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4. JUNI, ZDF, 22.15 UHR
TV-Tipp: "37 Grad: Die Nummer auf meinem Arm"
Der Titel des Films bezieht sich auf ein kürzlich erschienenes Buch von Nicolas Büchse: "Damit die Erinnerung nicht verblasst wie die Nummer auf meinem Arm" (Penguin Verlag).

Als die Männer 1945 aus dem Krieg heimkehrten, verbargen sie all’ das, was sie erlebt hatten, im tiefsten Winkel ihrer Seele. Prompt prägte das Schweigen der Alten auch die Jungen; sie wuchsen mit einer biografischen Leerstelle auf. Die Unfähigkeit der Väter zu echter Trauer über die begangenen Verbrechen führte unter anderem zu den Unruhen der späten Sechzigerjahre. Der Zweite Weltkrieg mag für heutige Jugendliche ein historisches Ereignis sein, das sie nicht zu betreffen scheint, aber unverarbeitete Traumata setzen sich von Generation zu Generation fort; und deshalb kann das Engagement von Menschen wie Albrecht Weinberg gar nicht genug gewürdigt werden.

Der Ostfriese aus Rhauderfehn, 1925 geboren, ist einer der letzten Holocaust-Überlebenden, die noch Zeugnis ablegen können; er hat drei "Todesmärsche" mitgemacht und war bis zur Befreiung durch die Briten im April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Die "37 Grad"-Reportage "Die Nummer auf meinem Arm" ist das Porträt eines Mannes, der körperlich nicht mehr auf der Höhe sein mag, aber über eine beeindruckende geistige Frische verfügt.

Der Titel bezieht sich auf ein kürzlich erschienenes Buch von Nicolas Büchse: "Damit die Erinnerung nicht verblasst wie die Nummer auf meinem Arm" (Penguin Verlag). Der "stern"-Autor hat Weinbergs Erzählungen über dessen Jugendjahre aufgeschrieben. Der Buchtitel ist so etwas das Lebensmotto dieses alten Herrn, der nach Jahrzehnten im amerikanischen Exil in seine frühere Heimat zurückgekehrt ist, um der Urenkelgeneration aus erster Hand zu berichten, was sich damals in Deutschland zugetragen hat. 

Zweite Hauptfigur des Films von Güner Yasemin Balci und Jesco Denzel ist Gerda Dänekas. Die Altenpflegerin hat sich um Weinberg gekümmert, als er 2012 gemeinsam mit seiner Schwester Friedel heimkehrte. Die beiden hatten sich nach dem Krieg wiedergefunden und sind 1947 in die USA emigriert. Als Friedel einen Schlaganfall hatte und zum Pflegefall wurde, haben Menschen aus Leer ihre Hilfe angeboten. Als Friedel bald darauf starb, wurde Gerda, heute Mitte siebzig, zur wichtigsten Bezugsperson für Albrecht. Sie hat ihn auch als Rentnerin täglich besucht. Als das während der Corona-Pandemie nicht mehr möglich war, hat sie kurzerhand eine Wohnung gemietet, die genügend Platz für beide bot; seither bilden sie und Albrecht eine Wohngemeinschaft. Die beiden haben sich zwar nicht gesucht, aber gefunden, zumal sie offenbar einen ähnlichen Humor haben.

Gerade dieses Element macht das Porträt zu einem ungewöhnlichen Film: Ähnlich wie beispielsweise die sogar noch ein paar Jahre ältere Margot Friedländer, die sich auf ganz ähnliche Weise engagiert, lässt Weinberg keinerlei Verbitterung spüren. Die von Balci und Denzel dokumentierten Gespräche mit Schülerinnen und Schülern sind geprägt von großer Herzenswärme. Bereitwillig lässt er die tätowierte Zahl auf seinem Arm fotografieren und erkundigt sich bei den Jungen und Mädchen, ob sie auch Tattoos hätten. Die Jugendlichen wiederum sind sichtlich bewegt von der Begegnung. Ihr Dank dafür, dass er sich Zeit für sie nimmt, ist hörbar ehrlich gemeint; eine junge Frau kann ihr Tränen nicht zurückhalten. Ein weiterer Schauplatz ist das Gymnasium in Rhauderfehn, das seit einigen Jahren Weinbergs Namen trägt; die entsprechende Initiative ging von den Schülerinnen und Schülern aus. 

Einmal allerdings verliert selbst ein wohlgesonnener Zeitgenosse wie er die Contenance, als ein in Aurich aufgewachsener Pastor, ebenfalls hochbetagt, um eine Audienz bittet. Weinberg ist schon vorher skeptisch; die Unterhaltung vor Publikum gibt ihm recht. Der pensionierte Priester war einst in der Hitler-Jugend und anschließend Soldat. Er berichtet von seinem Großvater, einem Bäcker, der bei der jüdischen Gemeinde gut angesehen gewesen sei, für das Pessach-Fest Matzen gebacken habe und viele jüdische Freunde hatte. Von der Existenz der Konzentrationslager habe man zwar gewusst, aber nicht, was dort passiert sei. Weinberg kann das nicht mehr hören: Alle waren Judenfreunde, schimpft er, aber von wem seien dann seine Eltern in Auschwitz ermordet worden? "Nicht von Adolf!" 

So wollten Balci und Denzel ihren Film jedoch nicht enden lassen. Gerda hatte sich gewünscht, dass ihr Freund noch die Veröffentlichung des Buches erleben möge. Die Premierenlesung im Albrecht-Weinberg-Gymnasium markiert den Schlusspunkt dieser bewegenden Verbeugung vor einem außergewöhnlichen Menschen und der Frau, die gemeinsam mit ihm verhindert, dass die Erinnerung verblasst, denn: "Dann ist alles verloren."