Es ist 1844. Der Sultan von Oman hat seine Residenz vor wenigen Jahren von Muscat nach Sansibar verlegt. Eine der mehr als 70 Frauen aus seinem Harem ist schwanger, Jilfidan, eine ehemalige tscherkessische Sklavin. Sie bringt sein 36. Kind zur Welt, ein Mädchen namens Sayyida Salama bint Said, genannt Salme. Sie wächst unbeschwert am Meer auf - dort, wo ein Fluss in den Ozean mündet, "in überaus lieblicher Umgebung, ganz versteckt in einem Haine prächtiger Kokospalmen, Mangobäume und anderer Riesen der tropischen Pflanzenwelt", schreibt sie viele Jahre später.
Der Prinzessin steht ein außergewöhnliches Leben bevor. Es wird sie zur Sklavenhalterin machen, zur Reisenden, zur Ehefrau eines Deutschen, zur Arabischlehrerin und zur Buchautorin in Deutschland. Von dem prunkvollen Palast ihrer Kindheit sind heute nur noch moosbewachsene Ruinen übrig.
Das Sultanat von Oman betrieb seit dem 17. Jahrhundert Handel entlang der ostafrikanischen Küste, mit Segelbooten, deren Routen den saisonalen Winden folgten. Es handelte mit Gewürzen, Elfenbein - und mit Menschen, die auf dem zentralafrikanischen Festland entführt wurden. 40.000 bis 50.000 Sklav:innen wurden jedes Jahr von Sansibar aus in die arabische Welt verschleppt.
Viele Jahre später schrieb Salme als Autorin Emily Ruete, dass es in Deutschland "unverhohlenes Erstaunen" wecke, wenn sie die Fragen "ob ich selbst viele Sklaven gehalten hätte, mit einem ganz natürlichen 'Ja' beantwortete". Sie mussten auf den Plantagen der Sultansfamilie arbeiten und die Frauen und Kinder des Sultans bedienen.
Ihre Eltern sterben früh. Mit 16 Jahren erbt die Prinzessin Plantagen samt Sklaven - und weil sie sich heimlich Lesen und Schreiben beigebracht hatte, kann sie diese selbst verwalten. Sie schreibt auf Suaheli und Arabisch.
Unverheiratet schwanger - von einem Christen
Heute erinnert in Sansibar nicht nur eine Tafel an den bewachsenen Ruinen des ehemaligen Palastes an sie, sondern auch ein kleines Museum. Der Historiker Said el-Gheithy hat sich das Andenken an Prinzessin Salme zur Aufgabe gemacht. Er hat auch das Museum in Stone Town gestaltet, der ältesten und größten Stadt in Sansibar. Dort trifft man ihn an den meisten Tagen, er erzählt gerne über Salme. "Es ist wichtig, dass wir unsere Geschichten selbst erzählen", sagt er.
Die Decken des Museums sind extrem hoch, die Treppenstufen auch. Durch die oberen Stockwerke weht ein angenehmer, kühlender Wind. Ein reicher Geschäftsmann hat das Haus im 19. Jahrhundert bauen lassen. Zu der Zeit lebte auch Salme, Anfang 20, in der Stadt. Ihr Nachbar: der Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete. Die beiden verlieben sich. Als Salme 1867 schwanger wird - unverheiratet und noch dazu von einem Christen - setzt sie sich mithilfe des britischen Konsuls per Schiff nach Aden im heutigen Jemen ab. Ruete kommt nach, die beiden heiraten und machen sich auf den Weg nach Deutschland. Salme lässt sich taufen und lebt fortan unter dem Namen Emily Ruete in ihrem bürgerlichen Haushalt in Hamburg, lernt Deutsch und Englisch.
Die deutschen Behörden verweigern ihr das Erbe
Drei Kinder bekommen die beiden in den folgenden drei Jahren, bevor Heinrich Ruete bei einem Verkehrsunfall stirbt. Die Behörden verweigern ihr das Erbe. Emily Ruete bringt sich und die Kinder mit Arabisch-Unterricht durch, verdient "zum ersten Mal im Schweiße meines Angesichts" Geld, wie sie schrieb.
1886 kommen ihre "Memoiren einer arabischen Prinzessin" auf Deutsch heraus, die ein Verkaufsschlager werden. Sie ist die erste Frau aus der arabischen Welt, deren Autobiografie veröffentlicht wird.
In tagebuchartigen Texten, später als "Briefe nach der Heimat" publiziert, schildert sie, wie sie oft exotisiert und nicht ernst genommen wurde. "In Gesellschaften, in Theater und Konzerten fühlte ich mich beständig beobachtet, was mir im höchsten Grade lästig war", schrieb Ruete. Gleichzeitig verkehrt sie in höchsten Kolonialkreisen, korrespondiert mit Bismarck und hält sich an der Seite Deutschlands, das zur Kolonialmacht in Ostafrika wird und mit England um die Vormacht über Sansibar kämpft.
Mehrmals versucht sie, nach Sansibar zurückzukehren. Als das scheitert, lässt sie sich in Beirut nieder. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie im thüringischen Jena.
"Ich will nur versuchen, den europäischen Lesern für die wichtigeren Anschauungen und Sitten des Orients ein richtigeres Verständnis zu ermöglichen", schrieb sie. Ruete wollte den anti-muslimischen Ressentiments etwas entgegensetzen. Sie versuchte, eine kulturelle Übersetzerinnenrolle einzunehmen, und blieb, wie sie formulierte, doch "nur ein Fremdling in Deutschland". Historiker Said el-Gheithy hat über die Jahre viele ihrer Nachfahren in aller Welt ausfindig gemacht, einige haben dem Museum private Gegenstände und Fotos zur Verfügung gestellt.
Emily Ruete stirbt am 29. Februar 1924 in Jena. Sie ist bei ihrem Ehemann auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf begraben. In Hamburg-Nord wurde 2018 ein Platz nach ihr benannt und dann eineinhalb Jahre später wieder umbenannt. Denn sie hatte in ihren Büchern die Sklaverei relativiert, verteidigt sowie rassistisch und abwertend über schwarze Menschen geschrieben, hieß es zur Begründung.