Kinder und Jugendliche fühlen sich nach Erkenntnissen von Psychologinnen und Bildungspolitikern vor allem dann einsam, wenn sie in Schule und Freizeit gemobbt würden oder sich nicht beachtet fühlten. Die Gefahr der Einsamkeit bei Jugendlichen hinge aber auch mit den "Entwicklungsaufgaben der Pubertät" zusammen, sagte die Psychoanalytikerin Gabriele Krämer am Donnerstag bei einer "Einsamkeitskonferenz" der NRW-Landesregierung in der Düsseldorfer Staatskanzlei. "Jugendliche müssen sich in diesem Alter vom Elternhaus lösen, um ihren eigenen Weg und ihre eigene Persönlichkeit zu finden." Damit sei notwendig ein gewisses Maß an Einsamkeit verbunden.
Die Psychologin vom "Mädchenhaus Mäggie" in Herdecke für traumatisiere junge Frauen wies aber auch auf das Problem der Einsamkeit von Lehrkräften hin. Diese litten oft ebenfalls darunter, nicht beachtet zu werden, betonte Krämer.
Die NRW-Landesregierung plant, bis Ende 2024 ein Aktionsprogramm gegen Einsamkeit vorzulegen. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bezeichnete Einsamkeit als "neue soziale Frage unserer Zeit". "Sie wirkt sich nicht nur auf das Leben der Betroffenen negativ aus, sie schadet auch unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt", betonte er. Deshalb sei es der Landesregierung ein Anliegen, dem Thema Einsamkeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken. "Mit der 'Einsamkeitskonferenz' schaffen wir über die Landesgrenzen hinaus Sichtbarkeit und unterstreichen die Relevanz des Themas", sagte Wüst.
Psychologische und körperliche Folgen
Die Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum bezeichnete Einsamkeit als "gesamtgesellschaftliche Herausforderung". Laut dem vor einigen Tagen vorgestellten "Einsamkeitsbarometer" haben 2021 - offenbar als Folge der Corona-Pandemie - bundesweit 11,3 Prozent der Menschen unter Einsamkeit gelitten, vier Jahre zuvor waren es 7,6 Prozent gewesen.
Auffällig sei dabei, dass erstmals junge Menschen die stärkste Gruppe der Betroffenen bildeten, betonte Luhmann. Von der Entwicklung betroffen seien Menschen, die unter anderem wenig soziale Kontakte haben, über ein geringes Einkommen verfügen, allein leben oder häufig krank sind. Einsamkeit habe psychologische Folgen und wirke sich auf die körperliche Gesundheit der Betroffenen aus. Und sie könne dazu führen, dass einsame Menschen verstärkt Verschwörungstheorien anhängen oder extreme politische Einstellungen vertreten.
Fast jeder fünfte Jugendliche fühlt sich stark einsam
Die Landesregierung hatte im vergangenen Jahr unter der Leitung von Luhmann und dem Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit eine Studie zu Einsamkeit erstellen lassen. Demnach fühlt sich fast jeder fünfte Jugendliche in Nordrhein-Westfalen stark einsam.
Auf der Konferenz in Düsseldorf wurde zudem ein Impulspapier zu internationalen Politikansätzen gegen Einsamkeit bei jungen Menschen vorgestellt. Darin wird unter anderem auf die Umsetzung einer Einsamkeitsstrategie in Großbritannien und Konzepte zur Sicherung der "mentalen Gesundheit" in Kanada verwiesen. Das Impulspapier ist ein Kooperationsprojekt der Bertelsmann Stiftung, der Liz-Mohn-Stiftung und der Landesregierung.
In dem bundesweiten Projekt "Mobbing stoppen, Kinder stärken", das der Moderator von Kindersendungen Tom Lehel ins Leben gerufen hat, lernen Grundschülerinnen und Schüler in der dritten und vierten Klasse, dass ein ganzer Klassenverband darauf achten muss und kann, jedes Kind zu beachten. Alle übten dabei die Haltung ein: "Ich sehe Dich und Du bist richtig".
Den politischen Aspekt solcher Trainings hob NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) hervor: "Kinder, die sich einsam fühlen, sind in größerer Gefahr, sich radikalen politischen Gruppen anzuschließen." Daher dienten Anti-Einsamkeitsprogramme auch der Demokratie. Die Bedeutung von Sportvereinen und anderen Angeboten außerhalb der Schule betonten alle Referentinnen und Referenten. Aus den Vorschlägen der Konferenz würde die NRW-Landesregierung einen Aktionsplan gegen die Gefahren der Einsamkeit entwickeln, kündigte Staatssekretärin Andrea Milz (CDU) an.