Reliquien der Heiligen Kilian, Kolonat und Totnan
Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Ein Schrein aus Bergkristall mit den Häuptern der drei Heiligen Kilian, Kolonat und Totnan, war am 01.03.2024 auf dem Altar des Würzburger Killiansdoms ausgestellt.
Heiligen-Herz auf Tour
Theologe: Reliquienverehrung ist aus der Zeit gefallen
Derzeit tourt die Herzreliquie des verstorbenen Teenagers Carlo Acutis durch Deutschland. Für viele ist diese Form katholischer Frömmigkeit befremdlich. Theologen sehen darin auch Hinweise auf die Ablehnung der aktuellen katholischen Reformdebatten.

Der katholische Theologe Oliver Wintzek hält die Verehrung menschlicher Überreste als Reliquien für anachronistisch. Dass derzeit ein Teil des Herzens des sogenannten Internet-Apostels Carlo Acutis durch Deutschland toure, scheine doch sehr aus der Zeit gefallen und auch makaber, sagte Wintzek dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es gebe Menschen, die das anspreche und die sich davon emotional berühren ließen. Aber für Menschen mit kritisch aufgeklärtem Geist mute diese Verehrung seltsam an. Man müsse unterscheiden zwischen der Verehrung von Heiligen als inspirierende Vorbilder und der Verehrung von Reliquien.

Anfang Juli hatte der Vatikan bekannt gegeben, dass der erst 2006 im Alter von 15 Jahren gestorbene Italiener Carlo Acutis heiliggesprochen wird. Acutis, der an Leukämie starb, ist der Erste aus der Generation der "Millennials", der heiliggesprochen wird. Der in London geborene Acutis galt als Computergenie und war am Aufbau religiöser Internetseiten beteiligt. Daher wurde er von italienischen Medien als "Influencer Gottes" bezeichnet. Acutis legte etwa eine Liste eucharistischer Wunder an, die inzwischen auf einer Internetseite und in Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Derzeit organisiert die Gruppe "Freunde Carlo Acutis" eine Reise der Herzreliquie des Teenagers durch Deutschland. Am Donnerstagabend sollte ein Gottesdienst mit der Reliquie in Hamburg mit Erzbischof Stefan Heße stattfinden, zuvor machte die Reliquie im Kölner Dom und in München Station.

Eigenwillige Mischung aus modern und anti-modern

Diese Form der Verehrung sei eine ganz eigenwillige Mischung aus modern und anti-modern, sagte Wintzek, der Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule Mainz ist. Modern daran sei die Aufmachung und das Marketing für den "Turnschuh-und-Jogginghosen-Heiligen". Eine Art Reliquienkult gebe es ja auch im Sport oder in der Popkultur etwa im Hinblick auf Devotionalien von Stars wie Taylor Swift.

Aber, so Wintzek, "die Postmoderne inszeniert hier unter hippen Gewand etwas Reaktionäres". "Es geht um eine Frömmigkeit, die an eine vermeintlich gute Zeit des Katholischen, wo noch alles klar und geregelt war, andocken möchte." Hier werde hinter den Kulissen die Debatte ausgetragen, welche Form des Katholischen heute gelebt werden solle. Denn bei den gegenwärtigen Reformdebatten in der katholischen Kirche etwa über die Rolle von Frauen, die Haltung zu Homosexuellen oder den Zölibat werde oft vonseiten der Reformskeptiker eine sogenannte Neuevangelisierung angemahnt.

"Statt wirklich über strukturelle Veränderungen in der Kirche zu sprechen, heißt es nur, stellt den Glauben an Christus wieder ins Zentrum", sagte der Theologe. "Bei diesen Neuevangelisierungstendenzen sollen die Reformforderungen struktureller und inhaltlicher Art weg spiritualisiert werden. Doch ohne Reform hängt die Neuevangelisierung in der Luft."

Der Blick in die Kirchengeschichte zeige, dass die Reliquienverehrung eine Entwicklung des frühen Mittelalters gewesen sei. "In der alten Kirche wäre man hingegen gar nicht auf den Gedanken gekommen, Märtyrergräber zu öffnen", sagte Wintzek. Ab dem 7. Jahrhundert beginne die Reliquienverehrung, jedoch in Form sogenannter Berührungsreliquien. "Wenn die Menschen ein Souvenir etwa von einem Apostelgrab wollten, dann hielten sie an diese verehrte Stelle ein Stück Stoff oder ein Tuch, das sie mit nach Hause nahmen."

Erst im Mittelalter habe es Reliquien in Form von menschlichen Überresten gegeben, wie der Kult um die Gebeine der Heiligen Drei Könige, die ihre letzte Ruhe im Kölner Dom gefunden haben. "Hierbei war der Gedanke leitend, dass die sterblichen Überreste gewissermaßen als Brücke fungierten, da der oder die verehrte Heilige eigentlich bei Gott bereits zu Hause ist."