Aber von Anfang an. 1988 machte Ingmar Wienen Abitur und beschäftigte sich aktiv in der christlichen Jugendarbeit. Sein Pfarrer riet ihm zum Studium der Theologie. "Das habe ich dann auch tatsächlich getan", so Wienen. Zunächst grundständig drei Semester in Bethel, wo damals noch eine Kirchliche Hochschule war. Im Studium beschäftigte sich Wienen intensiv mit Wirtschaftsethik. "Das hat mich wirklich fasziniert. Wie denkt man unternehmerische Verantwortung weiter, so dass man eben nicht nur die Anteilseigner zufrieden stellt, sondern auch alle anderen, die von dem Unternehmen und seinen Handlungen betroffen sind, also beispielsweise Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden." Nach dem Kolloquium, der theologischen Zwischenprüfung, ging er nach Bonn und studierte ein Semester Theologie im Hauptstudium.
Es folgte der Zivildienst in einer Klinik in Hamburg, und Wienen dachte gründlich darüber nach, was er mit seinem Leben anstellen sollte. Er entschied sich für BWL, weil er sich mit den Fundamenten wirtschaftlichen Handelns auseinandersetzen wollte. Dann erwarb er seinen Diplom-Kaufmann, einen weiteren Hochschulabschluss in Frankreich und einen Masterabschluss in England. Er stürzte sich ins internationale Berufsleben und arbeitete für viele Jahre erfolgreich in der Mineralölindustrie. "Ich habe mir gedacht, das ist eine Industrie, die wirklich alle angeht und die natürlich voller wirtschaftlicher und ethischer Fragestellungen ist."
Ingmar Wienen arbeitete danach im Personalmanagement bei mehreren Öl-Konzernen. "Die meisten Kriege in der Welt gehen entweder um Wasser oder um Blut oder um Öl. Das fand ich herausfordernd." International kam er ziemlich herum, mit Fokus auf Europa und Asien. Er lebte in Holland, China, England und Russland und zog schließlich nach Köln. Dann kam die Sinnkrise. "Im Ausland hatte alles mit Aufbau zu tun. Leute einstellen und sie weiterentwickeln. Wir haben wirklich westliche Werte in die Länder gebracht, haben Demokratisierung vorangetrieben." In Deutschland dagegen war die Mineralölindustrie auf einem absteigenden Ast. Wienen musste Mitarbeiter entlassen. "Ich habe immer gedacht, wärst du Pfarrer geworden, hättest du auch nicht nur getauft, da hättest du auch beerdigt." Aber immer wieder stellte er sich die Frage: "Was will ich mit meinem Leben anfangen? Will ich das die nächsten Jahre bis zur Pensionierung so durchziehen?"
Schließlich besann er sich einer alten Liebe zur Medizin, machte eine Ausbildung zum Notfallsanitäter und stieg dann relativ schnell in die Organisation der Johanniter ein. Dort ging es mit der Karriere wieder rasch die Stufen empor, da Wienen von seinem Management-Background profitierte. Er wurde Leiter des Bildungsinstituts Essen und fuhr weiter auch selbst Notfalldienste.
"Es klingt ein bisschen kitschig, aber ich hatte Gottvertrauen"
"Das war eine völlig andere Hausnummer als mein Job zuvor." Wichtig sei ihm das Verständnis der Mitarbeitenden gewesen, dass sie Menschen in psychischen Ausnahmesituationen begleiten. "Das war für mich mein Leitfaden."
Ist ihm die Entscheidung, sein Leben radikal zu ändern, leichtgefallen? "Es klingt vielleicht ein bisschen kitschig, aber ich hatte Gottvertrauen. Ich habe eine Zuversicht, dass die Dinge, auch wenn sie am Anfang nicht ganz zu überblicken sind, passieren werden. Die Erfahrung habe ich in meinem Leben mehrfach gemacht. Mit diesem Grundvertrauen gehe ich durchs Leben." Der Verzicht auf ein Manager-Gehalt in der Industrie hat ihm dabei keine Angst gemacht. "Ich habe einfach dieses Interesse ausleben wollen: In wirklich schwierigen Situationen einzugreifen und etwas tun zu können."
All die Jahre hat Wienen immer mal wieder nach einer Möglichkeit geschaut, wie er tiefer in die Theologie einsteigen kann. "Ich war wirklich glücklich, als es in Wuppertal dann die Möglichkeit gab, mit Anerkennung der Evangelischen Kirche Deutschland Theologie zu studieren." Wienen bewarb sich an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal (KiHo) und hatte "tatsächlich das große Glück, dass meine ganzen Leistungen aus dem grundständigen Studium anerkannt worden sind. Das empfand ich als großes Geschenk."
