evangelisch.de: Vor rund 40 Jahren gab es an der Schule sogenannte Vertrauenslehrer, mit denen Jugendliche über ihre Probleme reden konnten. Ist die Schulseelsorge ein ähnliches Angebot?
Desiree Scheider: Ja, das könnte man so sagen, da beides auf Vertrauensbasis basiert. Die Mehrheit der Schulseelsorgenden sind ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen, aber es können auch Pfarrer im Schuldienst sein, die das psychosoziale Team in der Schule verstärken. Es handelt sich bei den Schulseelsorgenden um Ansprechpartner, mit denen die Kinder, Jugendlichen, Eltern und alle, die in der Schule arbeiten, über all das reden können, was sie eben auf dem Herzen haben. Wir unterstehen auch der Schweigepflicht, also darf nur das weitergegeben werden, was von der anfragenden Person freigegeben wird.
Wie setzt sich denn diese Ausbildung zusammen? Wie werden – vor allem die Lehrer - genau geschult?
Schneider: Ich selbst bin Lehrerin und wurde durch das Pädagogisch-Theologische Institut (PTI) der Evangelischen Kirche im Rheinland geschult. Unter Leitung von Landespfarrerin Sabine Lindemeyer bietet das PTI einjährige Ausbildungsgänge. Man trifft sich von Donnerstag bis Samstag und macht unterschiedliche Fortbildungen, sodass man am Ende qualifiziert ist, um an der Schule die Seelsorge zu übernehmen.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Online-Texterin und Marketing-Coach. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Man lernt, wie man mit allgemeinen Problemen der Schüler umgeht, aber auch den Umgang mit den schwierigeren Themen wie Suizid. Es gibt sechs unterschiedliche Module, die man durchläuft. So wird man beispielsweise in der Gesprächsführung geschult, aber man erhält auch Handlungskompetenz, wenn es zum Beispiel um einen Trauerfall geht. So bekommt man auch viele Adressen und Kontakte an die Hand, wo sich die Schüler hinwenden können, falls aktueller Bedarf besteht. Eine Supervision gehört auch immer dazu, bei der man sich austauschen kann und mit den Ausbildern über die eigenen Erfahrungen reden kann.
Ich habe vor rund fünf Jahren bei einem Orientierungstag im PTI erst mal geschaut, ob das etwas für mich sein kann. Anschließend habe ich mich beworben, denn es gibt nur wenige Ausbildungsplätze. Danach wurde unter anderem geschaut, ob man in die Ausbildungsgruppe passt, denn die ist bewusst heterogen. Das PTI schaut nämlich, dass beispielsweise nicht nur Lehrer einer Altersklasse in einer Gruppe sind, sondern Auszubildende aus allen Altersklassen und allen Bereichen. Das ist viel bereichernder, da verschiedene Berufserfahrungen und Sichtweisen zusammenkommen.
Sind sie als Schulseelsorgerin nur an einer Schule tätig oder an mehreren?
Schneider: Eigentlich ist man nur an der Schule tätig, in der man auch als Lehrerin angestellt ist. Aber genau das ist der Knackpunkt, denn nicht an jeder Schule gibt es Schulseelsorger, da es eben wenig Ausbildungsplätze gibt. Auf dem Gebiet der rheinischen Kirche sind rund 150 Schulseelsorgende im Einsatz. Damit also jede Schule irgendwie davon profitieren kann und da die Nachfrage wächst, gibt es jetzt einen Schulseelsorgechat.
"Zwar läuft das digitale Angebot erst seit zwei Monaten, aber wird bereits vielfach genutzt."
Ja, richtig. Seit Ostern steht den Kindern und Jugendlichen im Rheinland eine neue Möglichkeit der seelsorglichen Begleitung zur Verfügung: In einem Schulseelsorgechat können sie über WhatsApp über ihre Probleme reden bzw. schreiben. Ist denn der Bedarf da?
Schneider: Die Nachfrage ist auf jeden Fall da. Zwar läuft das digitale Angebot erst seit zwei Monaten, aber wird bereits vielfach genutzt. Die digitale Schulseelsorge hat den entscheidenden Vorteil, dass die Jugendlichen sich anonym melden können. Wir wissen also nicht, wer sich da jetzt wirklich meldet an der anderen Seite – ein Schüler, eine Schülerin, Eltern?
