In dem am Dienstag veröffentlichten Bericht "Under-protected and over-restricted: The state of the right to protest in 21 countries in Europe" zeigt Amnesty International ein Muster repressiver Gesetze, unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, willkürlicher Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung sowie ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen auf, das sich über den gesamten Kontinent erstreckt.
Ebenfalls klar erkennbar sei demnach der zunehmende Einsatz invasiver Überwachungstechnologien, was zu Abschreckung und Einschüchterung und damit zu einer systematischen Einschränkung des Demonstrationsrechts führe. "Im Laufe der Geschichte hat friedlicher Protest eine zentrale Rolle gespielt, um Rechte und Freiheiten zu erlangen, die wir heute als selbstverständlich ansehen. Doch überall in Europa werden Menschen, die friedlich protestieren, von den Behörden verunglimpft, behindert, oder unrechtmäßig bestraf" so Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.
Die Recherchen würden ein zutiefst beunruhigendes Bild eines europaweiten Angriffs auf die Versammlungsfreiheit aufzeigen. Regierungen würden ein protestfeindliches Umfeld schaffen, das eine ernsthafte Bedrohung für friedliche Demonstrant:innen darstellt, so Julia Duchrow weiter. "Die Versammlungsfreiheit ist ein wichtiges Minderheitenrecht. Protest darf und soll stören. Anstatt politisch unliebsame Proteste einzuschränken und diejenigen zu bestrafen, die auf die Straße gehen, müssen die Staaten in ganz Europa ihr Vorgehen überdenken. Sie sollten Proteste erleichtern und schützen, anstatt sie zu unterdrücken."
Der Bericht stellt zudem eine weit verbreitete Anwendung übermäßiger Gewalt durch die Polizei gegen friedliche Demonstrierende fest, einschließlich des Einsatzes von weniger tödlichen Waffen. In einigen Ländern kam die Anwendung von Gewalt der Folter gleich. Die Recherche ergab außerdem, dass es in mindestens dreizehn der 21 untersuchten Länder, darunter auch Deutschland, Fälle von Straflosigkeit oder mangelnder Rechenschaftspflicht der Polizei gibt.
Regierungen setzen auf Massenüberwachung und Diffamierung von Protestierenden
Die untersuchten europäischen Staaten setzen zunehmend neue Technologien ein, um Demonstrierende in großem Umfang zu überwachen, heißt es im Bericht. Dazu gehört die Überwachung von Aktivitäten sowie das Sammeln, die Analyse und die Speicherung von Daten. Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien zur Identifizierung von Demonstrierenden würde einer willkürlichen Massenüberwachung gleichkommen. Amnesty International stellt zudem einen beunruhigenden Trend der Diffamierung von Demonstrierenden und Protesten fest. Eine verleumderische Rhetorik von Seiten der Behörden ist in allen der 21 untersuchten Ländern an der Tagesordnung.
Demonstrant:innen würden als "Terroristen", "Kriminelle", "ausländische Agenten", "Anarchisten" und "Extremisten" bezeichnet. Diese negative Rhetorik werde häufig als Rechtfertigung für die Einführung immer restriktiverer Gesetze herangezogen. Amnesty zufolge äußerten sich hochrangige Politiker:innen auf diese Art besonders häufig als Reaktion auf Palästina-solidarische Proteste und Klimaaktivismus. Behörden stellen friedliche Aktionen zivilen Ungehorsams europaweit zunehmend als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, was ihnen einen Vorwand liefert, um Beschränkungen zu verhängen und internationale Menschenrechtsverpflichtungen zu umgehen.
Abschreckende Wirkung und Diskriminierung
Europaweit würden Behörden vor allem Palästina-solidarische Proteste einschränken oder gänzlich verbieten, heißt es im Bericht. Diese Maßnahmen seien oft unverhältnismäßig und würden teilweise rassistische Vorurteile und Stereotypisierungen verstärken. So wurden in mehreren der untersuchten Länder bestimmte Gesänge und Symbole auf solchen Protesten verboten, was die Polizei oft gewaltsam durchgesetzt hat. In Deutschland hat das Land Berlin alle geplanten Demonstrationen zum Gedenken an die palästinensische Nakba in den Jahren 2022 und 2023 aufgrund von diskriminierenden Stereotypen über die zu erwartenden Teilnehmer:innen vorab verboten.
Im Rahmen des Berichts hat Amnesty International folgende Länder untersucht: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, die Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn, die Türkei und das Vereinigte Königreich. Das Projekt ist Teil der globalen Kampagne "Protect the Protest" von Amnesty International, die sich
für das Recht auf Protest in der ganzen Welt einsetzt.