Skulptur "Ja-Sager und Nein-Sager" von Ulle Hees
epd-bild / Uwe Müller
Die Skulptur "Ja-Sager und Nein-Sager" von Ulle Hees erinnert an die "Barmer Erklärung" die am 31.05.1934 in der "Gemarker Kirche" in Barmen unterzeichnet wurde.
Barmer Theologische Erklärung
Theologisches Bollwerk gegen Irrlehren
Keine politische Erklärung, aber eine theologische Absage an die NS-Ideologie: Vor 90 Jahren wurde die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet. Sie zählt bis heute zu den wegweisenden christlichen Bekenntnissen. Mit einer Fachtagung und einem Festgottesdienst erinnern der Kirchenkreis Wuppertal und die Kirchliche Hochschule Wuppertal am kommenden Freitag und Samstag an die Erklärung.

 "Wir verwerfen die falsche Lehre": Mit starken Worten wenden sich evangelische Christen 1934 gegen den Allmachtsanspruch der Nationalsozialisten, die auch die Kirche für ihre Ideologie vereinnahmen wollen. Auf einer "Bekenntnissynode" vom 29. bis 31. Mai 1934 grenzen sie sich von der NS-Weltanschauung ab und legen das theologische Fundament für die Bekennende Kirche. Die am Ende verabschiedete Barmer Theologische Erklärung wird zum theologischen Bollwerk des Kirchenkampfes gegen die sich rasant ausbreitende NS-Ideologie - und gilt auch heute, 90 Jahre danach, als ein Schlüsseltext, der Kirchen in Deutschland und weltweit prägte.

Die dem NS-Staat ergebenen "Deutschen Christen" versuchten mit Macht, die NS-Weltanschauung und das Führerprinzip auch in der Kirche durchzusetzen. "Der Staat Adolf Hitlers ruft nach der Kirche, die Kirche hat den Ruf zu hören", hieß es etwa. Diesem Ruf widersetzte sich die Barmer Synode in aller Klarheit: In ihrer Erklärung aus sechs prägnant formulierten Thesen verwahrte sie sich "in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung" gegen Irrlehren, bekannte sich zu "evangelischen Wahrheiten" und stellte allein das Evangelium ins Zentrum.

Auch nach dem Ende der NS-Diktatur entwickelte die Barmer Theologische Erklärung (BTE) eine bemerkenswerte Wirkungsgeschichte: Sie wurde nach 1945 in die Grundordnung vieler evangelischer Landeskirchen aufgenommen, in der rheinischen Kirche etwa werden Pfarrerinnen und Pfarrer bei ihrer Ordination auf die Erklärung verpflichtet.

Auszug aus der letzten handschriftlich redigierten Fassung (Original) der Barmer Theologischen Erklärung.

Mit einer Fachtagung und einem Festgottesdienst erinnern der Kirchenkreis Wuppertal und die Kirchliche Hochschule Wuppertal am kommenden Freitag und Samstag an die Barmer Theologische Erklärung. Die Verabschiedung der Erklärung vor 90 Jahren und die daraus entstehende Verpflichtung stellten die Kirche auch heute noch vor die Frage, was sie tun müsse, um "relevant zu sein für die Gesellschaft", sagte die Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Wuppertal, Ilka Federschmidt, am Montag in Wuppertal.

Die zweitägige Fachtagung an der Kirchlichen Hochschule trägt den Titel "Was Erinnern macht - Macht der Erinnerung" und soll sich kritisch mit der historischen Bedeutung sowie der Erinnerungsgeschichte der Erklärung von Barmen auseinandersetzen. Für Freitagabend laden die Veranstalter zu einem Festgottesdienst in die Gemarker Kirche ein, wo die Erklärung am 31. Mai 1934 verabschiedet wurde. Die Predigt hält die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann. Bislang haben sich zu der Tagung mehr als 200 Menschen angemeldet, auch eine digitale Teilnahme ist möglich.