Der andere große Vorteil ist der Messengerdienst WhatsApp. Der digitale Chat ist die Kommunikationsform von Kindern und Jugendlichen. Somit bietet er ein großes Potenzial, da die Schüler das Chatten gewohnt sind und vielleicht auch das Telefonieren und das persönliche Gespräch vermeiden wollen. Das merke ich vor allem, weil durch die Anonymität im Chat eine gewisse Distanz geschaffen wird und Probleme auf den Tisch kommen, die vielleicht im persönlichen Gespräch nicht so angesprochen worden wären.
Diesen Schulseelsorgechat gibt es seit zwei Monaten, jeweils dienstags und donnerstags von 16 bis 19 Uhr. Es gibt Dienste, da meldet sich keiner und dann gibt es Dienste, da melden sich viele. Da wir parallel auch noch an der Schule lehren oder im Pfarrberuf tätig sind, schafft man das nicht immer alleine. Aber das ist so gut organisiert, dass man dann noch jemanden im Hintergrund hat, der dann auch zur Hand gehen könnte.
Aber ist das denn nicht schwierig, den Hilfesuchenden zu beraten, wenn man gar nicht weiß, wen man vor sich hat?
Schneider: Sicherlich ist es am Anfang schwierig, da man nicht weiß, ob man die Schüler und Schülerinnen vor sich hat oder die Eltern, die schreiben. Aber während der Ausbildung werden wir von der Telefonseelsorge geschult. Experten vermitteln dann, wie man ohne Gestik und Mimik kommunizieren kann. Hierbei kommt es auf zum Beispiel den Schreibstil an.
Man sollte sich daher auf den Schreibstil des Hilfesuchenden einlassen. Also, wenn beispielsweise viele Emojis im Text sind, kann man mit Emojis antworten. Das schafft Nähe zu den Hilfesuchenden – sie fühlen sich dann verstanden, da man sozusagen auf einer Ebene kommuniziert. So können wir erst einmal Erste Hilfe leisten bei einem Problem, einen Denkanstoß vermitteln. Wenn wir dann sehen, wir haben ein schwierigeres Problem vor uns und da ist mehr Handlungsbedarf, können wir auch weiterführende Kontakte vermitteln – nur wenn die Hilfesuchenden das wollen, natürlich.
Ist denn die Nachfrage gestiegen? Haben die Jugendlichen jetzt mehr Probleme?
Schneider: Ja, auf jeden Fall. Die Nachfrage ist stärker geworden. Vor allem als während der Corona-Zeit die Schulen geschlossen waren, haben viele Jugendliche bereits damals den digitalen Weg gesucht. Wir haben dann Video-Chats angeboten. Da man gesehen hat, dass die Jugendlichen dieses digitale Angebot gut angenommen haben, ist der Schulseelsorgechat eingeführt worden. Deswegen finde ich dieses Projekt auch so wichtig, da es eigentlich zu wenig Schulseelsorger gibt, die das an den Schulen leisten können.
Sie sprachen vorhin auch von Suizid - Was sind denn so die üblichen, allgemeinen Probleme und was sind eher die Schwerwiegenden?
Schneider: Im Schulseelsorgechat hatten wir bisher Gott sei Dank weniger schwerwiegende Probleme wie zum Beispiel Suizid. Bei der Mehrheit der Sorgen handelt es sich um Liebeskummer oder irgendwelche Streitigkeiten, mit denen man umgehen muss. Dann gibt es Schulsorgen, Probleme mit den Lehrern und natürlich Mobbing – das ist ein großes Thema im Kontext Schule.
Was wir auch betreut haben, sind Probleme mit den Eltern und auch der Umgang mit dem Tod der Großeltern beispielsweise. Und dann gibt es natürlich auch Krankheitsbilder, die deutlich werden, wofür wir aber nicht ausgebildet sind. Dann sagen wir direkt: "Okay, hier muss dann eine andere Stelle helfen, wenn du das möchtest." Wir können ja schließlich keinen zwingen, eine Hilfe anzunehmen.
Frau Scheider, die Sommerferien stehen vor der Tür. Geht es dann auch weiter mit der Schulseelsorge in den Ferien?
Schneider: Also, bisher haben wir das so gehandhabt, dass wir an den Feiertagen keinen Dienst haben. Da wir eben noch zu wenige Leute sind, vor allem für den WhatsApp-Dienst, können wir das nicht stemmen.
Natürlich ist uns aber bewusst, dass die Probleme in den Ferien nicht "ruhen", daher würde ich gerne bei der nächsten Supervision vorschlagen, dass wir eine automatische Nachricht einrichten. Dann würden die Jugendlichen eine Nachricht mit Kontaktdaten bekommen, an die sie sich wenden können, wie beispielsweise die Nummer der Telefonseelsorge. So lässt man keinen im Regen stehen!