Valentinstag
Ein Vater fährt mit seinem schwerkranken Sohn mit dem Wohnmobil durch die Schneelandschaft des Mittleren Westens.
Frank Bascombe, 74, nimmt seinen an ALS erkrankten 47jährigen Sohn Paul mit auf eine Reise von Rochester, Minnesota, zum Mount Rushmore in South Dakota. Vier amerikanische Präsidenten sind dort in Stein gemeißelt. Vater und Sohn waren sich nie sonderlich nah. Nun hofft Frank, seinen Sohn und vor allem auch sich selbst eine Weile vom unwiderruflichen Schicksal abzulenken. Er hat Mühe, die kargen, oft ironischen Sätze des Sohnes zu entziffern. Auch wenn die behandelnden Ärtze der Spezialklinik beiden ehrliche, mitteilsame Worte empfehlen, bekommen sie einfach kein themenbezogenes längeres Gespräch zustande. Das Reisen ist nicht nur wegen des winterlichen Wetters beschwerlich. Paul braucht viele Hilfestellungen und lässt sich doch nicht gerne helfen. Die Reise wird zum Bild für ein Ringen um das eigene Leben in seiner Bestimmung zwischen ehrlicher Bilanz und Versöhnung. Der Valentinstag ist der Tag für die, die sich liebevoll zugeneigt sind.
Ein großer Amerika-Roman und eine berührende Vater-Sohn-Geschichte.
Christine Behler
Ford, Richard: Valentinstag, Dt. von Frank Heibert. München: Hanser Berlin 2023. 382 S. ; 22 cm. Aus d. Engl.
ISBN 978-3-446-27732-8, geb.: 28,00 €
Amerigo Jones
Autofiktionale Erinnerungen an eine Kindheit in der PoC- Community von Kansas City in den 1920er und 1930er Jahren.
Es ist eine unruhige Zeit, in der der junge Amerigo Jones in den 1920er und -30er Jahren in einem überwiegend von Menschen schwarzer Hautfarbe bewohnten Viertel von Kansas City aufwächst. Rassendiskriminierung, soziale Ungerechtigkeit und Gewalt auf der Straße sind allgegenwärtig; die wirtschaftliche Depression und die drohende Kriegsgefahr aus Europa bedrücken die Menschen. Trotz alldem wächst Amerigo, geliebt von seinen sehr jungen Eltern Viola und Rutherford und eingebettet in eine starke familiäre und nachbarschaftliche Gemeinschaft, behütet auf. Viola und Rutherford sind zupackende Optimisten mit einem unerschütterlichen Glauben an gute Bildungschancen und eine hoffnungsvolle Zukunft für ihren intelligenten Sohn. Durch sie hört Amerigo den Sound der Aufbruchstimmung und Lebensfreude im Jazz der 1920er und -30er Jahre. Louis Armstrong und vor allem Duke Ellington, dem dieser Roman gewidmet ist, prägen den Jungen Amerigo und durchklingen den Roman mit ihrem Rhythmus. Das sprachlich anspruchsvolle Zeitporträt, auf Grund seines Idioms lange für unübersetzbar gehalten, ist posthum zum 100. Geburtstag des Autors nun erstmals auf Deutsch erschienen.
Christine Heymer
Carter, Vincent O: Amerigo Jones. Dt. von pociao u. Roberto de Hollanda. Zürich: Limmat 2024. 742 S. ; 22 cm. Aus d. amerikan. Engl.
ISBN 978-3-03926-073-7, geb.: 39,00 €
Nach der Party
Kulturelle Identität und Queerness im kalifornischen Stockton: eine beeindruckende Kurzgeschichtensammlung.
In "Nach der Party", der Kurzgeschichtensammlung, mit der Anthony Veasna So kurz vor seinem Tod debütierte, richtet er den Blick dorthin, wo er selbst aufgewachsen ist: ins kalifornische Stockton. Hierher flohen die Menschen vor dem völkermörderischen Regime der Roten Khmer, und So illustriert das Leben zwischen kambodschanischen Lebensmittelläden und amerikanischen Straßen so herzzerreißend, dass man beinahe das Gefühl hat, selbst im beschriebenen Donutladen zu sitzen. Schlaglichter ins alltägliche Leben bestimmen dabei die einzelnen Geschichten – und stellen Fragen nach kultureller Identität, nach Queerness und Generationentraumata ihrer Figuren. Für alle, die sich gern mit Postkolonialismus und unterschiedlichen Indentitätsentwürfen auseinandersetzen.
Mara Becker
So, Anthony Veasna: Nach der Party. Stories. Dt. von Cornelius Reiber. München: Luchterhand 2024. 334 S. ; 20 cm. Aus d. Amerikan.
ISBN 978-3-630-87766-2, geb.: 20,00 €
Amerika - Land der unbegrenzten Widersprüche. Menschen und Mythen, Freiheit und Wahn
Die Reportagen des USA-Korrespondenten verdeutlichen, wie es zur gesellschaftlichen Spaltung des Landes kommen konnte.
Zweimal war der Journalist Hubert Wetzel USA-Korrespondent einer großen deutschen Tageszeitung, von 2003 bis 2005 und von 2016 bis 2022. In diesen Jahren ist er quer durch das ganze Land gereist und hat am Leben zahlreicher Menschen teilgenommen und ihnen zugehört. Dabei kennt er keine Berührungsängste, trifft sich mit Waffennarren, Drogenabhängigen, Law-and-Order-Sheriffs und Kapitolstürmern. Leser:innen, die bislang verständnislos auf die Tatsache reagierten, dass 2016 knapp 63 Millionen Amerikaner Donald Trump gewählt haben und dass es 2020 noch einmal 10 Millionen Stimmen mehr waren, werden nach der Lektüre des Buches besser verstehen, wie es in den USA zu einer solchen Verhärtung der politischen und kulturellen Fronten quer durch die Gesellschaft kommen konnte. Die derzeitigen Krisen der USA – die verheerende Drogenepidemie, die anhaltende Schusswaffengewalt, der gesellschaftliche Umgang mit den Kriegsveteranen, der Streit um Migration – werden kenntnisreich ausgeleuchtet.
Thomas Hardtke
Wetzel, Hubert: Amerika - Land der unbegrenzten Widersprüche. Menschen und Mythen, Freiheit und Wahn. München: Goldmann 2024. 255 S. ; 22 cm.
ISBN 978-3-442-31733-2, geb.: 22,00 €
evangelisch.de dankt dem Evangelischen Literaturportal Eliport für die inhaltliche Kooperation.