Zunächst einmal stellt sich die Frage: Was sind Freikirchen überhaupt? Der Begriff Freikirche bezeichnet eine evangelische Kirche, die – im Gegensatz zu den Volkskirchen – traditionell vom Staat unabhängig war. Evangelische Freikirchen entstanden bereits im Zuge der Reformation, vor allem aber während der sich anschließenden und bis ins 20. Jahrhundert anhaltenden Erweckungsbewegungen. Es handelte sich um christliche Strömungen, die mit der Betonung der notwendigen individuellen Bekehrung zu Gott beziehungsweise des persönlichen Bekenntnisses zu Jesus Christus und einer praktisch-christlichen Lebensführung eine Erneuerung des kirchlichen Lebens bewirken wollten. Es gibt jedoch auch Kirchen, die erst in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind.
Ein Zusammenschluss von derzeit 645 Baptistengemeinden, 129 Brüdergemeinden und drei Pfingstgemeinden bildet den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) in Deutschland. Der BEFG ist laut des Online-Lexikons konfessionskunde.de Mitglied im Baptistischen Weltbund, dem geschätzt 47 Millionen Baptisten aus 126 Ländern angehören. Der BEFG ging im Jahr 1941 wiederum aus dem Zusammenschluss des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland mit dem Bund freikirchlicher Christen hervor. Die Baptisten stehen in der Tradition reformatorischen Denkens calvinistischer Prägung. Die Heilige Schrift dient als Richtschnur für den Glauben und gibt Orientierung sowohl für das persönliche Christsein als auch für das Miteinander in der Gemeinde.
Ein weiterer Zusammenschluss ist der Bund Freier evangelischer Gemeinden (BFeG). Der BFeG gehört in Deutschland wie Baptisten und Methodisten zu den sogenannten klassischen Freikirchen des Protestantismus und wurde 1874 durch 22 Gemeinden gegründet. Ziel war es, eine kirchliche Alternative zum Modell der damaligen Staatskirche zu entwickeln. Merkmale, wie Mitgliedschaft aufgrund einer persönlichen Glaubensentscheidung, Mitverantwortung und Mitbestimmung aller und die Taufe der Glaubenden stehen im Mittelpunkt der FeG-Ausrichtung.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK). Sie gehört zu den altkonfessionellen Freikirchen, die sich im 19. Jahrhundert herausbildeten. Ihr Anliegen ist es, den alten lutherischen Bekenntnissen treu zu bleiben. Sie spalteten sich von den lutherischen Landeskirchen ab, weil ihre Mitglieder es nicht hinnehmen wollten, dass sich die lutherischen mit den reformierten Kirchen zu unierten evangelischen Landeskirchen zusammenschlossen. Bei ihnen gehört neben Taufe (normalerweise die Kindestaufe) und Abendmahl auch die Beichte zu den Sakramenten; ein nur symbolisches Abendmahlsverständnis wird eindeutig abgelehnt zu Gunsten von Luthers Verständnis der Realpräsenz, der Gegenwart von Christi Leib und Blut in Brot und Wein.
Zu den bekanntesten der freikirchlichen Strömungen zählt die Pfingstbewegung, die durch ihre enthusiastischen und emotionalen Gottesdienste und das Wirken des Heiligen Geistes bekannt ist. Bei der Pfingstbewegung sind sogenannte charismatische Erlebnisse wie Heilungen, das Sprechen in Zungen, die sogenannte Glossolalie, und Visionen hervorstechende Merkmale. Zu nennen ist für Deutschland insbesondere der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), aber etwa auch Foursquare und Gemeinde Gottes in Deutschland. Der Mülheimer Verband ist als Pfingstkirche entstanden, versteht sich heute aber nicht mehr so.
