evangelisch.de: Woher kam bei dir die Idee, sich auf die Stelle in New York zu bewerben?
Lars Reimann: New York war gar nicht ein konkretes Ziel. Die Gemeinde, in der ich vorher war, stand vor Veränderungen, die bedeutet hätten, dass entweder ich die Gemeinde verlasse oder mein Kollege. Mit ihm habe ich gerne zusammengearbeitet, weil wir uns sehr gut ergänzt haben. Scherzhaft haben wir immer gesagt, zusammen ergäben wir wohl einen guten Pastor. Die Veränderungen wären vielleicht nicht schlecht gewesen. Weil ich das aber nicht absehen konnte, habe ich mich nach Alternativen umgeschaut. Meine Frau und ich haben ein gemeinsames Sabbatical genutzt und uns verschiedene Gemeinden angeschaut. Irgendwann haben wir dann auf einem Winterspaziergang intensiv über die Möglichkeit gesprochen, nochmal ins Ausland zu gehen. Dabei war New York aber nicht absehbar. Das hat sich dann einfach ergeben.
Wie sah dein Leben als Pastor aus, bevor du nach New York gekommen bist?
Reimann: Ich war erst in Henstedt-Ulzburg und dann 13 Jahre in Kiel. Dort habe ich vor allem Gemeindearbeit aufgebaut. Insbesondere in Kiel ist die Gemeinde stark gewachsen. Am Ende waren in der Gemeinde 190 feste Ehrenamtliche und im Schnitt 250 Gottesdienstbesucher.
Und wie sieht es jetzt aus?
Reimann: Eigentlich ist es gar nicht so anders. Auch hier habe ich Gemeinde aufgebaut. Allein im letzten Jahr konnten wir einen Zuwachs von 30 Prozent bei den Gottesdienstbesuchern feststellen. Was auf jeden Fall auffällt, ist, dass das Gemeindeleben vor allem am Sonntag stattfindet. Angebote unter der Woche werden nicht so stark nachgefragt. Das war auf meinen Stellen vorher anders. Da gab es viele Gruppen, die sich ganz selbstverständlich unter der Woche getroffen haben.
Außerdem muss ich hier auch vieles selbst machen, wofür es woher Experten gab. Zum Beispiel haben wir mithilfe einer Stiftung ein Mischpult angeschafft. In Kiel gab es ein großes und gutes Team, das sich um die Technik gekümmert hat. Jetzt habe ich mir mit YouTube-Videos selbst beigebracht, wie so ein Mischpult funktioniert.
Seid ihr als "spezielle" Gemeinde in das normale New Yorker Leben eingebunden oder bedient ihr vor allem eine Nische?
Reimann: Wir sind eine von vielen Minderheitsgemeinden in New York. Allerdings gibt es bei vielen Amerikanern einen Bezug zu Europa und dadurch auch ein Interesse an uns. In unserer Gemeinde gibt es auch ungefähr ein Dutzend Amerikaner, die zwar eine Art von Verbindung nach Deutschland haben, aber diese erst wieder für sich entdeckt haben und gerne in deutschsprachige Gottesdienste besuchen.
So ist zum Beispiel unser beliebtestes Angebot "Deutsch sprechen". Das ist gar nicht unbedingt ein religiöses Angebot. Wir haben auch schon mal über die Bibel gesprochen, aber eigentlich treffen wir uns einfach so, spielen Gesellschaftsspiele und sprechen eben Deutsch miteinander.
Wenn ich mit einer Gruppe spreche, merken die meisten sehr schnell an meinem Akzent, dass ich Deutscher bin. Dann erzählen sie, welche europäischen Wurzeln sie haben. New Yorker und Amerikaner sind sehr an Deutschland interessiert. Ich habe bisher noch keine schlechten Erfahrungen gemacht, wenn Menschen herausgefunden haben, dass ich aus Deutschland komme.
Welche Unterschiede stellst du zwischen Gemeinden in Deutschland und in Amerika fest?
Reimann: Das kann ich natürlich nur für unsere Gemeinde beantworten. Liturgisch sind wir eigentlich ähnlich. Wir feiern den normalen Gottesdienst nach Agende I. Allerdings trage ich dabei meistens keinen Talar, sondern eine schwarze Chino und ein schwarzes Hemd, im Sommer durchaus auch mit Turnschuhen.
Allerdings fällt auf, dass Veränderungen hier langsamer vonstatten gehen, aber dafür meistens auch stabiler sind. Ein Wort kann hier selten die Gemeinde auf den Kopf stellen.
Welchen Einfluss hat die aktuelle politische Situation in den USA auf dein Leben und Arbeiten?
Reimann: Als Gemeinde sind wir neutral. Die meisten von uns dürfen auch gar nicht wählen. Wir beten natürlich für die politisch Verantwortlichen und für den Erhalt der Demokratie. Aber wir beziehen keine Stellung zur politischen Lage. Wir leben mit der jeweiligen Situation und halten es ansonsten wie die Schweiz und sind neutral.