermin: Hajos Sohn wird verdächtigt, Laptops geklaut zu haben. Tatsächlich hat sich Marvin (Arthur Gropp) auf zwielichtige Gestalten eingelassen, mit denen Husmann bald darauf auch seinen Antihelden konfrontiert.

Weil der Schwindel so gut funktioniert hat, verwendet Hajo die Lüge ein weiteres Mal, und nun nimmt sie endgültig eine fatale Eigendynamik an: Ein Polizist (Tim Seyfi) verdächtigt ihn, die Gattin ermordet zu haben, und schließlich ist sogar Marvin überzeugt, dass seine Mutter gestorben sei. Im Hintergrund geht es zudem noch um ein echtes Verbrechen, das den Kommissar überhaupt erst ins Spiel gebracht hat. Das sorgt prompt für weitere Komplikationen, zumal Hajo vom Gatten (Holger Stokowski) seiner Chefin in diesem Zusammenhang um eine "winzig kleine Notlüge" gebeten wird. Lügen, lautet eine weitere von Hajos Devisen, "haben kurze Beine, aber auf denen kann man auch schnell laufen." Diesmal allerdings zieht sich die Schlinge um seinen Hals mit jeder weiteren Unwahrheit unbarmherzig enger zu. 

Zwischendurch findet Husmann trotzdem immer wieder Zeit, den Autoverkäufer als liebevollen Ehemann und fürsorglichen Kollegen zu schildern. Zentrale Figur einer ausführlichen Nebenebene, die das Drehbuch geschickt mit dem Hauptstrang verknüpft, ist die von Lina Beckmann als Mauerblümchen verkörperte Empfangsdame im Autohaus: Birgit wird vierzig und macht sich keinerlei Hoffnungen, dass sie in ihrer zweiten Lebenshälfte mehr Glück haben wird als in von der furchtbaren Mutter (Birgit Berthold) dominierten ersten. Als sie sieht, wie der angebliche Witwer eine vermeintlich fremde Frau küsst, nötigt sie ihn dazu, sich bei der Geburtstagsfeier als ihr neuer Freund auszugeben. Hajo spielt diese Rolle mehr als überzeugend und kontert die Gemeinheiten der Mutter mit derart süßen Komplimenten, dass sich Birgit prompt in ihn verliebt.