Die Evangelische Kirche von Westfalen muss neu nach einem Nachfolger für die im November zurückgetretene Präses Annette Kurschus suchen. Der einzige Bewerber, Pfarrer Michael Krause, habe im Einvernehmen mit der Kirchenleitung seine Kandidatur zurückgezogen, teilte die Landeskirche am Montag in Bielefeld mit. Hintergrund seien "Hinweise auf mögliche, in der Vergangenheit liegende Verstöße gegen das Gebot, persönliche Grenzen einzuhalten". Nähere Angaben zu den Vorwürfen machte die Landeskirche nicht.
Die Hinweise seien der Landeskirche vor wenigen Wochen gemeldet worden, hieß es. Daraufhin habe der frühere Herforder Superintendent Krause selbst die Einleitung eines Disziplinarverfahrens "zur Untersuchung und Klärung des Sachverhaltes" beantragt. Das Landeskirchenamt habe dann mit Blick auf die vorliegenden Hinweise und den Antrag Krauses in der vergangenen Woche die Eröffnung des Verfahrens und der damit verbundenen Ermittlungen beschlossen.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens seien sich der 56-jährige Krause und die Kirchenleitung einig, dass eine Kandidatur für das Präses-Amt in dieser Situation nicht infrage kommen könne, heißt es in der Mitteilung. Die westfälische Kirche stehe für den auch kirchengesetzlich festgelegten Grundsatz, dass alle in der Kirche Mitwirkenden "zu einer Haltung der Achtsamkeit, der Aufmerksamkeit, des Respekts und der Wertschätzung sowie der grenzachtenden Kommunikation durch Wahrung persönlicher Grenzen gegenüber jedem Mitmenschen" verpflichtet seien. Das Disziplinarverfahren solle klären, "ob und inwieweit die genannten Grundsätze verletzt worden sind".
Krause war von 2009 bis 2020 Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Herford. Überregional bekannt wurde er, als er im Jahr 2010 einen von seinen Vorgängern eingerichteten "Geheimfonds" des Kirchenkreises öffentlich machte. Der Theologe leitet zurzeit als Geschäftsführer den Stiftungsbereich Schulen der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Zuvor war er Geschäftsführer des Unternehmens "Bethel im Norden".
Die Kirchenordnung der viertgrößten deutschen Landeskirche mit rund 1,9 Millionen Mitgliedern sieht bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Präses-Amt eigentlich eine Neuwahl des oder der neuen leitenden Geistlichen "spätestens auf der nächsten ordentlichen Tagung" vor. Die Wahl mit Krause als einzigem Kandidaten sollte eigentlich bei der regulären Landessynode vom 24. bis 27. November in Bielefeld erfolgen. Wann das Spitzenamt der westfälischen Kirche neu besetzt werden kann, ist jetzt wieder ungewiss.
Zunächst muss der Nominierungsausschuss nun neu nach Kandidierenden suchen. Derzeit wird die Landeskirche vom Theologischen Vizepräsidenten Ulf Schlüter kommissarisch geleitet. Der 62-jährige Theologe hatte auf einer Sondersynode im März erklärt, dass er selbst für das Präses-Amt nicht zur Verfügung stehe.
Die frühere Präses Kurschus war am 20. November vergangenen Jahres als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und als westfälische Präses zurückgetreten. Ihr wurde vorgeworfen, sie sei nicht ausreichend transparent mit einem Missbrauchsverdacht an ihrem früheren Arbeitsort Siegen umgegangen. Die 61-jährige Theologin ist seit Anfang April Pastorin und Seelsorgerin in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld.
Der oder die Präses übt in der Evangelischen Kirche von Westfalen das zentrale theologische Leitungsamt aus. Die lateinische Amtsbezeichnung bedeutet "Vorsitzende/r". Wer das Spitzenamt innehat, vertritt die viertgrößte deutsche Landeskirche mit ihren rund 1,9 Millionen Mitgliedern nach außen und leitet die Landessynode, das oberste Beratungs- und Entscheidungsorgan. Er oder sie steht zudem an der Spitze der Kirchenleitung und des Landeskirchenamts in Bielefeld. Auch für eine regelmäßige Versammlung der Superintendentinnen und Superintendenten der 26 Kirchenkreise hat die oder der Präses laut der Kirchenordnung zu sorgen.
Die Bezeichnung "Präses" für das oberste Hirtenamt gibt es außer in Westfalen nur in der Evangelischen Kirche im Rheinland. In anderen Landeskirchen heißen die leitenden Geistlichen meist Bischof oder Kirchenpräsident, in Lippe lautet die Bezeichnung Landessuperintenden und in Bremen Schriftführer. Anders als in Westfalen sind in anderen Landeskirchen die obersten Leitungsaufgaben in der Regel auf mehrere Ämter verteilt.
Seit dem Rücktritt der 61-jährigen Theologin Annette Kurschus im vergangenen November ist das westfälische Präses-Amt vakant. Kommissarisch übernahm der 62-jährige theologische Vizepräsident Ulf Schlüter die Präses-Aufgaben. Vor Kurschus, die fast zwölf Jahre amtierte, standen sieben Männer als Präses an der Spitze der westfälischen Landeskirche: Karl Koch (1946-1949), Ernst Wilm (1949-1968), Hans Thimme (1969-1977), Heinrich Reiß (1977-1985), Hans-Martin Linnemann (1985-1996), Manfred Sorg (1996-2004) und Alfred Buß (2004-2012).