Geschwister im Gegenlicht
Auf einer Reise in die Vergangenheit finden Bruder und Schwester nicht nur Abgründe, sondern auch gegenseitige Zuneigung.
Es ist Februar 2003. Die pensionierte Lehrerin Sabine Senkel hat sich in ein kleines Seebad an der Ostsee zurückgezogen. Hier will sie nach dem Tod ihres Mannes Karl wieder zu sich finden. Doch in ihre selbst auferlegte Einsamkeit platzt bereits einen Tag später ihr fünf Jahre älterer Bruder Rolf, zu dem sie ein eher unterkühltes Verhältnis hat. Sein Gepäck besteht nicht nur aus einem Burn-out und einer 13jährigen Tochter, die gerade wegen aggressiven Verhaltens von der Schule geflogen ist, sondern auch aus einem blauen Aktenordner, in dem er Nachforschungen über ihre nazitreuen, gewalttätigen Eltern sammelt. Doch Sabine hat schon vor langer Zeit beschlossen, einen gedanklichen und emotionalen Schlussstrich unter ihre Familie zu ziehen. Nur mit einem Trick gelingt es Rolf schließlich, dass sich Sabine in seinen alten VW-Bus setzt. Gemeinsam machen sie sich zu den schrecklichen Orten ihrer Vergangenheit auf, um sich ihren Traumata zu stellen aber auch, um einen Weg zueinander zu finden.
Mit großer Offenheit schreibt die Autorin auch in ihrem neuen Buch über das Schicksal und die seelischen Belastungen der Nachkriegskinder. Nicht nur Betroffenen zu empfehlen. Heike Nickel-Berg
Bode, Sabine: Geschwister im Gegenlicht. Roman. Sabine Bode. Stuttgart: Klett-Cotta 2023. 317 S. ; 21 cm, ISBN 978-3-608-98747-8, geb.: 25,00 €
Die November-Schwestern
Zuerst 1934 erschienener Roman über das harte Leben einer Farmerfamilie im mittleren Westen der USA.
1935 erhielt die junge Autorin für dieses Debüt den Pulitzerpreis. Zurecht. Es fasziniert auch die heutige Leserin, wie sie den Alltag, die Verhaltensweisen und Gefühlswelten dreier sehr unterschiedlicher Schwestern vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise Ende der 20er Jahre in den USA schildert. Ich-Erzählerin ist die mittlere Schwester Marget, die mit den Charakteren ihrer Schwestern durchaus hart ins Gericht gehen kann, dann wieder einfühlsam deren Stärken und Schwächen beobachtet. Die Familie leidet unter den Schulden, die auf dem mageren Land und der Seele des Vaters lasten, und stemmt sich mit aller Kraft, harter Arbeit, Glaube und Hoffnung gegen das Aufgeben. Die eigentliche Hauptrolle aber spielt die Natur, die wunderschön und grausam das Schicksal in der Hand hält. Die kurze Hilfe des jungen Landarbeiters Gran bringt das labile Gleichgewicht unter den Schwestern heftig ins Wanken, kann aber die Katastrophe durch Dürre und Feuer nicht aufhalten. Traurig, berührend, fesselnd wie die Autorin die Geschichte mit poetischen Landschafts- und Naturbeschreibungen durchwebt.
Der historische Roman gewährt einen Blick in eine von der Natur bestimmte Welt und trifft mit einer rhythmischen Sprache für Einsamkeit, Liebe und Not stets den richtigen Ton. Gabriele Kassenbrock
Johnson, Josephine W.: Die November-Schwestern. Roman. Josephine W. Johnson. Dt. von Bettina Abarbanell. Berlin: Aufbau 2023. 222 S. ; 22 cm.
Aus d. Amerikan., ISBN 978-3-351-03976-9, geb.: 22,00 €
Hallo, du Schöne
Ein großartiger, vielschichtiger Roman über vier Schwestern.
William Waters, groß, hübsch, Basketballer und innerlich zerbrechlicher, als es den Anschein macht, trifft in den 1980er Jahren auf Julia und die ist nicht ohne ihre Schwestern Sylvie, Cecelia und Emeline zu haben. Zusammen mit ihren Eltern Rose und Charlie leben die Schwestern in einem Vorort von Chicago und werden besonders von ihrem beruflich erfolglosen, aber herzensguten Vater Charlie, alle in ihrer Einzigartigkeit gesehen und von Herzen geliebt. Julia, die älteste, hat William auserkoren, ihr erfolgreicher Mann und Vater ihrer Kinder zu werden. Aber mit ihrem streng organisierten und ambitionierten Lebensplan kann William nicht mithalten. Nachdem ihre gemeinsame Tochter Alice geboren wird, verlässt er sie, denn seine eigene Vergangenheit als einsames Kind unglücklicher Eltern holt ihn gefährlich ein. Für Schwäche hat Julia jedoch keine Zeit und geht ihrer Wege, die sie auch weg von ihren Schwestern führen nach New York führen. Ann Napolitano entwirft mit den vier Padavano-Schwestern eine 50 Jahre andauernde mitreißende Geschichte, die man getrost als moderne "Little Woman-Version" betrachten kann.
Ann Napolitano ist ihren Figuren so nah, kennt menschliche Abgründe so genau, dass man diesen eindrücklichen Roman kaum aus der Hand legen kann. Marie Varela
Napolitano, Ann: Hallo, du Schöne. Roman. Ann Napolitano. Dt. von Werner Löcher-Lawrence. Köln: DuMont 2024. 520 S. ; 21 cm.
Aus d. Engl., ISBN 978-3-7558-1001-8, geb.: 25,00 €
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