Heavy-Metal- Fans
Axel Heimken/dpa
Jedes Jahr feiern Festivalbesucher vor der Bühne die auftretenden Musiker. Nicht immer bestimmt nur pure Freude das Festival-Leben.
Seelsorge auf Wacken Open-Air
Unter 80.000 Menschen einsam sein
25 Seelsorgerinnen und Seelsorger der Nordkirche sind beim Wacken Open Air für die Festivalgäste im Einsatz. Zum 14. Mal werden Hilfe, Beratung und Gespräche auf dem größten Heavy Metal-Festival der Welt vom 31. Juli bis zum 3. August angeboten, wie die Nordkirche mitteilte. Landesjugendpastorin Annika Woydack spricht mit evangelisch.de-Redakteurin Katja Eifler über Liebeskummer, Stress und Einsamkeit. Gefühle, die auch Fans harter Musik spüren.

Die Festival-Seelsorge soll Anlaufstelle für alle sein, die Hilfe oder ein offenes Ohr suchen. Sie ist neben der Einsatzstelle des Sanitätsdienstes und im Bereich der Wacken Foundation zu finden. Das ehrenamtliche Team aus Sozial- und Gemeindepädagogen, Psychotherapeutinnen, Diakonen sowie Pastoren und Pastorinnen ist auch auf dem Festival-Gelände unterwegs und im Notfall rund um die Uhr zu erreichen.

evangelisch.de: Frau Woydack, dieses Mal sind sie gleich mit zwei festen Standorten auf dem Wacken-Festival vertreten und zusätzlich gibt es noch eine Pop-up Kirche, ein Angebot der Kirchengemeinde in Wacken. Wie kam es dazu und welchen Hintergrund hat das?

Annika Woydack: Die Metal-Heads kennen uns und wissen, dass wir bei Problemen da sind. Aber das Festival-Gelände vom WO:A ist riesig und gerade für Neue etwas unübersichtlich, wir wollen aber für alle schnell und leicht erreichbar sein. Das ist gerade in einer Ausnahmesituation oder nach einer spontan erlebten unangenehmen Erfahrung wichtig. Daher sind wir richtig froh, dass uns der Veranstalter gefragt hat, ob wir auch Seelsorge-Gespräche in einem zweiten, kleineres Zelt auf dem Festival-Gelände anbieten würden. Außerdem können Gäste hier im Bereich der Wacken Foundation sich ganz unverbindlich über uns und unser Angebot informieren.

Sollte Kirche öfter auf Veranstaltungen dieser Größe vertreten sein?

Woydack: Wir bekommen immer wieder die Rückmeldung, dass die Festival-Seelsorge bei solchen Massenveranstaltungen gut ankommt, und erfahren ja selbst, wie wir bei kleinen Sorgen und großen Problemen helfen können. Seit 2023 sind wir auch beim Rockfestival Baltic Open Air bei Schleswig und haben auch dort schon viel positives Feedback bekommen.

Landesjugendpastorin Annika Woydack  ist Seelsorgerin auf dem Wacken Open Air Festival. Sie ist Leiterin des Hauptbereichs Generationen und Geschlechter der jungen Nordkirche

Es geht ja erst einmal darum, dass diejenigen, die zu uns kommen, möglichst weiter eine gute Zeit auf dem Gelände haben, und dabei können wir helfen. Aus unserer Sicht wäre solch ein Angebot auch für viele andere Festivals ein Gewinn. Wichtig ist, dass wirklich alle mit ihren Anliegen kommen dürften, unabhängig von Konfession oder Kirchenzugehörigkeit, (und der Glaube oder die Weltanschauung gar nicht Thema sein muss). Und natürlich sollten nur gut ausgebildete, professionelle Festival-Seelsorger und -Seelsorgerinnen dabei sein.

Beim letzten Wacken Festival 2023 fanden rund 240 Gespräche und Kontakte über das Seelsorgeangebot statt. Worum drehten sich die Sorgen der "harten" Fans hauptsächlich?

