In Israels Nachbarkulturen kann das Göttliche männlich oder weiblich erscheinen. Intersexuelle Gottheiten gibt es auch. Im Großen und Ganzen muss man sagen, dass im Alten Orient die Göttlichkeit nicht primär mit dem Geschlecht zusammenhängt. Man kann das an Bildern gut beobachten.
Bis heute hat sich keine bildliche Darstellung finden lassen, die man eindeutig und zweifelsfrei als Abbildung des Gottes JHWH identifizieren könnte. So sind wir auf die hebräischen Texte der Bibel angewiesen. Sie zeigen eine gewisse Tendenz, sind aber nicht völlig eindeutig.
1. Genus: Der Name Gottes
Der Gott Israels hat einen Namen, der ihn unverwechselbar macht. Geschrieben wird er mit den Konsonanten J-H-W-H. Die dazugehörigen Vokale kennen wir nicht, weil dieser Name in späterer Zeit nicht mehr ausgesprochen wurde.
Auf die Deutung des Namens Gottes ist viel wissenschaftliche Mühe verwendet worden. Ziemlich wahrscheinlich ist, dass der Name eine Verbform darstellt: Eine 3. Person, maskulin Singular (3.M.Sg.), Imperfekt: "Er tut XY". Die Bedeutung und die Aktionsform des Namens sind hier völlig unerheblich. Entscheidend ist, dass der Name an sich bereits maskulin ist. Das ist nicht selbstverständlich, denn die meisten biblischen Namen funktionieren für beide Geschlechter, so z.B. Atalja oder Gomer. In einem solchen Fall muss das Geschlecht des Namensträgers durch den Kontext erschlossen werden.
Der Name Gottes ist in den hebräischen Texten 6.828-mal belegt. In den allermeisten Fällen ist sein Träger als männlich identifiziert, indem in der 3. Person maskulin von ihm oder in der 2. Person maskulin zu ihm gesprochen wird. Anders als im Deutschen wird im Hebräischen auch in der 2. Person Singular deutlich, welches Geschlecht das angesprochene gegenüber hat. In einem Fall besteht jedoch eine gewisse Offenheit, nämlich bei der 1. Person. Sowohl das Pronomen "Ich" als auch alle Verbformen der 1. Person sind im Genus neutral. Wenn JHWH also "Ich" sagt, ist sein Geschlecht so lange offen, bis es im Kontext festgelegt wird. Natürlich liegt der Schluss nahe, dass JHWH auch in diesen Fällen als männlich gedacht wird. Zumindest sprachlich bleibt hier aber eine Offenheit. Ich möchte das an einem Beispiel zeigen, an der berühmten Stelle Exodus 3,14-15:
Gott (elohim) sprach zu Mose: Ich bin (da), wovon gilt Ich bin (da). (Ähjeh aschär Ähjeh) Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: "Ich bin da" (Ähjeh), der hat mich zu euch gesandt.
In dieser Stelle wird die Offenheit JHWHs hinsichtlich seines Geschlechts besonders deutlich: Nur in Menschenmund ist eine Aussage darüber möglich, JHWH selbst bleibt beim neutralen Genus.
Natürlich entspringen auch die Ich-Reden JHWHs der Imagination derjenigen, die die Texte verfasst haben. Und es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sie sich Gott mehrheitlich männlich vorgestellt haben, zumal der Name das nahelegt. Indes ermöglicht das genderneutrale "Ich" den Zugriff auf eine Gottesvorstellung, die sich nicht von vornherein auf ein göttliches Geschlecht festlegt.
2. Numerus: Ein Gott, mehrere Gottheiten
Neben dem Namen Gottes, JHWH, wird in den hebräischen Texten auch "Elohim" verwendet, in der Regel mit "Gott" übersetzt. Es handelt sich dabei um eine Gattungsbezeichnung. Außerdem ist es eine Pluralform, strenggenommen "die Götter". Drittens schließlich wird der Begriff unterschiedslos für alle göttlichen Wesen verwendet, auch fremde Götter, die Wesen in Gottes Hofstaat oder Totengeister. Aus diesem Grund muss "Elohim" in aller Regel näher bestimmt werden.
Dass Elohim ein grammatischer Plural ist, hat in den meisten Fällen eine grammatische Ungleichheit bei sich, denn das zugehörige Verb wird im Singular gebildet. Aus diesem Grund wird Elohim größtenteils als Abstrakt-, Intensiv-, oder Majestätsplural aufgefasst, d.h. als "das Göttliche (Wesen)". Im Hebräischen kann Elohim – ein Plural Maskulinum – auch einzelne weibliche Gottheiten bezeichnen, so z.B. 1.Könige 11,6. Von Haus aus aber hat Elohim gewissermaßen keinen Genderbezug bzw. bezieht sich auf alle Gender. Das ist im Sinne der Vorbemerkung nur folgerichtig: Das Gender entscheidet nicht über die Göttlichkeit.
