Drei Kameradinnen
Drei Freundinnen Mitte zwanzig und ihre stete Konfrontation mit Rassismus in Deutschland.
Seit ihrer Kindheit in "der Siedlung" verbindet Saya, Hani und Kasih eine tiefe Freundschaft. Sie verstehen einander wortlos, teilen Erinnerungen und Erlebnisse. Zu letzteren gehören auch diverse Diskriminierungserfahrungen, die Saya in ihrem Notizbuch sammelt. Nach Jahren räumlicher Trennung treffen sich die drei für einige Tage wieder, zeitgleich mit dem Prozessauftakt gegen eine rechtsterroristische Gruppe. Der Roman - verfasst in der Nacht, in der Saya ins Gefängnis kommt - schildert in vielen, jedoch meist nachvollziehbaren Windungen die Geschehnisse, die dazu führten.
In Form eines erbarmungslos ehrlichen Gedankenstroms zwingt Kasih als Ich-Erzählerin ihre Leser:innenschaft zum Realisieren und Überdenken eigener Perspektiven. Teilweise wendet sie sich mit scharfen Anschuldigungen direkt an die Lesenden. Diese entfalten, gemeinsam mit steten Verweisen auf weiße Privilegien - nach anfänglicher Abwehrhaltung - im Hintergrund eine eindrückliche Wirkung.
Ein Roman, der das unbedingte Hinterfragen eigener Ansichten erzwingt und zum gemeinsamen Diskutieren über Rassismus und Willkommenskultur anregt.
Marie Tronnier
Bazyar, Shida: Drei Kameradinnen. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021. 349 S. ISBN 978-3-462-05576-3, geb.: 22,00 €
Vatermal
Auseinandersetzung eines vaterlos aufgewachsenen deutsch-türkischen Jugendlichen mit Identitätssuche und Rassismus.
Mit lebensbedrohlichem Leberversagen liegt der deutsch-türkische Literaturstudent Arda auf der Intensivstation. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, seinen Vater mit seinem bislang ungesagten Schmerz und seiner Wut zu konfrontieren, diesen Vater, den er nie kennengelernt hat, weil er Frau und Tochter kurz vor Ardas Geburt verlassen hat. Also schreibt er Briefe an ihn über sein Aufwachsen ohne ihn, über seine überforderte Mutter, die die Verletzungen durch ihre eigene traumatische Familiengeschichte an ihre Tochter weitergibt, über die Erniedrigungen durch die deutsche Bürokratie und die Geborgenheit, die er in seiner Jungenclique erfährt.
Emotional kraftvoll erzählt der Autor die psychologisch komplexe Geschichte über drei Generationen einer Migrantenfamilie, ihr Scheitern an strukturellem Rassismus und Heimatlosigkeit und zeichnet mit bewegender Zartheit das unter die Haut gehende Porträt des verletzlichen Jugendlichen Arda auf der Suche nach Identität in dieser schwierigen Konstellation.
Wie eine emotionale Kernbohrung trifft der Blick Ardas auf seine persönliche und gesellschaftliche Situation, seine Zerrissenheit und Kraft mitten ins Herz der Leser. Großartig! Christine Heymer
Öziri, Necati: Vatermal. Berlin: Claassen 2023. 291 S. ISBN 978-3-546-10061-8, geb.: 25,00 €
Dschinns
Familienroman über eine nach Deutschland ausgewanderte kurdische Familie.
Alles beginnt mit dem Tod von Hüseyin. Der Familienvater, einst aus der Türkei nach Deutschland gekommen, hat für seinen Lebensabend eine Wohnung in Istanbul gekauft. Kurz nachdem er dort eingetroffen ist, verstirbt er plötzlich. Sein Begräbnis führt seine Frau Emine und seine vier Kinder Ümit, Sevda, Peri und Hakan nach langer Zeit wieder zusammen. Dabei trägt jedes der Familienmitglieder alte Wunden, Erinnerungen und Geheimnisse mit sich herum. Die Kommunikation untereinander gestaltet sich dadurch teilweise schwierig.
Fatma Aydemir entwirft ein differenziertes Familienbild, in dem alle sechs Figuren ein Stück begleitet werden. Nach und nach erfährt man so mehr über die Handlungsmotivation der einzelnen Figuren. Die verwendete Sprache passt sich dabei klug der jeweiligen Figur an. Eine große Enthüllung am Romanende lässt das Geschehene noch einmal in einem anderen Licht dastehen.
Ein beeindruckender, intensiv erzählter Roman über Migration, Gesellschaft und familiäre Bande.
Marcel Lorenz
Aydemir, Fatma: Dschinns. Roman. Fatma Aydemir. München: Hanser 2022. 366 S. ISBN 978-3-446-26914-9, geb.: 24,00 €
evangelisch.de dankt dem Evangelischen Literaturportal Eliport für die inhaltliche Kooperation.
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