Vor gut zwanzig Jahren gab es sogar so etwas wie einen kleinen Boom, aber der ebbte viel zu schnell wieder ab, um nachhaltige Folgen zu verursachen. Ohne Zuarbeit aus dem günstigeren Ausland hätten die damals entstandenen Serien ohnehin nicht produziert werden können. Auch Comics galten hierzulande stets als Kinderkram und keineswegs als Kunst. Umso bemerkenswerter ist daher die von BR und SWR in Auftrag gegebene Zeichentrickserie "Friedefeld", denn sie richtet sich an junge Erwachsene, eine Zielgruppe also, die mit ARD und ZDF nicht viel am Hut hat; deshalb ist die Serie auch in erster Linie für die Auswertung in der Mediathek gedacht.
Der Bayerische Rundfunk bewirbt die zehn Folgen als "erste deutsche Animated Sitcom". Dazu passen zumindest schon mal Dauer und Dramaturgie. Die Episoden sind jeweils circa 25 Minuten lang, die einzelnen Szenen stets kurz, und auch die Dialoglastigkeit entspricht den Regeln des Genres: Es wird ziemlich viel gequasselt. Thematisch streift die Serie dabei alles, was die älteren Mitglieder der sogenannten Generation Z (aufgewachsen in den Nullerjahren), aber auch die jüngeren Millennials umtreibt; unter anderem Veganismus, Klimawandel, MeToo, Digital Detox, Binge-Watching. Vor allem jedoch Prokrastination: Entscheidungsunfähigkeit und die fatale Neigung, unbequeme Dinge auf morgen zu verschieben, sind die prägendsten Charaktereigenschaften von Werbetexter Paul, der neun Folgen lang versucht, seine Ex-Freundin Berthe zurückzugewinnen. Außerdem hat er einen Halbbruder und Mitbewohner, der sein Leben nicht gerade einfacher macht: Der arbeitsscheue Ludwig ist zwar ein brillanter Kopf, schmort aber trotzdem im eigenen Saft; selbst die Entdeckung einer Weltformel, mit deren Hilfe sich schlagartig Kriege und Hungersnöte beenden ließen, bringt ihn nicht weiter.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Angesichts dieser beiden verkrachten Existenzen, die ebenso wie die Dritte im Bunde den selben Vater, aber verschiedene Mutter haben, ist Barbie völlig aus der Art geschlagen: Die ehrgeizige Schwester leitet einen Autokonzern, muss sich ständig gegen die Intrigen der alten weißen Männer im Vorstand wehren und hat immer wieder neue Ideen, um den Börsenkurs des Unternehmens anzukurbeln. Im Zweifelsfall stellt sie die Produktion kurzerhand auf Kriegsgerät um; vom SUV zum Panzer ist es schließlich nur ein kleiner Schritt. Ludwig lässt sich derweil wieder und wieder in einem Online-Ballerspiel abknallen, um die Schützen zum Pazifismus zu bekehren. Mitten in der Knallerei taucht ein Werbespot für die Bundeswehr auf, aber Ludwigs Plan, in der Kaserne für Kriegsdienstverweigerung zu werben, erweist sich als nicht umsetzbar: Ohne Waffen lässt sich ohnehin kein Krieg führen.
Die Theorie klingt also durchaus reizvoll, zumal die Folgen mit vielen Anspielungen auf die Popkultur erfreuen. Der Rest ist nicht zuletzt eine Geschmacksfrage. Das beginnt schon mit dem Design: Die Zeichnungen sind wenig ansprechend und erinnern an den Klassiker "Beavis und Butt-Head" (1993 bis 1997), der allerdings bei der MTV-Generation der Neunzigerjahre Kultstatus genießt. Das wird jedoch eher an den beiden Antihelden gelegen haben; gegen die zwei verkorksten Jungs aus Texas wirkt Paul geradezu ehrgeizig. Die Animation war damals genauso sparsam wie heute bei "Friedefeld": In den Gesichtern bewegt sich meist nur der Mund, und wenn die Figuren laufen, sieht das sehr eckig aus. Zweites Manko jedenfalls für erwachsene Ohren sind die quietschenden oder kreischenden, oftmals zu lauten, gern überdrehten und mitunter unangenehm schrillen Stimmen (Paul wird immerhin von David Kross gesprochen, die beiden Geschwister von Jacqueline Belle und Phil Laude). Das dürfte die mit Zeichentrickserien aufgewachsene Zielgruppe aber vermutlich nicht weiter stören.
Einer der Köpfe hinter "Friedefeld" (Buch und Regie: Alfonso Maestro, Tillmann Orion Brehmer) ist Produzent Ali Samadi Ahadi. Der gebürtige Iraner war als Regisseur unter anderem für die sehenswerte vierteilige Kinoreihe "Petterson und Findus"-Kinofilme (2014 bis 204) verantwortlich. Sein Erstlingswerk war die mehrfach ausgezeichnete Multikulti-Komödie "Salami Aleikum" (2009). "Friedefeld" winkt immerhin ein Deutscher Fernsehpreis; vorausgesetzt, die Verantwortlichen erfinden für den Jahrgang 2024 die Kategorie "Beste Animated Sitcom". ARD-Tochtersender zeigt die Serie donnerstags in Doppelfolgen.