Wie lässt sich das Thema Pflegenotstand als Krimi verpacken? Der Titel gibt die Antwort, und zunächst scheint das Drehbuch zu "Tod einer Pflegerin", Episode Nummer 96 des ZDF-Klassikers "Ein starkes Team", auch nicht viel mehr zu bieten zu haben: Altenpflegerin Charlotte Been ist während ihrer Nachtschicht erschlagen worden. Ihr Arbeitsplatz erinnert von außen an ein Landschloss und wirkt gar nicht so, wie sich Hauptkommissar Garber eine "Endstation auf Linoleum" vorgestellt hat. Tatsächlich entpuppt sich das schmucke Anwesen jedoch als Baustelle: Nur ein Flur ist belegt, der Rest des Hauses wird renoviert.
Auch deshalb erscheint Lars Schellhorn hier merkwürdig deplatziert: Der Architekt macht trotz seiner schlechten Laune einen körperlich und geistig viel zu vitalen Eindruck, um in einer Seniorenresidenz zu leben. Die Ermittlungen von Otto Garber und Linett Wachow (Florian Martens, Stefanie Stappenbeck) beäugt und kommentiert er allerdings sehr argwöhnisch. Und weil der Mann von Christian Kohlund verkörpert wird, beginnt prompt das alte Spiel: Ist eine Figur prominent besetzt, gilt sie umgehend als hauptverdächtig.
Tatsächlich lässt Timo Berndts Drehbuch jedoch erst mal offen, auf welche Weise Schellhorn in den Mordfall verwickelt ist. Zunächst gehen Garber und Wachow nach dem üblichen Krimischema vor und schauen sich das private Umfeld an. Alsbald gerät der Freund des Opfers, Jan Marxen (Frédéric Brossier), in den Fokus: An den Armen des Leichnams sich mehrere Hämatome. Diese Blutergüsse, einige frisch, andere älter, lassen auf häusliche Gewalt schließen, zumal Marxen in dieser Hinsicht schon einmal auffällig geworden ist. Er hat jedoch eine andere Erklärung, die von Rechtsmedizinerin Simkeit (Eva Sixt) bestätigt wird: Die Altenpflegerin hat starke Medikamente gegen psychische Belastungsstörungen genommen.
Die Tabletten sollen helfen, wenn die Gedanken ständig um etwas kreisen. "Angst, Schuld, Wut: jedes Gefühl, das übersteigert sein kann." Nebenwirkungen könnten in der Tat jene Wahnvorstellungen sein, von denen Marxen berichtet; seine Freundin habe dann in Panik um sich geschlagen. Schließlich findet das Ermittlungsduo auch raus, was der Auslöser für Charlottes posttraumatische Belastungsstörung war: An ihrem früheren Arbeitsplatz hat sich eine Frau nach einer Hüftoperation das Leben genommen. Sie hat die Schmerzen nicht mehr ausgehalten und mit stillschweigender Billigung der Pflegerin ihre Schmerztabletten gesammelt, bis die Menge für einen Suizid reichte. Anschließend hat Charlotte jedoch erfahren, dass das Leid eine vorübergehende Erscheinung gewesen wäre, und nun kommt wieder Schellhorn ins Spiel: Die Patientin war seine Lebensgefährtin.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Anders als bei den maßgeblich durch seine Drehbücher geprägten ZDF-Krimireihen "Die Toten vom Bodensee" und "Sarah Kohr" erzählt Berndt, der auch für "Ein starkes Team" regelmäßig tätig ist, mit "Tod einer Pflegerin" eine Geschichte, die ebenso unspektakulär wie ihr Titel ist. Gleiches gilt für die Umsetzung durch den ähnlich erfahrenen Regisseur Johannes Grieser: Abgesehen von zwei nahezu identischen Thriller-Momenten zu Beginn und exakt zur Hälfte sowie zwei kurzen Szenen, in denen die gute Musik (Jens Langbein, Robert Schulte Hemming) für ein bisschen Action-Atmosphäre sorgt, kommt keinerlei Spannung auf.
Die Bildgestaltung ist allerdings bemerkenswert: Dank einer außerordentlichen Lichtarbeit hat Grieser verhindert, dass der größtenteils aus Innenaufnahmen bestehende und überdies sehr textlastige Krimi wie ein Kammerspiel wirkt. Gerade die Befragungen im Revier sind auf interessante Weise illuminiert, weil Kameramann Markus Selikovsky hier mit ganz dezenter Beleuchtung gearbeitet hat. Die sorgfältige Inszenierung entspricht der Qualität der Vorlage, denn Berndts Geschichte zieht immer weitere Kreise. Ins Zwielicht gerät zunächst das Ehepaar Heinssen (Tanja Schleiff, Beat Marti).
Die beiden betreiben diverse Seniorenheime. In einer dieser Einrichtungen hat Charlotte früher gearbeitet, bevor sie ihre Ausbildung abbrach und in das Haus von Kyra Kampmann (Anna Fischer) wechselte. Die idealistische Heimbetreiberin ist ebenfalls eine interessante Figur: Sie hat sich mit den Renovierungsplänen finanziell übernommen und hatte tatsächlich ebenfalls einen Grund, ihrer Mitarbeiterin nach dem Leben zu trachten. Während die Ebene mit Revierfaktotum Sputnik (Jaecki Schwarz) diesmal ungewohnt dramatisch ist, sorgen die kurzen Auftritte von Franziska Troegner als "lokales Informationszentrum" (Frau mit Kissen im offenen Fenster) für heitere kleine Abwechslung.