Highlights in der Schule
Der Rest ist schnell erzählt. In kürzester Zeit brachte er seinen Master in Theologie zu Ende. Jetzt ist er Vikar an der Christus- und an der Thomaskirche in der Gemeinde Köln. Das ist die Innenstadtgemeinde. Mit der Vollzeitphase des Schulvikariats an einer Innenstadtschule, der Königin-Luise-Schule, ist er fertig. Eine spannende Erfahrung, sagt er. Der konfessionell kooperative Religionsunterricht ist im Erzbistum Köln neu. Die Königin-Luise-Schule ist eine der ersten, die das für Köln testet. "Das war für mich eine fantastische Erfahrung, mit diesen konfessionell-kooperativen Ideen an den Start zu gehen."
Seine Zeit als Religionslehrer hat er geliebt. "Ein absolutes Highlight für mich war die erste interreligiöse Schuljahresabschlussfeier. Die Idee war, ob wir nicht auch etwas mit dem jüdischen und mit dem muslimischen Kollegen hinbekommen. Das hat tatsächlich funktioniert." Zusammen mit einem Vertreter der liberalen jüdischen Gemeinde von Köln, einem aus der muslimischen Gemeinde und einem katholischen Kollegen gestaltete er im Team mit Religionslehrerinnen seiner Schule einen Gottesdienst.
Aus dem Vollen schöpfen
"Das war eine unfassbar spannende Erfahrung. Die Kinder waren stark beteiligt. Die haben die Auslegungen mit vorbereitet und auch vorgetragen, die Gebete geschrieben, die Lieder ausgesucht." Das Feedback von der Schulleitung sei gewesen: So aufmerksam seien die Kinder schon lange nicht mehr gewesen. Dabei war es ein extralanger Gottesdienst. Es habe drei Textauslegungen und natürlich auch drei Begrüßungen und dreimal alle Gebete gegeben. "Aber dadurch, dass so viele Kinder sich schon vorher intensiv beteiligten, zündete ein Funke. Es war sehr berührend."
Haben sich seine Erwartungen an diese neue Lebensaufgabe erfüllt? "Mehr als das. In diesem Abschnitt des Schulvikariats haben sich meine Erwartungen absolut übererfüllt." Er hofft, dass noch mehr Landeskirchen das Vikariat neu für Quereinsteiger denken. "Das müsste meiner Meinung nach noch weiter passieren." Zu wenige Landeskirchen bieten modulare Vikariate an, findet er. Wer Berufserfahrung habe, solle nicht alles studieren müssen. "Wenn ein Mensch schon öfter mal vor 200 Leuten einen Vortrag hielt, größere Millionenbeträge verwaltete oder schon öfter mal Projekte leitete – da müssen wir nicht mehr bei Adam und Eva anfangen, um das theologisch auszudrücken." Wer schon viel pädagogische Erfahrung habe, der solle nur ein verkürztes Schulvikariat machen.
Quereinsteiger würden zu oft defizitär betrachtet, kritisiert Wienen. "Natürlich haben die keine 20 Jahre Pfarramts-Erfahrung. Aber dass die vielleicht 20 Jahre ganz andere Erfahrung mitbringen, Leitungserfahrung und vielleicht auch wirtschaftliche Erfahrungen, das ist doch in dieser etwas krisenhaften Zeit von Vorteil."
Wohin zieht es ihn jetzt? "Ich lass mich da ein bisschen treiben. Ich finde das Pfarramt fantastisch, sonst würde ich ja nicht die ganze Ausbildung machen." Es gäbe aber Bereiche, wo er sich auch gut aufgestellt sähe. Insbesondere in der Diakonie, wo es um die Schnittstelle von wirtschaftlichen und theologischen Fragestellungen geht. "Ich würde gerne meine Fülle an Erfahrung aus der Wirtschaft und der Tätigkeit im Gesundheitswesen nutzen. Jetzt kommt die Ausbildung zum Pfarrer hinzu. Da kann ich aus dem Vollen schöpfen."
Bei der Kirchlichen Hochschule Wuppertal sind Quereinsteiger willkommen:
Für den Weiterbildungsstudiengang "Master of Theological Studies" sind Bewerbungen noch bis zum 30. September 2024 möglich.
Der "Master of Theological Studies" ist als zweiter Zugang zum Pfarramt in allen Landeskirchen der EKD anerkannt. Er richtet sich an Akademiker:innen mit Berufserfahrung, die in Vollzeit oder Teilzeit evangelische Theologie studieren wollen: Aus Interesse, um eine theologische Qualifikation zu erwerben oder um Pfarrer:in zu werden.