Die Dorfkirche im siebenbürgischen Pruden (rumänisch: Prod) ist voll. Gut 200 Menschen sind zum jährlichen Bezirksgemeindetag in den kleinen Ort gekommen – das sind fast so viele, wie das Dorf heute noch Einwohner hat. Pruden liegt einige Kilometer abseits der Landstraße zwischen Hermannstadt und Schäßburg. Frische Waldluft weht in den Ort, der aus nur drei Straßen besteht. Die evangelische Kirche, Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet, erhebt sich in der Mitte des Dorfes, eine kleine orthodoxe Kirche findet sich 200 Meter weiter.
Auffällig neben den vielen Besuchern, viele ältere Menschen aus dem Schäßburger Kirchenbezirk, rumänischen Dorfbewohnern, Gästen und Urlaubern, ist der Blumenschmuck. Rosen in verschiedenen Farben hat Margit Stölzel-Appel mit Wiesenblumen und Wildgewächsen wie Holunder kombiniert, etwas "Außergewöhnliches", wie sie sagt.
"Wenn wir herkommen, muss mein Mann extra langsam fahren, weil ich schon unterwegs nach Blumen Ausschau halte", erzählt sie. Stölzel-Appel strahlt, wenn sie vom Blumenschmuck spricht, die dekorative Gestaltung des Gottesdienstes ist für sie ein Herzensprojekt. Auch von den Besuchern gibt es umfangreiches Lob.
Stölzel-Appel, die auch im Posaunenchor spielt, der den Gottesdienst und das Fest begleitet, hat keinen biographischen Bezug zu Siebenbürgen. Gemeinsam mit einer Gruppe von rund 30 weiteren engagierten Menschen aus dem Raum Zwickau ist die Zahnarzthelferin mehrmals im Jahr in Pruden zu Besuch. "Angefangen hat alles mit Hilfstransporten nach Rumänien in den 1990er Jahren", sagt sie. Die Neu-Prudener, wie sie sich nennen, haben es sich zur Aufgabe gemacht, in dem kleinen Dorf etwas aufzubauen. Das leerstehende Pfarrhaus sowie zwei weitere Häuser haben sie vor über zehn Jahren in ein Rüst- und Freizeitheim umgewandelt. Über 40 Betten stehen vor Ort für Kinder- und Jugendfreizeiten sowie für kirchliche Gruppen aus der Erwachsenenbildung zur Verfügung. Aktuell sind die Neu-Prudener dabei, die ehemalige Dorfschule zu renovieren.
"Diese kleine Gemeinschaft hält das Dorf und die Kirche hier am Leben", sagt Angelika Beer, Pfarrerin im Siebenbürgischen Malmkrog, etwa 20 Kilometer von Pruden entfernt. Beer ist für neun Gemeinden zuständig und hat den zweisprachigen Gottesdienst auf Deutsch und Rumänisch in Pruden mit gestaltet. Vor Ort ist sie regelmäßig. Mit den Neu-Prudenern feiert sie Abendandachten, oft mit einen Reisesegen, wenn die Gruppe zurück nach Deutschland fährt. Als einen "Glücksfall" bezeichnet sie es, dass diese sich so kontinuierlich im Dorf engagiert. Siebenbürger Sachsen wohnen in Pruden seit Jahren kaum mehr – die Prudener Gemeinde hatte zwischenzeitlich kein einziges Mitglied. 40 Christinnen und Christen gehören ihr heute an – zum großen Teil stammen sie nicht aus Rumänien.
"Ich bin hier näher an meinen Gefühlen"
Angelika Beer, 1982 in Hermannstadt geboren, ist wie große Teile der deutschstämmigen Bevölkerung in Rumänien im Alter von neun Jahren mit Ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert. In Berlin hat sie Theologie studiert, für ihr Vikariat kehrte sie nach Siebenbürgen zurück. "Ich bin hier näher an meinen Gefühlen", erzählt sie. Beer schätzt das Land und die Herzlichkeit der Menschen. Die Natur in Siebenbürgen, etwa Wanderungen in den Karpaten, beschreibt sie als Kraftquelle für sich. "Ich erlebe hier eine andere Alltagsfreundlichkeit als in Deutschland, die Leute gehen eher aufeinander zu". Margit Stölzel-Appel kann das bestätigen. "Die Dorfbewohner nehmen mich zur Begrüßung auch einfach mal in den Arm, obwohl ich kein Rumänisch spreche. Aus Deutschland kenne ich das nicht".
85 Kilometer südwestlich von Pruden steht in der Hermannstädter Oberstadt die evangelische Stadtpfarrkirche von Hermannstadt (rumänisch: Sibiu) und auf dem Kirchplatz hat sich eine lange Schlange gebildet. Verschiedene Sprachen wie Rumänisch, Ungarisch, Deutsch, Englisch und auch Schwedisch sind zu hören. Es ist Lange Nacht der Museen und neben dem Brukenthal-Museum am Großen Ring und dem ASTRA-Freilichtmuseum für bäuerliches Handwerk hat auch die evangelische Kirche ihre Türen geöffnet. Besonders groß ist der Andrang beim Besuch des Kirchturms. "Wir waren schon im vergangenen Jahr von den vielen Besuchern überrascht und haben uns entsprechend vorbereitet", sagt Hans-Georg Junesch, einer der drei Pfarrer der Stadtpfarrkirche. 13 Haupt- und Ehrenamtliche der Hermannstädter Kirchengemeinde sind an diesem Abend im Einsatz, um sich um die Besucher zu kümmern. Organistin Brita Falch Leutert spielt kurze Orgelkonzerte und der Pfarrer und sein Team bieten Kirchenführungen an.