Woydack: Das können aktuelle Nöte wie Überforderung durch die Festival-Situation – laut, voll, vielleicht viel Alkohol und wenig Schlaf - , Liebeskummer, Stress mit der Clique oder fremden Personen sein. Oder unangenehme Begegnungen oder verstörende Erlebnisse, über die jemand gern mit uns sprechen möchte. Viele bringen auch handfeste Sorgen und tiefsitzende Probleme von zu Hause mit, treffen uns auf dem Gelände oder sehen unser Zelt und finden hier eine Gelegenheit, darüber zu sprechen. 

Hat sich in Bezug auf die Art der Sorgen und Probleme etwas in den letzten zehn Jahren verändert? 

Woydack: Das lässt sich so pauschal schwer sagen, aber wir stellen schon fest, dass die Folgen der Corona-Pandemie immer noch zu spüren sind. Junge Menschen sind heute verletzlicher und leiden auch stärker und häufiger unter Einsamkeit. Auch wenn es paradox klingt :Das kann sich gerade bei einer Massenveranstaltung mit 80.00 Menschen besonders deutlich zeigen.

"Junge Menschen sind heute verletzlicher und leiden auch stärker und häufiger unter Einsamkeit."

Das Gefühl nicht in wirklichen Kontakt zu kommen, einsam zu sein unter so vielen Menschen und aus diesem Gefühl nicht wieder herauszufinden – das haben wir erlebt. Wir suchen nach Ressourcen, nach Erinnerungen von Situationen, in denen es gut ging und versuchen so die eigenen Kräfte unseres Gegenübers zu stärken.  
 
Gibt es da einen Unterschied zu den Sorgen, die sonst auch außerhalb eines Festivals an Sie herangetragen werden?

Woydack: Jede Sorge ist individuell und für jeden Menschen schwer zu tragen. Von daher fällt es schwer, das genauer zu beantworten.

Die Festivalbetreuung ist ein Ehrenamt, was motiviert Sie und ihr Team dies anzubieten? Und ist auch Zeit dafür einen Auftritt selbst zu besuchen?

Woydack: Die Atmosphäre in Wacken ist schon besonders, und viele von uns kommen tatsächlich jedes Jahr wieder gern hierher und nehmen dafür Urlaub. Die sinnstiftende, ehrenamtliche Arbeit ist vermutlich der Hauptmotivator für unser ehrenamtliches Team. Die Sorgen und Ängste der Besuchenden auszuhalten, mitzutragen, da zu sein – und oft zu merken, dass Menschen unsere Arbeit dankbar annehmen und dann oft weiter gut auf dem Festival feiern können – das motiviert ungemein. Weil unser Team die Atmosphäre beim Wacken Open Air kennt, weiß das Team, was zählt. Und da wir ein multiprofessionelles Team sind, ist die Zusammenarbeit immer wieder spannend und auch für alle eine Bereicherung. Klar, einige von uns gehen zwischen ihren Einsätzen auch zu den Auftritten und freuen sich darauf. Wir haben tatsächlich einige echte Metal-Fans.  

Mögen Sie privat diese Musik auch?

Woydack: Ich war jetzt einige Male in Wacken und im vergangenen Jahr auch beim Baltic Open Air. Ich gebe zu: Eigentlich ist Heavy Metal nicht so meine Musik, aber es ist schon toll, die Begeisterung des Publikums zu sehen und das springt dann auch mal auf mich über. Und es gibt ja auch Bühnen, auf denen es etwas weniger hart und laut zugeht.

Am 31. Juli gibt es um 17 Uhr wieder einen Metal-Gottesdienst in der Kirche in Wacken. Geplant sei ein Auftritt der Schweizer Metalband "Adoramus". Von Donnerstag bis Sonnabend hat die Kirche zudem tagsüber geöffnet und kann als Rückzugsort im Festivaltrubel genutzt werden. Am 3. August findet zusätzlich die "Pop-Up-Church" auf dem Festivalgelände statt. Um 11 Uhr bietet ein Team von Pastorinnen und Pastoren dort erstmals auch spontane Segen an.

Über das Wacken Open-Air

Das WOA ist das größte Heavy Metal-Festival der Welt. Mit 800 Besuchern im Jahr 1990 gestartet, pilgern heute jährlich 85.000 Fans aus aller Welt nach Wacken in Schleswig-Holstein und lassen die 2.000 Seelen-Gemeinde zum Mittelpunkt der Festivalszene werden.