Auch im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika spielte das historische Dokument eine wichtige Rolle, ebenso für die kirchliche Friedensbewegung der 80er Jahre in Europa oder aktuell als Inspiration für die Kirchenasylbewegung. Am historischen Ort in der Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen zeigt seit 2014 eine Dauerausstellung mit rund 700 Exponaten die Geschichte und Wirkung der Erklärung.

Helden der Kirchengeschichte?

"Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen", heißt es in der dritten These der Barmer Erklärung. Sie wurde formuliert zu einer Zeit, als die "Deutschen Christen" auch in der Kirche das NS-Führerprinzip und den Arierparagrafen propagierten, der Juden aus dem Berufsleben ausschloss, und das "jüdische" Alte Testament aus der Bibel streichen wollten.

Zweifelsohne hat die Erklärung der Bekenntnissynode, in seltener Einigkeit von 138 Männern und einer Frau aus lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen aus ganz Deutschland verabschiedet, bis heute Gewicht. Sind die 139 Delegierten von damals also Helden der Kirchengeschichte? "Verkürzungen, die aus der BTE eine Widerstandserklärung gegen Adolf Hitler machen, stimmen so sicher nicht", sagt Kirchenhistorikerin Nicole Kuropka von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Es sei zwar auch ohne "Frontalangriff auf den Führer" mutig gewesen, sich seinerzeit so zu äußern. Die Protagonisten dürften aber nicht verklärt werden.

Nach den Worten des Koblenzer Kirchenhistorikers und Barmen-Forschers Thomas Martin Schneider waren die Barmer Synodalen keine politischen Widerständler, sondern in der Regel deutsch-national. Etliche seien sogar Mitglied der NSDAP gewesen, erklärt der Wissenschaftler. Es sei ihnen allein um die Unabhängigkeit der Kirche gegangen. "Man konnte durchaus politisch mit den Nationalsozialisten sympathisieren und trotzdem sagen: Die Kirche soll Kirche bleiben und darf organisatorisch oder ideologisch nicht gleichgeschaltet werden", erläutert Schneider. Das belegt auch ein Zitat des reformierten Schweizer Theologieprofessors Karl Barth (1886-1968), Hauptautor der Barmer Thesen: "Behüt‘ uns Gott davor, daß das irgend etwas mit Politik, vielleicht mit oppositioneller Politik zu tun haben könnte! Nein!", erinnerte er sich rund 30 Jahre nach der historischen Versammlung an die Stimmung der Synodalen.

Trotzdem habe das Treffen angesichts einer totalitären Ideologie auch eine politische Wirkung gehabt, betont Schneider: In einer Zeit, in der alle "Heil Hitler" gerufen hätten, sei es schon politisch verdächtig und ein bemerkenswertes Bekenntnis, "wenn man stumm bleibt und sagt: 'Heil gebührt nur Jesus Christus'".

Antisemitismus wird nicht erwähnt

Was aus heutiger Sicht jedoch schmerzlich fehlt, ist ein Wort zum Antisemitismus - häufig wird von einer "fehlenden siebten These" gesprochen. "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen", sagte der 1945 hingerichtete Theologe Dietrich Bonhoeffer. Für die Barmer Synode war das 1934 noch kein Thema.

 

Seither hat sich die Haltung der evangelischen Kirche zum Judentum deutlich gewandelt. Sichtbares Zeichen dafür ist ein Grundstück neben der Gemarker Kirche, das der jüdischen Kultusgemeinde von der Evangelischen Kirche im Rheinland überlassen wurde. Seit 2002 steht dort direkt neben der Kirche die Bergische Synagoge - als "sichtbar nachgeholte siebte Barmer These".

In den wissenschaftlichen Vorträgen der Tagung an der Kirchlichen Hochschule wird es unter anderem um die Frage gehen, wie die Synodalen sich zu der Erklärung verhalten haben und inwieweit die Bekennende Kirche als "Gründungsnarrativ der Evangelischen Kirche im Rheinland" gedient hat. Kuropka sprach sich für eine "differenzierte Sicht" auf die Erklärung und ihre Bedeutung aus.