Erwähnenswert sind auch Gemeindebünde, die ihre Wurzeln in den ehemaligen Sowjetrepubliken haben. Dazu gehören der Großteil der deutschen Mennoniten (nicht aber z.B. die Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland), einige baptistische und einige Pfingstgemeinden sowie die aus einem Zusammenschluss entstandenen Brüdergemeinden und Evangeliumschristen-Baptisten. Diese Gemeinden zeichnen sich häufig durch eine strikte Bibelauslegung und oft strenge Verhaltensregeln aus, die sich in Bereichen wie Kleidung, Geschlechterrollen und Freizeitgestaltung manifestieren. So wird zum Beispiel einfache und bescheidene Kleidung gefordert, insbesondere von Frauen, die oft auch Kopfbedeckungen tragen müssen. Scheidungen werden stark missbilligt, und weltliche Vergnügungen wie Fernsehen, Kino oder Tanz werden als unvereinbar mit einem christlichen Lebensstil abgelehnt. Auch der Konsum von Alkohol und Tabak ist oft verboten.
Die methodistischen Kirchen, entstanden im 18. Jahrhundert in England, legen besonderen Wert auf soziale Diakonie und missionarisches Engagement. Die Bewegung geht auf das Wirken des anglikanischen Pfarrers und Universitätsdozenten John Wesley zurück, der mit seinem Bruder Charles Wesley seit den 1720er-Jahren eine Gruppe von Studenten in Oxford durch ein gemeinsames Studium der Bibel, durch regelmäßiges Gebet, den Austausch geistlicher Erfahrungen und die Armenfürsorge zu einer verbindlichen christlichen Lebensgemeinschaft führte. Im Weltrat Methodistischer Kirchen sind 80 Kirchen aus 132 Ländern zusammengeschlossen; er vertritt damit zirka 80 Millionen Gläubige. Der Methodismus ist für seine sozialen Reformbewegungen bekannt; als Beispiele seien John Wesleys Kampf gegen die Sklaverei genannt sowie die Gründung der ersten Bausparkasse durch einen methodistischen Laienprediger. Der Methodismus kam im 19. Jahrhundert durch Rückwanderer aus Amerika auch nach Deutschland. Die hiesige Evangelisch-methodistische Kirche steht in voller Kirchengemeinschaft (Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft) mit der EKD.
Die Herrnhuter Brüdergemeinde ist sogar assoziiertes Mitglied der EKD, gleichzeitig ist sie Gastmitglied in der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF). Sie ist in Deutschland vor allem durch die Herrnhuter Losungen bekannt, die von Christinnen und Christen zahlreicher Konfessionen genutzt werden, und entsprechend durch den in der Adventszeit überall sichtbaren Herrnhuter Stern. Ihr namensgebendes Zentrum in Herrnhut/Ostsachsen wurde im Sommer 2024 zum Weltkulturerbe erhoben.
Die Siebenten-Tags-Adventisten heben sich durch die Feier des Sabbats (Samstag) und ihre Erwartung der nahen Wiederkunft Christi hervor. Diese Glaubensgemeinschaft hat in den letzten Jahren durch ökumenische Gespräche zunehmend Anschluss an andere christliche Kirchen gefunden.
Die Neuapostolische Kirche kann religionssoziologisch als Freikirche bezeichnet werden, auch wenn sie sich aus konfessionellen Gründen nicht als solche sieht. Sie hat ihre Wurzeln in Deutschland, ist heute aber vor allem in Afrika stark vertreten. Sie war lange Zeit aufgrund ihres exklusiven Erlösungsverständnisses umstritten, öffnet sich jedoch in jüngster Zeit zunehmend für den Dialog mit anderen christlichen Gemeinschaften. Die Neuapostolische Kirche hat weltweit etwa neun Millionen, in Deutschland zirka 300.000 Mitglieder.
Zu Größenordnung: Die in der VEF zusammengeschlossenen Kirchen und Gemeindebünde haben rund 267.000 Mitglieder. Allerdings muss man hier Zehntausende von Kindern und Jugendlichen addieren, die in den Gemeinden leben, aber (noch) nicht getauft sind, da die meisten VEF-Kirchen keine Kinder taufen. Außerdem sind längst nicht alle Freikirchen und freikirchlichen Gemeinden in der VEF organisiert, etwa nur ein geringer Teil der bisher sogenannten Russlanddeutschen. Aber auch zahlreiche Brüdergemeinden, die meisten Internationalen Gemeinden, die Hausgemeindebewegung und die meisten Lifestyle-orientierten Kirchen wie ICF gehören nicht zur VEF.