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28. August, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Unschärferelation der Liebe"
In filmischen Romanzen verbringen die Menschen erstaunlich wenig Zeit mit der Suche nach dem Glück. Meistens fällt es ihnen in den Schoß, und oft genug merken sie das erst, wenn es beinahe zu spät ist.

So ergeht es auch Metzgermeister Alexander, dem unfreiwilligen Helden dieser Liebesgeschichte, wobei seine brüske Reaktion zunächst durchaus verständlich ist: Als er gedankenverloren an einer Bushaltestelle steht, wird er Opfer einer zärtlichen Attacke, die durchaus den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt. Mit diesem Übergriff ist die Sache allerdings noch längst nicht beendet: Die Angreiferin erweist sich als äußerst hartnäckig und überschüttet den bedauernswerten Mann zudem mit einer Verbalkaskade, wie er sie garantiert noch nie erlebt hat. Dies ist der Auftakt zu einer Liaison, die angesichts der offenkundigen Gegensätze eigentlich unmöglich ist; vom Altersunterschied ganz zu schweigen. 

Für Caroline Peters und Burghart Klaußner ist "Die Unschärferelation der Liebe" ein Fest, auch wenn Peters vermutlich die zehnfache Menge an Text lernen musste; die Bezeichnung "Quasselstrippe" umschreibt Gretas Wortschwall nicht annähernd. Erschwerend kommt hinzu, dass sie sich spontan allerlei Geschichten ausdenkt; der zurückhaltende Alexander kann sich nie sicher sein, wann sie die Wahrheit sagt. Trotz der Abfuhr bei der ersten Begegnung gibt Greta nicht auf: Einige Tage später erscheint sie in seinem Laden und setzt das unterbrochene Gespräch quasi nahtlos fort, und tatsächlich taut der Fleischer auf. Aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz beginnt das ungleiche Paar eine Beziehung, die jedoch abrupt zu enden scheint, als Greta endlich das wahre Motiv ihres Annäherungsversuchs preisgibt. 

Das Drehbuch, das Regisseur Lars Kraume gemeinsam mit der zweifachen Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön ("Frau Böhm sagt nein", "Der letzte schöne Tag", 2010/2013) geschrieben hat, basiert auf dem Theaterstück "Heisenberg" von Simon Stephens. Der Filmtitel bezieht sich auf die Erkenntnis Werner Heisenbergs, Begründer der Quantenmechanik, dass Ort und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar seien.

Klaußner und Peters haben ihre Rollen bereits 2016 auf der Bühne verkörpert. Schon damals war Klaußner derart vom filmischen Potenzial des Stoffs überzeugt, dass er die Verfilmung eigenhändig initiiert hat. Bei der Wahl des Regisseurs musste er vermutlich nicht lange überlegen: Für Kraume (Grimme-Preise für "Dunckel" und "Guten Morgen, Herr Grothe", 2000/2008, Deutscher Fernsehpreis für "Terror – Ihr Urteil", 2017) hat er bereits die Titelrolle des mit mehreren Deutschen Filmpreisen gewürdigten Dramas "Der Staat gegen Fritz Bauer" (2015) gespielt.

Die Inszenierung mit ihren kräftigen Farben gibt Klaußner recht, selbst wenn die radikale Reduziertheit des Ensembles natürlich ungewöhnlich ist; abgesehen von einem winzigen Gastauftritt Carmen-Maja Antonis als Kundin, die ausgerechnet in der Metzgerei fleischfreies Hack kaufen will, sind Greta und Alexander die einzigen Sprechrollen. 

Dank der diversen Schauplatzwechsel ist dennoch vom Bühnenhintergrund nichts zu spüren, zumal das Paar einige gemeinsame Spaziergänge unternimmt. In diesen Bildern, aber mehr noch in der Anfangssequenz wird das eigentliche Thema der Handlung deutlich: "Die Unschärferelation der Liebe" erzählt nicht zuletzt eine Geschichte über urbane Einsamkeit; dazu passt auch der mitunter melancholische Jazz, der einige Szenen untermalt. Zu Beginn des letzten Akts, als Gretas Geständnis für eine vorübergehende Trennung sorgt, zeigt die nach außen zurückweichende Kamera (Jens Harant) Alexander allein am Panoramafenster seiner Wohnung. Plötzlich wirkt dieser Mann, der doch so überzeugt war, mit sich im Reinen zu sein, sehr allein. Anschließend schaut der Film noch bei den verwaisten Orten vorbei, die das Paar zuvor gemeinsam besucht hatte. 

Gerade die schweigsamen Momente gehören ohnehin zu den stärksten, weil sie lakonisch Alexanders Wandel verdeutlichen. In der Auftaktszene, als die Kamera aus dem Bus heraus typische Großstadtimpressionen einfängt, hat er noch den Eindruck vermittelt, er ruhe in sich selbst. Mit zunehmender Dauer wird immer deutlicher, dass er sich schon viel zu lange in stets denselben Gleisen bewegt. Dazu passt auch sein Geschäft, das an eine alte Dorfmetzgerei erinnert. Einzig sein erstaunlich vielfältiger Musikgeschmack verrät das Potenzial, das Greta offenbar schon früh in ihm erkannt hat. Gegen Ende stellt Alexander fest, er habe erst jetzt im fortgeschrittenen Alter gelernt, wie das Leben richtig zu leben sei; gerade noch rechtzeitig.