Das Startchancen-Programm ist laut Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) das größte Bildungsprojekt in der Geschichte der Republik. Für die zur Teilnahme ausgewählten Schulen bedeutet es aber vor allem eins: viel organisatorische Arbeit und wohl auch Bürokratie. Doch die langfristige finanzielle Hilfe in Milliardenhöhe für die Schulen "mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schüler" ist ein Wechsel auf eine bessere Zukunft. "Das finden wir mega, weil wir glauben, dass das Geld hier gut angelegt sein wird", sagte Jan Drumla, Leiter der Wiesbachschule in Grävenwiesbach im hessischen Hintertaunus, der Lokalzeitung "Usinger Anzeiger".
Seine Grundschule ist eine der ersten 80 Schulen in Hessen, die in das Programm aufgenommen wurden. Landesweit sind über die Laufzeit von zehn Jahren rund 320 Schulen zur Förderung vorgesehen, bundesweit sind es 4.000. Doch gehen zunächst erst rund 2.000 Schulen aller Schulformen an den Start. Ein wesentliches Ziel der Förderung: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, soll bis zum Ende der Programmlaufzeit halbiert werden.
Insgesamt sollen über zehn Jahre insgesamt 20 Milliarden Euro an die Schulen fließen. Das Geld wird unter anderem in eine modernere Ausstattung der Schulen, in Fortbildungen sowie in Stellen für Sozialarbeiter fließen. Ein sogenanntes Chancenbudget erhalten die Schulen zur möglichst individuellen Verfügung. Er platze vor Neugier, "wie die Rahmenbedingungen aussehen", so Schulleiter Drumla. Zu tun gebe es vieles: Die Schule ist nicht barrierefrei. Ein Ruheraum steht schon lange auf der Wunschliste. Mit neuen multiprofessionellen Teams aus Sozialarbeitern und anderen Fachkräften werde es möglich sein, "den Fokus im Bereich Bildungsgerechtigkeit neu auszurichten."
Noch unklar, wofür Schulen das Geld verwenden.
"Allein wegen des enormen Reparaturbedarfs in den Schulen ist das Geld gut angelegt. Noch ist aber nicht klar, wofür die Schulen das Geld verwenden werden. Jetzt sind die ersten Schulen benannt, die Konzepte erarbeiten müssen, dann Kooperationsvereinbarungen schließen und alle möglichen anderen Dinge abklären", sagte Claudia Seibold, Referentin Bildung und verbandsinterne Kommunikation bei der Bundesarbeitsgemeinschaft evangelische Jugendsozialarbeit (BAG EJSA), dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie rechne damit, dass mit konkreten Maßnahmen ab dem zweiten Schulhalbjahr 2024/2025 gestartet werde.
"Die Bund-Länder-Vereinbarung enthält sehr viele, sehr richtige Überlegungen und Vorgaben", urteilt Markus Warnke, Geschäftsführer der 2013 gegründeten Wübben Stiftung Bildung. Dass jetzt Geld in Schulen in prekären sozialen Umfeldern fließe, sei richtig. "Richtig ist aber auch, dass es an fast allen Schulen Kinder mit diesem Bedarf gibt", so der Fachmann. Er hoffe, dass mit dem Startchancen-Programm beispielsweise Unterrichtskonzepte und Verfahren zur datengestützten Schul- und Unterrichtsentwicklung entstehen, "die allen Schulen und damit allen Kindern und Jugendlichen helfen".
Auch die Gewerkschaft GEW hält das Programm nicht für ausreichend: "Das Startchancen-Programm erreicht nur rund zehn Prozent aller Schülerinnen und Schüler - gut 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind jedoch arm beziehungsweise armutsgefährdet. Das Programm sei grundsätzlich zu klein angelegt. Trotzdem ist das Programm natürlich ein Schritt nach vorne", sagte GEW-Vorständin Anja Bensinger-Stolze dem epd.
"Tatsächlich gibt es mehr Schulen, die sehr gerne Teil des Programms werden möchten. Am Ende sind die Gewichtung und die Wahl der Auswahlkriterien durch die Politik gesetzt, vom Grundsatz aber richtig. Ich finde diesen ersten Schritt aber uneingeschränkt richtig", sagte auch Markus Warnke.
Ob die Umsetzung des ambitionierten Programms schnell und unbürokratisch gelinge, bleibe abzuwarten, sagte Seibold. Auch Warnke betonte: "Die Verteilung der Ressourcen stellt eine sehr große Herausforderung für die Länder dar. Sie haben sehr viel zu organisieren." Wenn das bessere Zusammenspiel von Ministerien, Schulaufsichten und Schulträgern funktioniere, würden am Ende nicht nur 4.000 Schulen, sondern das ganze Bildungssystem davon profitieren.