Einfaches Leben in extravagantem Ambiente: In Detroit im US-Bundesstaat Michigan ist die Villa eines Multimillionärs zum Tempel geworden. Die Villa wurde 1927 von einem Pionier der Automobilindustrie gebaut, 1975 zog die Hare-Krishna-Bewegung um den Guru Srila Prabhupada ein und machte aus dem Anwesen einen Tempel. Prunk und Protz treffen hier auf farbenfrohe Devotionalien und Abbildungen Krishnas. Ein Widerspruch, der auf dem gesamten Anwesen sichtbar wird und den die religiöse Gemeinschaft bei ihren Tempeltouren betont.
Spanische Fresken an den Wänden, Glasfenster aus Venedig, der Boden aus 17 verschiedenen Sorten Fliesen aus Griechenland - und das allein in der Eingangshalle. Statt eines Champagnerbrunnens, den es zu Zeiten des Erbauers gab, steht dort heute eine aus Rosenholz geschnitzte Krishna-Statue. Ein überlebensgroßes Porträt des Gurus in orangefarbener Kutte hängt gegenüber am Treppenaufgang. In einem von zwei Ballsälen ist heute der große Gebetsraum. Ein süßlicher, schwerer Geruch liegt in der Luft, gemurmelte Rezitationen religiöser Texte sind zu hören.
Srila Prabhupada ist der Gründer der Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein (ISKCON) oder auch Hare-Krishna-Bewegung. Vor seiner lebensgroßen Wachsfigur kniet Palika Devi Dasi, mit bürgerlichem Namen Pooja Shukla, kurz nieder und betet. Sie ist Ordensmitglied des ISKCON-Tempels in Detroit und führt Besucher durch das Anwesen.
Die Villa war ein Prestigeobjekt von Lawrence Fisher, erklärt sie. Fisher arbeitete für General Motors - mit einem Millionengehalt. "Er bekam so viel Geld, dass er gar nicht wusste, wohin damit. Also ließ er sich die Villa bauen", erzählt Palika Devi Dasi. Ein Jahr lang lebten Arbeiter aus aller Welt dort, um die Villa fertigzustellen. Sie vereint viele verschiedene Architekturstile. Edle Hölzer, Marmor, Stoffe. Mehr als ein Kilo Gold und fast 1,5 Kilo Silber wurden verarbeitet.
Die Kosten des Projektes beliefen sich auf zwei Millionen Dollar - heutiger Wert: mehrere Milliarden. 50 Räume hatte die Villa, aber nur zwei Schlafzimmer: das Haus eines illustren Junggesellen, der ausschweifende Feste liebte und seinen Reichtum zur Schau stellen wollte.
Schnäppchenpreis für die illustre Villa
Fisher starb 1961. Den Niedergang von Detroit erlebte er nicht mehr. Nach den gewalttätigen Aufständen in den 1960er Jahren begann in den 1970ern die Abwanderung der Automobilindustrie. Die hohe Arbeitslosenquote, Armut und Korruption sorgten für einen drastischen Anstieg der Kriminalität und machten die "Hauptstadt des Verbrechens" zur gefährlichsten Stadt in den USA.
Ausgerechnet hier wollte Srila Prabhupada einen weiteren Tempel errichten. Als der Guru Detroit besuchte, stand die Villa zum Verkauf. Zwei seiner Anhänger, Henry Fords Enkel Alfred Ford und Elisabeth Reuther Dickmeyer, kauften sie für einen Schnäppchenpreis von 350.000 US-Dollar.
"Es war einer seiner liebsten Tempel, und einer der wenigen, in denen Srila Prabhupada eine Zeit lang gelebt hat", berichtet Palika Devi Dasi. In dem Zimmer, in dem er geschlafen und gearbeitet hat, steht eine weitere lebensgroße Figur des geistigen Führers. Auch hier kniet das Ordensmitglied kurz nieder und betet.
In der Bibliothek sind die Wände mit französischem Leder bespannt, im Raum daneben ist der Boden aus italienischem Marmor, die Decke des zweiten Ballsaals ist im Stil eines Schweizer Chalets erbaut und im Speisezimmer finden sich geschnitzte Holz-Säulen aus einem deutschen Schloss.
Überall dazwischen: Krishna. Kein Raum, kein Flur ohne ein Gemälde oder Skulptur der in blau dargestellten Gottheit in all seinen irdischen Formen. Ansonsten Leere, keine Möbel, nichts, das auf Gemütlichkeit hindeutet. Die Ordensmitglieder streben ein einfaches Leben an.
Das Haus steht allen offen, nicht nur der Hare-Krishna-Gemeinschaft. Jeder ist zum Gebet oder zum Essen eingeladen, das hier dreimal täglich serviert wird. Zu den Sonntagsessen kommen regelmäßig bis zu 250 Personen. Es wird Yoga angeboten, Lesungen, Gebete und andere Veranstaltungen.
65 bis 70 aktive Ordensmitglieder haben sich darauf verpflichtet, Krishna zu dienen. Täglich chanten, also singen, sie 1.728 Mal das Hare-Krishna-Mantra, 16 Runden auf der traditionellen Gebetskette mit 108 Perlen. Außerdem verzichten sie auf Alkohol, Drogen, Glücksspiel, Fleisch und außerehelichen Sex.
Palika Devi Dasi ist 2017 dem Orden beigetreten, lebt aber mit ihrer Familie in der Stadt. Der Tempel ist den Priestern vorbehalten. Als Dienst an der Gemeinschaft macht sie Führungen, putzt oder übernimmt andere Aufgaben.
Die schöne Villenfassade hat an so manchen Stellen Risse, das Haus ist in die Jahre gekommen. Mit den Tempeltouren, Spenden und durch den Einsatz der Mitglieder wird hier alles finanziert. Wenn man die prunkvollen Details betrachtet, kann man immer noch erahnen, wie prachtvoll das Anwesen zu Zeiten von Lawrence Fisher gewesen ist.