Hans-Georg Junesch, Jahrgang 1970, gehört zu den wenigen Siebenbürger Sachsen in Rumänien, die nach der rumänischen Revolution Ende 1989 und der darauf folgenden Öffnung der Grenzen im Land geblieben sind. Damals hatte er gerade mit seinem Theologiestudium begonnen. "Ich stand am Anfang eines Weges und wusste, dass ich hier als Pfarrer eine Aufgabe habe und von den Zurückgebliebenen gebraucht werde", erzählt er.
Viele der damals Ausgewanderten hätten die Befürchtung gehabt, dass in Rumänien nach der Zeit des Kommunismus alles zusammenbricht. Passiert sei das nicht. Auch wenn die Zeit in den 1990er Jahren mit niedrigen Löhnen und hoher Inflation alles andere als einfach gewesen sei. "Der Geist Gottes weht, wo er will, auch in Siebenbürgen", sagt er.
Das kirchliche Leben in Hermannstadt beschreibt Pfarrer Junesch als lebendig. Die Gottesdienste in der Stadtpfarrkirche, die auf Deutsch gehalten werden, seien ein Treffpunkt für die deutsche Gemeinschaft, die in kleiner Zahl auch heute noch in Siebenbürgen anzutreffen ist. "Die deutsche Identität ist hier prägend und vielen in unserer Gemeinde wichtig", sagt Junesch. Zur Gemeinde zählen heute neben Rückkehrerfamilien und "Sommer-Sachsen", ausgewanderte Siebenbürger Sachsen, die ihren Sommerurlaub in Siebenbürgen verbringen auch junge, evangelische Menschen aus deutsch-rumänischen Ehen, sowie Menschen, die der Arbeit wegen auf Zeit in Rumänien leben oder vor Ort eine neue Heimat gefunden haben.
Dennoch beschreibt auch Junesch einen Wandel, den die Gemeinde mit den Jahren durchlaufen hat. Die Stadtpfarrkirche sei unter der Woche zu einer Citykirche geworden, deren Angebote wie Mittagsandachten und Orgelkonzerte inzwischen auch auf Rumänisch oder Englisch stattfinden und sich an ein nicht-deutschsprachiges Publikum richten. Hermannstadt, einstiges Zentrum der Siebenbürger Sachsen, ist im Zuge des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union und der Ernennung der Stadt zur Kulturhauptstadt Europas 2007 umfangreich saniert worden und heute stark touristisch geprägt.
Seitens der Gemeinde ist auch Marc Elflein vor Ort und führt die Besucher auf den Kirchturm. Der 19-jährige stammt aus Erfurt und absolviert einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) an der Stadtpfarrkirche.
"Meine ehemalige Mathelehrerin stammt aus Bukarest. Sie hat öfter erzählt, wie schön Rumänien ist", begründet er seine Entscheidung. Elflein kümmert sich um den Kirchgarten, bietet Kirchenführungen auf Deutsch und Englisch an, hat Mittagsandachten gehalten und fährt Essen auf Rädern an alte und kranke Menschen aus. "Das erlebe ich als eine erfüllende Aufgabe", sagt er.
Nicht nur das lebendige kirchliche Leben vor Ort, auch die ruhige und gelassene Art der Menschen in Siebenbürgen haben ihn positiv überrascht. "In vielen Bereichen geht es hier lockerer zu, politische Debatten erlebe ich weniger hitzig als in Deutschland", sagt er. Schon seit langer Zeit leben in Siebenbürgen Menschen verschiedenster Herkunft zusammen: Rumänen, Ungarn, Siebenbürger Sachsen, Österreicher, Sinti und Roma, inzwischen auch Menschen aus weiteren Ländern Europas. Sie alle müssen miteinander auskommen "Das Prinzip ‚Leben und leben lassen‘ haben die Menschen hier drauf", sagt er.
In Erfurt ist Elflein Jugendvertreter im Gemeindekirchenrat seiner Heimatgemeinde. Nach seinem Freiwilligendienst plant er, ab Herbst in Jena Theologie zu studieren und möchte Pfarrer werden. Sorgen bereiten ihm die steigenden Kirchenaustritte in Deutschland nicht. "Wir reden viel darüber, wie sehr es mit der Kirche bergab geht. Aber die Kirche hier hat den großen Rückgang schon hinter sich und trotzdem geht es weiter". Auch auf Deutschland, sagt er, könne man das übertragen. "Hier habe ich gelernt, dass es keinen Grund gibt zu verzagen." Für sich selbst und für die Kirche nehme er eine ganze Menge Optimismus mit nach Hause – und eine Einstellung, die er in Siebenbürgen kennen gelernt hat, nämlich "nicht alles gleich persönlich zu nehmen."
Siebenbürgen und die evangelische Kirche
Ab dem 12. Jahrhundert ließen sich deutsche Siedler, vorwiegend aus dem Rhein- und Moselgebiet, in Siebenbürgen nieder. Der ungarische König Géza II. hatte sie zur Landerschließung und Grenzverteidigung angeworben. In Kriegszeiten wurden die gebauten Kirchen zum Zufluchtsort – so entstanden Kirchenburgen, ein heute noch typisches Merkmal Siebenbürgens, von denen sieben zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. 1550 schloss sich die Kirche der Reformation an. Nach einer Massenauswanderung Anfang der 1990er Jahre hat die Evangelische Kirche in Rumänien heute noch 10.000 Mitglieder.