Zur Identifikation des bzw. der Gottwesen dienen überwiegend der Name und das dazugehörige Verb. Auch hier ist nur kontextuell zu erschließen, ob es ein Gottwesen ist oder mehrere und ob männlich oder weiblich. Es gibt eine Reihe von Texten, in denen Elohim quasi als Gottesname verwendet wird, ohne dass es näher bestimmt würde. Genesis 1 ist in diesem Zusammenhang besonders interessant und entsprechend viel diskutiert. Genesis 1,1-25 verwendet Elohim. Er ist das Subjekt der Schöpfung und zwar aufgrund der Verben als ein männliches Gottwesen: Er schafft, er spricht, er macht, er trennt. In 1,26 heißt es plötzlich: "Und da sprach "Gott": Wir wollen/lasst uns Menschen machen, als unser Bild, ähnlich wie wir…"
Es ist m.W. das einzige Mal im Alten Testament, dass Gott von sich selbst im Plural spricht. Für die 1. Person Plural gilt dasselbe wie für den Singular: Sie ist Genus-neutral. Ähnlich wie in Exodus 3 ist die Rede Gottes von sich selbst in Genus und Numerus unbestimmt. Hier spricht nicht JHWH, sondern das Göttliche schlechthin bzw. alle Götter.
3. Sex: Der Körper Gottes
Die eben zitierte Gottebenbildlichkeit berührt die Frage nach dem Körper Gottes. Denn das Säläm, das Abbild, ist eine materielle Darstellung eines Lebewesens. Das legt nahe, dass Gott einen Körper hat. Überblickt man die Belege, dann stellt man fest, dass der Gott Israels zumindest Körperteile hat: ein Gesicht mit Augen, Ohren, Nase und Mund, Lippen und Zunge, außerdem Finger, Hände, Arme, Beine und Füße, Nacken, Bauch und Rücken. Er hat einen (äußeren) Schoß und schließlich ein Herz und eine näfäsch, also Atem und Lebenskraft. Besonders wichtig für unsere Fragestellung ist das Wort racham, rachamim bzw. rachum geworden. In der Regel wird es mit "Barmherzig(keit) (üben)" übersetzt, das häufig mit Gott als Subjekt verwendet wird. Eine ganze Reihe von Philologen leiten die Begriffe von rächäm, der Gebärmutter, ab. Ist der biblische Gott deswegen automatisch weiblich? In den 1980er und 1990er Jahren wurde in diese Richtung argumentiert, und bei radikalen Feministinnen findet sich dieses Argument noch heute.
Der textliche Befund rät allerdings zur Vorsicht. Zwar findet sich die Begrifflichkeit racham häufiger mit Gott als Subjekt als mit Menschen, aber an keiner Stelle wird gesagt, dass Gott einen rächäm, eine Gebärmutter, hätte. Er hat also eine (möglicherweise) weibliche Eigenschaft, ist aber damit noch nicht automatisch biologisch eine Frau. Er hat auch keine Brüste. Er hat aber auch keinen Penis und keine Hoden. Er zeugt nicht und gebiert nicht. Vielmehr beschränkt sich die textliche Repräsentation des göttlichen Körpers auf die von mir genannten. Er hat dagegen keine Schultern, keine Brust, weder Haare noch Zähne, auch keinen Bart (!) und außer dem Herzen auch keine inneren Organe. Vom biologischen Befund her ist Gott daher geschlechtslos und alterslos. Indes hat Gott alles das, was einen Menschen ausmacht und was ihn in die Lage versetzt, zu kommunizieren, Beziehungen aufzunehmen und, ein moralisches Urteil zu fällen und Gefühle zu haben.
Damit kommen wir zur Gottebenbildlichkeit zurück. Genesis 1,27 lautet in wörtlicher Übersetzung: Und das Göttliche (Plural) schuf (M.Sg.) den Menschen (Kollektiv) als sein (M.Sg.) Abbild, als Abbild des Göttlichen (Plural) schuf er (M.Sg.) ihn, männlich und weiblich schuf er (M.Sg.) sie (Plural).
So wie Gott im Schöpfungsbericht Pflanzen und Tiere nach Arten differenziert, differenziert er auch den konkreten Menschen, und zwar nach ihrer Rolle in der Fortpflanzung. Gen 1,27 benutzt die biologischen Begriffe "männlich" (zeugt) und "weiblich" (gebiert). Die Abbildhaftigkeit des Menschen bezieht sich auf die Grundform – alles Weitere kennzeichnet den Menschen als Geschöpf Gottes. D.h. Geschlecht im Sinne von "Sex" bildet das Göttliche nicht direkt ab.
4. Gender: Geschlechterrollen Gottes
Zweifelsohne schreibt die Bibel Gott viele gesellschaftliche Rollen und Funktionen zu. Es ist ebenso deutlich, dass die meisten Rollen/Funktionen Gottes mit Israels patriarchaler Gesellschaft zusammenhängen und daher überwiegend männlich besetzt sind. Gottes hauptsächliche Rollen und Funktionen im Alten Testament sind maskuline Rollen: König, Richter, Krieger, Grundbesitzer und Ehemann. Das sind alles Rollen, die eine Hierarchie beinhalten und außerdem ein sozial autonom handelndes Wesen voraussetzen. Dies ist für Frauen in Israel nicht möglich.
