Nach Einschätzung der vier führenden Friedensforschungs-Institute hat sich die Weltlage im vergangenen Jahr weiter verschlechtert. Nach dem am Montag in Berlin vorgestellten Jahresgutachten 2024 war 2023 das Jahr, in dem die weltweiten Militärausgaben einen historischen Höchststand erreichten. 2023 war zugleich das Jahr der Klimaextreme und das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
In den Ländern des globalen Südens nehmen infolge der Klimaextreme Armut und Ungleichheit zu, die wiederum die häufigsten Ursachen seien für Gewalt. Die jüngsten Militärputsche in Westafrika, in Niger, Burkina Faso und Mali müsse Deutschland zum Anlass nehmen, Leitlinien für die Entwicklungszusammenarbeit mit autoritär regierten Ländern zu entwickeln, empfehlen die Forschungsinstitute. Die Bundesrepublik sollte sich weiter entwicklungspolitisch und diplomatisch engagieren. Die drei Länder hätten in Russland einen neuen Sicherheitspartner gewonnen und spielten eine zentrale Rolle für die Entwicklung der Sahelzone.
Die Friedensforscherinnen und -forscher appellieren an die Bundesregierung, trotz der steigenden Rüstungsausgaben bei der Bekämpfung des Hungers weltweit nicht nachzulassen. Nur 15 Prozent der Nachhaltigkeitsziele, die die Vereinten Nationen sich 2025 selbst gesetzt haben, hätten bisher erreicht werden können. Dazu zählen die Bekämpfung des Hungers und extremer Armut sowie der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.
Zum Krieg Russlands gegen die Ukraine ist 2023 der Krieg zwischen Israel und der Hamas hinzugekommen. Die Direktorin des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Ursula Schröder, sagte, das Jahr 2023 werde negativ in die Geschichte eingehen: als das Jahr, in dem es mehr Gewaltkonflikte gab als je zuvor und die Erderwärmung ihren bisherigen Höchststand erreicht hat. Ein positives Beispiel für Friedensbemühungen könne sie für 2023 nicht nennen, erklärte die Wissenschaftlerin.
Fahrplan für Verhandlungen erarbeiten
Im Krieg gegen die Ukraine komme es weiter darauf an, das Land militärisch zu unterstützen und zugleich langfristig auf einen Fahrplan für Verhandlungen hinzuarbeiten. Deutschland müsse seine Sicherheitsgarantien nachschärfen, sagte Schröder, die bisher unter dem Haushaltsvorbehalt stehen. Es werde einen "langen Atem" brauchen, den Krieg zu beenden, und man müsse mit Rückschlägen rechnen.
Bereits im vorigen Jahr hatten die Friedens-Institute erklärt, ein Krieg, der nicht schnell beendet werde, habe eine hohe Wahrscheinlichkeit, zu einem langen Krieg von bis zu zehn Jahren zu werden. Deutschlands Rolle könne darin bestehen, weitere Staaten, insbesondere aus dem Süden, als Vermittler an den Verhandlungstisch zu holen.
Jung: Das Ziel bleibt eine atomwaffenfreien Welt
Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), kommentiert die Ergebnisse unmittelbar nach der Veröffentlichung am Montan in einer Mitteilung. Er begrüße die klare Absage des Friedensgutachtens an jede Diskussion um deutsche oder europäische Nuklearwaffen. Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt müsse weiterhin gelten, allein schon die Drohung mit solchen Waffen sei abzulehnen. Erst vor zwei Wochen haben Unterzeichner einer ‚Wiesbadener Erinnerung´‘, zu denen auch Volker Jung zählte, die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Verhandlungen zu den atomaren Rüstungskontrollverträgen wieder aufzunehmen. Die ´Wiesbadener Erinnerung´ erinnert an das Gespräch Martin Niemöllers mit den Wissenschaftlern Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker im Juni vor 70 Jahren über das verheerende Vernichtungspotential von Nuklearwaffen.
"Die Autorinnen und Autoren des diesjährigen Friedensgutachtens fordern ein Bemühen um internationale Rüstungskontrolle – dem schließe ich mich an. Auch wenn große Erfolge auf diesem Feld derzeit unwahrscheinlich scheinen, ist es dringend geboten, immer wieder die Hand auszustrecken, den Weg zu bereiten, miteinander im Gespräch zu bleiben und so das Vertrauen in kleinen Bereichen zu erhalten oder – wo es verloren ging – Vertrauen wiederherzustellen." so Jung weiter.
Das Friedensgutachten ist ein gemeinsames Gutachten vier deutscher Friedensforschungs-Institute und erscheint seit 1987. Die beteiligten Institute sind das Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg, das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen und das Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) in Frankfurt am Main. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen darin internationale Konflikte und sprechen Empfehlungen an die Politik aus.