Wenn ich derzeit mit meinem Fahrrad durch Dresden fahre, zwischen der Universität im Süden der Stadt, meiner WG in der Dresdner Neustadt oder auch einem meiner Arbeitsorte, dem sächsischen Landtag, ist eine Sache nicht zu übersehen: Wahlplakate. Schon seit der Europawahl vor einigen Monaten sind sie allgegenwärtig, aber jetzt kurz vor den Landtagswahlen am 1. September hier in Sachsen, scheint es, als würde die Stadt in der Flut der Gesichter und Parolen versinken. Und während ich so an ihnen vorbeiradle, kommen mir viele Fragen in den Kopf.
Was bedeutet Mission heute? Das ist nicht leicht zu beantworten. Doch mission.de will genau das. Hier kommen Menschen zu Wort, die weltweit in Mission und Ökumene vernetzt und zuhause sind und etwas zu sagen haben. Ein Blog gibt Raum für pointierte Meinungen, aktuelle Themen und Beiträge zu laufenden Diskursen. mission.de ist eine Initiative evangelischer Missionswerke, Verbände und Kirchen unter dem Dach der Evangelischen Mission Weltweit (EMW).
Henriette Greulich studiert Politik und Verfassung und ist überzeugt: Es ist essenziell, dass die Kirche ihre Stimme erhebt, wenn Grundwerte unserer Demokratie, wie die Menschenwürde oder die Gleichberechtigung, bedroht werden.
Die Evangelische Mission Weltweit (EMW) ist eine Gemeinschaft von evangelischen Kirchen, Werken und Verbänden in Mission und Ökumene. Missionstheologie, theologische Ausbildung weltweit, Schöpfung und Nachhaltigkeit, Dialog der Religion, interkulturelle und kontextuelle Theologien sowie Frieden und Gerechtigkeit gehören zu den Themen der Dach- und Fachorganisation.
Denn sehr präsent sind derzeit auch die Umfragewerte zur kommenden Landtagswahl und die Gespräche in meinem Freundeskreis darüber. Was machst du, wenn die AfD die Mehrheit im Parlament gewinnt? Bleibst du in Dresden dann weiterhin wohnen? Unterstützt du den Wahlkampf einer demokratischen Partei, weil du doch noch etwas freie Zeit im Sommer hast? Suchst du das Gespräch mit den Nachbar:innen vielleicht doch mal und erzählst, was sich ändern würde, wenn eine als rechtsextrem eingestufte Partei in Sachsen noch mehr Macht bekommt und eventuell sogar an der Regierung mitwirkt? Dabei merke ich, wer eher optimistisch und wer eher pessimistisch eingestellt ist, wer überlegt, strategisch zu wählen und auch wer Angst vor kommenden Veränderungen der politischen Lage in Sachsen hat.
Die politische Rolle der Kirche
Bei mir persönlich kommt dabei auch immer eine bestimmte Frage auf: Welche Rolle sollte die Kirche in diesem politischen Trubel spielen? In einer Zeit, in der die antidemokratischen und rechtsextremen Kräfte zunehmen, scheint es für mich notwendiger denn je, über die Rolle der Kirche in der politischen Sphäre nachzudenken. Für mich ist die Kirche, als Institution, an sich politisch und hat deswegen eine Rolle zu spielen. Wenn ich mit dem Fahrrad durch die Dresdner Altstadt fahre, sind die großen Kirchengebäude nicht wegzudenken. Sie sind präsent in der Stadt: historisch zerstört und wieder aufgebaut worden, sind sie auch in der Gegenwart ein Symbol der Stadt Dresden.
Es sind Orte, die während des Zweiten Weltkrieges zerstört worden sind, und Orte, an denen die Geschichten der friedlichen Revolution noch zu hören sind. Dort hängt auch mal eine Regenbogenflagge vor der Tür und es finden politische Themenabende statt. Die Kirche ist eine Institution, die sich tief in unserer Gesellschaft eingebettet hat und dabei nicht nur spirituelle, sondern auch moralische Orientierung bietet. Sie hat eine lange Tradition, sich in politische Debatten einzumischen. Das geht von der Unterstützung der Menschrechte bis hin zur klaren Abgrenzung von Extremismus und Ausgrenzung. Diese Haltung ist kein Versuch, sich in die Parteipolitik einzumischen. Es ist vielmehr ein Ausdruck der christlichen Werte, die die Kirche vertritt: Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Solidarität.