Vor allem in der Prophetie aber findet sich öfter Gott in der Rolle der Mutter: In Jesaja 42 und 66 wird der Anbruch der Heilszeit mit dem plötzlichen Auftreten der Wehen verglichen, Gott scheint in Jesaja 66,9-12 wie eine Hebamme zu agieren; der Abschnitt endet mit Jes 66,13: Wie einen (Mann), den seine Mutter tröstet so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.
In Psalm 103 haben wir die gegensätzliche Formulierung: Wie sich ein Vater über Kinder (Söhne) erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.
Gott kann also wie Vater oder Mutter wahrgenommen werden. Interessant ist dabei zweierlei. Erstens: Gott nimmt eine weibliche Rolle ein, die (als einzige) eine Hierarchie setzt: Die Mutter, der man genauso Gehorsam und Achtung schuldet wie dem Vater. Zweitens: Trost und Erbarmen sind nicht allein der Mutter vorbehalten – auch der Vater kann sie ausüben.
Die zentrale Stelle für die Frage nach Gott in der Mutterrolle ist Hosea 11,1-9. In dem komplizierten und schwer lesbaren Text wird die Beziehung zwischen Israel und Gott nach dem Muster der Erziehung eines Kleinkinds geschildert: es wird geliebt, geheilt, es bekommt das Laufen gelehrt, es wird auf die Arme genommen, bekommt zu essen. Allerdings wendet sich Israel vom sprechenden Gott ab, der nun eigentlich seinen Zorn vollstrecken müsste. Aus Liebe und Mitleid kann er es aber nicht. Es ist eine lange Gottesrede, in der Gott von sich spricht, also im Genus-neutralen Ich. Sie endet in Hos 11,9 mit: Meinem glühenden Zorn werde ich nicht freien Lauf lassen, Efraim werde ich nicht noch einmal vernichten, denn ich bin (ein) Gott und nicht ein Mann, heilig in deiner Mitte.
Gott – hier im Singular – sagt von sich, dass er kein Mann ist. Heißt das, dass die Bilder vom liebenden Elternteil automatisch eine Mutter, eine Frau sprechen lassen?
In der neueren Forschung wird betont, dass die elterlichen Tätigkeiten in Hosea 11 sowohl von einer Mutter als auch von einem Vater ausgeübt werden können. Der qualitative Unterschied besteht nicht zwischen Mann und Frau, sondern zwischen Gott (El) und Mensch (Isch).
Schlussfolgerungen
- Wenn man versucht, Gott bzw. das Göttliche mit menschlichen Mitteln zu erfassen, muss man die göttliche Komplexität in den Griff bekommen. Hier gibt es eine Grundoption: Entweder man vervielfältigt die Gottheiten, bzw. man differenziert die Möglichkeiten des Göttlichen aus. Dann kann man auch (unter anderem) nach den Geschlechtern differenzieren. Oder man versucht, das Göttliche in einem Wesen zusammenzufassen. Dann gelangt man zu dem vielgesichtigen einen Gott. In ihm fallen dann auch die Geschlechter zusammen. Man kann das kennzeichnen, indem man "Gott" mit einem Genderstern schreibt.
- Jede Sprache hat ihre eigenen Regeln und Entwicklung. Das grammatische Genus ist nicht unbedingt aussagekräftig für das Geschlecht der ausgedrückten Sache. Ich würde die Umschrift des Gottesnamens JHWH nie mit einem Genderstern versehen, denn es ist ein männlicher Name. Beim generischen Maskulinum im Plural kann man sprachlich differenzieren, sollte aber auf den Kontext achten. Ich würde hier für eine genderneutrale Formulierung plädieren, also "Das/die Gottwesen".
- Man sollte den Stern auf jeden Fall nutzen, wenn Pronomina Genus-neutral sind. Im Hebräischen gilt das nur für die 1. Person. Das Deutsche hat auch eine Genus-neutrale 2. Person. Im Gebet kann man dem m.E. Rechnung tragen, zumindest im persönlichen Gebet.
- Der biblische Gott ist Person, hat also einen Körper. Nach dem Textbefund ist dieser Körper aber nicht geschlechtlich bestimmt. Gott ist deswegen aber nicht inter- oder mehrgeschlechtlich, sondern der Text vermeidet die Festlegung. In diesem Zusammenhang führt ein Genderstern eher in die Irre.
- Geschlechterrollen sind zum großen Teil historisch gewachsen und verändern sich mit der Zeit. Man sollte sich hüten, das Gegenwärtige ungeprüft in die Vergangenheit zurückzuprojizieren. Ich plädiere hier dringend für eine kritische Selbstreflexion.
- Das abschließende Fazit ist, dass ich vom biblischen Befund her feststelle, dass Gott mit Genderstern möglich und manchmal sogar zielführend ist. Man sollte sich aber dabei immer kritisch überprüfen.
Der Beitrag ist eine Kurzfassung eines Vortrags, gehalten am 28. Mai 2024 im Rahmen der Tillich-Lecture der Universität Frankfurt in der Evangelischen Akademie Frankfurt.