Auf dem Perlacher-Forst-Friedhof herrscht alles andere als Totenstille. Vögel zwitschern, Blätter rascheln, die Luft ist voller Melodien. Auf den Grünflächen summt und blüht es. Ein Hinweisschild am westlichen Eingang macht neugierig auf ein Café mit "Kaffee, Kuchen, Ratschen". Hinter den langen Reihen der Gräber, direkt neben der Trauerhalle, zieht ein blauer Bauwagen die Blicke auf sich. Tische und Stühle laden unter weißen Sonnenschirmen zum Verweilen ein. Schon von Weitem lockt der Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Stimmen und Geschirrklappern verschmelzen mit dem Naturgesang. Fast alle Plätze sind besetzt.
Brunhilde Hartewig schneidet einen frischen Kuchen in Stücke: "Wir haben Stammgäste, die sich hier am Wochenende treffen." Trotz des durchwachsenen Wetters strömten heute wieder knapp 50 Besucher herbei. Eliane M. ist eine von ihnen. Gemeinsam mit zwei Freundinnen ist sie aus Gräfeling gekommen. Die Damen wohnen im Altersheim "St. Gisela". Elianes Mann liegt auf dem Friedhof begraben: "Ich bin jeden Sonntag hier und habe das Café schon letztes Jahr besucht." Sie kenne keinen schöneren Ort, um sich mit Freundinnen zum Kaffeetrinken zu treffen, mitten in der Natur. Auch der Kuchen sei verlockend, fügt ihre Freundin hinzu.
Das Friedhofs-Café - das es mit ähnlichem Konzept auch in Regensburg, Herzogenaurach, Augsburg und Aschaffenburg gibt - haben die Städtischen Friedhöfe ins Leben gerufen, sagt Pfarrer Micha Boerschmann von der Lutherkirche. Viele Menschen besuchen den Friedhof, um spazieren zu gehen, ähnlich wie in einem Park. "Zusammen mit der Segen.Servicestelle haben wir den Friedhof am Perlacher Forst als Standort ausgewählt", sagt er. Die Luther-Kirchengemeinde kümmere sich um die Verwaltungsaufgaben. "Ohne das ehrenamtliche Engagement von 20 Gemeindemitgliedern wäre das Projekt undenkbar", betont Boerschmann. Er selbst packt tatkräftig mit an: Er kocht Kaffee, räumt ab, spült und hilft beim Auf- und Abbau: "Ich bin eher ein Macher."
Ein älterer Herr am Nachbartisch spricht begeistert über seine Enkeltochter. Am Freitag war ihr Abiball. Stolz erzählt er, dass sie ein elegantes Abendkleid getragen hat. Nur wenige Tische weiter setzen sich Doris L. und ihr Mann auf die letzten freien Plätze. Mehrmals schon wollte sie nach dem Besuch des Grabes ihrer Eltern im Café vorbeischauen. Die Idee gefällt ihr. Sie wundert sich aber, warum überwiegend Frauen im Café sind. Beim Besuch ihres Elterngrabes sehe sie viele Männer, die beim Befüllen der Gießkannen ins Gespräch kommen. "Vielleicht trauen sich die Männer noch nicht, das Angebot im Café wahrzunehmen", überlegt sie.
"Am Sonntag strömen viele Ehrenamtliche aus den unterschiedlichen Gemeinden und Konfessionen herbei, um zu helfen", erzählt Boerschmann. Besonders beeindruckt ihn, dass sich hier engagierte Menschen aus verschiedenen Ecken Münchens treffen, die sich sonst wohl nie begegnen würden: "Das ist wirklich schön." "Unsere Gäste wünschen sich sehr, dass wir weitermachen", sagt Brunhilde Hartewig. Doch ob das Café auch nächstes Jahr wieder seine Türen und Herzen öffnet, sei noch unklar.
Das Café war eigentlich als einmaliges Pop-Up-Projekt nur für Sommer 2023 geplant. Doch dann habe sich das Café herumgesprochen: "Plötzlich tauchten Leute aus der ganzen Region auf", sagt sie. Niemand habe mit einem solchen Ansturm gerechnet. "Deshalb haben wir beschlossen, es in diesem Jahr fortzuführen", erzählt der Pfarrer - wenn auch mit auf zwei Monate verkürzten Öffnungszeiten, wegen des großen Aufwands. Hartewig hofft dennoch, das Café künftig auch auf andere Friedhöfe ausweiten zu können. "Mit unserem Bauwagen sind wir flexibel", sagt sie - und ein Markenzeichen ist "Himmelb(l)au" inzwischen ohnehin.