Wenn die Stadt nachts zur Ruhe kommt, übernimmt die Natur: Allabendlich umhüllen grau-braune Baumrinden die dicken, korinthischen Säulen der Evangelischen Stadtkirche in Karlsruhe. Die glatte weiße Oberfläche scheint nachts plötzlich rau und rissig zu sein. Die stark vergrößerten Rindenstrukturen wirken aus der Distanz so echt, dass Passanten erstaunt stehen bleiben und die Säulen der im 19. Jahrhundert erbauten Kirche berühren.
Mit ihrer multimedialen Komposition "sleeping trees" (schlafende Bäume) will die Karlsruher Installationskünstlerin Alex Besta nicht nur die ursprüngliche Farbvielfalt antiker Architekturen und Skulpturen betonen, sondern auf die Verletzlichkeit der Natur verweisen. Ziel sei es auch, die menschliche Wahrnehmung auf die Natur schärfen, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bäume stünden im Zentrum ihres Projekts. Dafür seien die sechs hohen Säulen der Kirche perfekt geeignet.
Zur Projektion gehört ein fünfminütiges Klangstück, das per QR-Code zugänglich ist und am besten über Kopfhörer angehört werden sollte: Blätter rascheln im Wind, sanft plätschert Wasser. Die zunächst wohltuenden Klänge verändern sich allmählich und schaffen eine apokalytische Atmosphäre: Während die Blicke auf der sich nur sehr langsam verändernden Rindenstruktur liegen, nähern sich plötzlich Schritte im Laub. Dann folgt Pferdegetrappel, aber auch eine Polizeisirene und Glockenläuten.
Damit inszeniert Besta ein facettenreiches Wechselspiel zwischen Harmonie, Störung und Annäherung. Sie bezieht in ihre Arbeit auch wissenschaftliche Ergebnisse ein. So haben finnische Forscher herausgefunden, dass sich Blätter und Zweige von Bäumen ab Einsetzen der Dämmerung kontinuierlich nach unten bewegen und ihre tiefste Position einige Stunden vor Sonnenaufgang erreichen. Kleine Bewegungen sind auch an den Säulen der Kirche, die nach dem Vorbild eines römischen Tempels erbaut wurde, zu sehen.
Die Installation ist Teil des Kunstprojekts "Media art is here" (Medienkunst ist hier), das bis zum 15. September öffentliche Plätze, Fassaden und Schaufenster in eine digitale Bühne verwandelt und parallel zu den 10. Schlosslichtspielen in der Unesco-Stadt der Medienkunst stattfindet. Mit einem weiteren Kunst-Highlight lockt die 1816 von Friedrich Weinbrenner erbaute "Bischofskirche" der Evangelischen Landeskirche in Baden ab 14. September. Dann soll die Kunstinstallation "Gaia" des britischen Künstlers Luke Jerram in der Evangelischen Stadtkirche schweben. Mit einem Durchmesser von sieben Metern ist sie eine originalgetreue und maßstabsgerechte Nachbildung der Erde.