Michael Völker hat schon um die 200 Menschen vom Leben in den Tod begleitet. So merkwürdig das vielleicht auch klingt: Die Arbeit macht ihn glücklich. Man kann auch in den letzten Lebenswochen für viel Lebensqualität sorgen, sagt der Mitarbeiter beim Ökumenischen Hospizverein im Kreis Miltenberg. Momentan ist der 56-Jährige jedoch bedrückt. Aber nicht wegen einer schwierigen Sterbebegleitung. Sondern weil sein Arbeitsplatz aufgrund von Kürzungen durch die Krankenkassen bedroht ist.
"Ich habe Angst um meinen Job", sagt Michael Völker, der beim Miltenberger Hospizverein am bayerischen Untermain mit drei Kolleginnen für die Gewinnung, Schulung und Koordination ehrenamtlicher Sterbebegleiter zuständig ist. Einer Verwaltungskraft wurde aufgrund der prekären Finanzlage inzwischen zum 31. August gekündigt. Konkret fehlen 55.000 Euro. "Ein Viertel unseres Haushaltsvolumens", sagt Vorstand Alois Sauer. Der Chef des Miltenberger Hospizvereins erläutert, wie es zu dem plötzlichen Defizit kam.
Die Hospizarbeit aller ambulanten Hospizdienste wird bundesweit nach einer im Jahr 2002 geschlossenen "Rahmenvereinbarung" von den Krankenkassen gefördert. Die Summe richtet sich unter anderem nach der Anzahl der Begleitungen und jener der Ehrenamtlichen. Das Prozedere ist etwas kompliziert. Sauer muss jedes Jahr bis zum 30. März alle Unterlagen fertig machen, um den Förderantrag für das Vorjahr stellen zu können. Vor knapp fünf Monaten mussten also die Unterlagen für 2023 fertig gewesen sein.
Die "Rahmenvereinbarung" aber enthält einen ungewöhnlichen Passus: Denn die Hospizvereine dürfen bei der Abrechnung für das alte Jahr auch neue Personalkosten veranschlagen, die sicher entstehen werden. Konkret: Wird am 1. April ein neuer Hospizkoordinator eingestellt und liegt der Arbeitsvertrag unterschrieben vor, kann auch dafür - quasi rückwirkend im Voraus - eine Förderung beantragt werden. So wie bei Völker, der am 1. April 2023 begonnen hatte. Das Geld floss bereits im Jahr 2023 - rückwirkend für das Jahr 2022.
Bei der diesjährigen Auszahlung für 2023 wurde die Fördersumme für Völker zur Überraschung des Vereins abgezogen. Bisher war das nicht so, sagt der Geschäftsführer des Bayerischen Hospiz- und Palliativverbands (BHPV), Timo Grantz. Hospizvereine hätten die beantragte Förderung für eine neue Stelle bisher stets zweimal erhalten - einmal im Voraus, danach regulär ohne Abzüge. Der Grund dafür: Die Finanzierung der Hospizarbeit ist nicht leicht: "Dies wird seit mindestens 2016 so gelebt, weil kein Finanzloch entstehen soll."
Von dieser Praxis will man nun bei den Krankenkassen offenbar nichts mehr wissen. Die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern sei zu einer "anderen Rechtsauffassung" gekommen, teilte diese dem Bayerischen Hospiz- und Palliativverband nach dessen Angaben mit. Besonders sauer stößt dem Verband und den Vereinen allerdings der Tonfall der Krankenkassen auf: Denn in den Förderbescheiden teilen die Kassen mit, dass es keine Widerspruchsmöglichkeit mehr gibt. Wer nicht einverstanden ist, muss klagen.
Kürzungen sind unsensibel
Als Alois Sauer erfuhr, dass die für 2024 fest eingeplanten 55.000 Euro nun doch nicht eintreffen würden, war er geschockt. Es sei kaum möglich, diesen Ausfall durch Spenden zu kompensieren. Er wisse nicht, wie er das Tagesgeschäft bis zur nächsten Förderung im Juni 2025 aufrechterhalten soll. Hoffnung setzt Sauer auf einen Rechtsanwalt aus Hamburg, der den Fall übernommen hat. Aus dem anfänglichen Schock wurde Ärger: "Es ist frustrierend, dass ich als Vorstand darum betteln muss, dass wir Menschen helfen können."
Die Kürzungen seien unsensibel, da die ehrenamtliche Arbeit beim Hospizverein zunehme. Vergangenes Jahr begleiteten die 76 Ehrenamtlichen 132 Menschen bis in den Tod. Derzeit nehme die Zahl der jüngeren Klienten deutlich zu. Gerade diese Fälle seien anspruchsvoll - personell und psychisch. "Wir machen Sterbebegleitung beim Vater, gleichzeitig beginnt die Trauerbegleitung für die Mutter und separat die für die Kinder", erläutert Sauer. Angesichts solcher Fälle wirke das Verhalten der Kassen wie ein Schlag ins Gesicht.
Wie groß die Dimension des Problems bayernweit ist, kann Timo Grantz nicht sagen. Aktuell versucht er, sich einen Überblick über die Situation der rund 125 Hospizvereine in Bayern zu verschaffen. 50 Förderbescheide liegen ihm vor. Bei mehr als einem Drittel sei die Fördersumme nicht wie beantragt genehmigt worden. Gantz bezeichnet das Verhalten der Krankenkassen als empörend. Es sei mitnichten so, dass "Hospizvereine alles nehmen würden, was sie nur kriegen können". Millionen an Fördermitteln würden nicht abgerufen.
Und was sagen die Kassen dazu? Wenig. Die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern räumte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) Fehler in dem Bescheid an den Hospizverein Miltenberg ein. Dort sei es "zu einer fehlerhaften Berechnung der Fördermittel" gekommen. Die Differenz "wird nach Berücksichtigung pauschaler Höchstgrenzen erstattet". Laut Vereinschef Sauer liegt jedoch noch kein Bescheid vor. Zur generellen Kritik der Vereine hat sich die Arbeitsgemeinschaft nicht geäußert.