Christliche Werte im politischen Alltag leben
Ich finde es essenziell, dass die Kirche ihre Stimme erhebt, wenn Grundwerte unserer Demokratie, wie die Menschenwürde oder die Gleichberechtigung, bedroht werden. In einer Demokratie, die auf dem Respekt vor dem Individuum und auf sozialer Gerechtigkeit basiert, kann die Kirche nicht schweigen, wenn diese Prinzipien von politischen Akteur:innen untergraben werden. Ihr Engagement stärkt die demokratischen Strukturen und schafft ein Gegengewicht zu den Stimmen, die versuchen, unser politisches System zu destabilisieren.
Doch die Frage, wie politisch Kirche sein soll, endet nicht bei der Institution. Sie betrifft auch jede:n einzelne:n von uns, die/der sich als Christ:in versteht. Die Bibel gibt uns klare Anweisungen, wie wir unser Leben gestalten sollen: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist einer der bekannten Leitsätze für das Leben und ist eben auch ein politisches Statement. Deswegen sollte das Politische auch außerhalb des Privaten und innerhalb der Kirche, in Gottesdiensten, in Botschaften und natürlich auch in Gesprächen thematisiert werden.
Im Kontext der bevorstehenden Landtagswahlen müssen wir uns überlegen, wie wir diese Werte in unserem politischen Handeln umsetzen. Ich finde dabei insbesondere, dass wir als Christ:innen dazu aufgerufen sind, uns aktiv an der Demokratie zu beteiligen, sei es durch Wahlen oder durch gesellschaftliches Engagement. Das bedeutet auch, dass wir diejenigen unterstützen, die für eine gerechte und inklusive Gesellschaft eintreten, und uns gegen jene stellen, die diese Werte bedrohen.
Evangelische Kirche als Stütze der Demokratie
Ein Aspekt, der oft übersehen wird, ist die Rolle der evangelischen Kirche als Modell politischer Teilhabe. Innerhalb der Kirche gibt es vielfältige Möglichkeiten der Mitbestimmung: von der Gemeindearbeit bis hin zu den übergeordneten Synoden, in denen wichtige Entscheidungen diskutiert und getroffen werden. Diese Strukturen sind ein Ausdruck lebendiger Demokratie und fördern dabei insbesondere die Fähigkeit, demokratische Prozesse zu verstehen und aktiv mitzugestalten.
Indem die Kirche demokratische Prinzipien vorlebt, stärkt sie somit auch das Vertrauen in politische Institutionen. Sie zeigt, dass Teilhabe nicht nur ein politisches Recht, sondern eine Pflicht ist, die aus unserer christlichen Verantwortung erwächst. Gerade in einer Zeit, in der das Misstrauen gegenüber Politik und Institutionen wächst, kann die Kirche als positive Kraft wirken und Menschen ermutigen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.
Wenn ich am Ende meines Weges mein Fahrrad anschließe und meine Gedankengänge zur aktuellen politischen Lage zu Ende gehen, habe ich derzeit ein positives Gefühl. Mein Glaube lässt mich mit Zuversicht in die Zukunft schauen, auch weil ich weiß, dass ich zu einer Kirche gehöre, die aktiv für die Demokratie und Menschenrechte einsteht, die sich gegen Ausgrenzung und für die Menschenwürde einsetzt. Auch wenn nicht alles gut läuft, weil in dieser Kirche Menschen unglaubliches Leid zugefügt wurde, weil sie globale Machtverhältnisse oft immer noch reproduziert und eben nicht ein safer space für alle ist, sehe ich die vielen aktiven Menschen in ihr und den Weg, den wir an Gottes Hand zusammen gehen.
evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.