Die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) ist von einem Unbekannten attackiert und dabei leicht verletzt worden. Wie die Polizei in der Nacht mitteilte, wurde Giffey am Dienstagnachmittag in einer Bibliothek im Bezirk Rudow unvermittelt von einem Mann von hinten mit einem Beutel angegriffen, der mit einem harten Inhalt gefüllt war. Die 46-Jährige wurde am Kopf sowie am Nacken getroffen.
Inzwischen ist ein 74-jähriger Mann als Tatverdächtiger vorläufig festgenommen worden. Die Ermittlungen zum Motiv des mutmaßlichen Täters dauerten an, wie die Berliner Staatsanwaltschaft am Mittwochmittag mitteilte. Gegen den Mann lägen bereits polizeiliche Erkenntnisse aus dem Bereich des Staatsschutzes und der Hasskriminalität vor.
Der Beschuldigte sollte noch am Mittwoch einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. Da Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung vorlägen, prüfe die Staatsanwaltschaft die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, hieß es. Zudem sollte dessen bisheriger Aufenthaltsort durchsucht werden. Die Ermittlungen dauerten an.
Giffey begab sich laut Polizei nach dem Angriff kurzzeitig wegen Kopf- und Nackenschmerzen zu einer ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus. "Nach dem ersten Schreck kann ich sagen, es geht mir gut", erklärte Giffey auf dem Internetportal Instagram. Sie setze "unbeirrt" ihre Arbeit fort. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) erklärte im Internetportal X: "Wer Politikerinnen und Politiker angreift, greift unsere Demokratie an. Das werden wir nicht hinnehmen." Der Senat werde "über Konsequenzen, auch über härtere Strafen für Angriffe auf Politiker, beraten".
Am Dienstagabend stellten Polizisten in Dresden eine Frau und einen Mann, nachdem diese eine Politikerin der Grünen beim Aufhängen von Wahlplakaten attackiert hatten. Der 34 Jahre alte Mann habe die 47 Jahre alte Grünen-Politikerin zur Seite gestoßen, zwei Wahlplakate heruntergerissen und sie und ihr Team beleidigt und bedroht. Die 24-Jährige habe die Politikerin bespuckt. Das Duo hielt sich laut Polizei vor der Attacke in einer Gruppe in der Nähe des Tatortes auf, aus der heraus der Hitlergruß gezeigt wurde.
Am Freitag war in Dresden der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke beim Anbringen von Wahlplakaten angegriffen und so schwer verletzt worden, dass er im Krankenhaus operiert werden musste. Die Tat war Anlass für eine Sondersitzung der Innenminister am Dienstagabend.
Innenministerkonferenz verurteilt Angriffe auf politisch Aktive
"Teil einer Unkultur" nannte der Chef dieser Innenministerkonferenz, Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU), die Angriffe auf politisch Aktive. Lüge, Gewalt und Bedrohung drohten "immer stärker Teil einer Unkultur unseres politischen Diskurses zu werden", sagte er. Einhellig appellierte die Konferenz, sich der Verrohung im politischen Diskurs entgegenzustellen - und fordert auch eine Überprüfung der Strafgesetze.
Stübgen betonte, einstimmig habe die Innenministerkonferenz die jüngsten Solidaritätsbekundungen gegen derartige Angriffe begrüßt. In einem zweiseitigen Beschluss heißt es, man rufe dazu auf, "den breiten gesellschaftlich getragenen Konsens zur respektvollen und gewaltfreien Auseinandersetzung im Ringen um politische Lösungen einzufordern und vorzuleben".
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) versprach, über mögliche Strafrechtsänderungen mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zu beraten. Ebenso wie der Sprecher der SPD-geführten Innenministerien, Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD), betonte sie aber auch, es sei notwendig, dass nach Taten schnelle Verfahren und konsequente Strafen folgten.
Faeser kündigte zudem eine Änderung des Melderechts an, um Privatadressen von Kommunalpolitikern besser zu schützen. Sie äußerte sich erneut besorgt über das Ausmaß der Angriffe auf Amts- und Mandatsträger. 2023 gab es nach ihren Angaben fast 3.800 Straftaten gegen Amtsträger. Das seien 13 Prozent mehr als im Jahr zuvor gewesen. Zudem zählten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr 2.710 Straftaten gegen Mandatsträger, ein Anstieg um 53 Prozent gegenüber 2022.
Leipziger Oberbürgermeister: Justiz ist zu "luschig" bei Bedrohungen
Der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) fordert ein entschiedeneres Vorgehen der Justiz bei der Bedrohung von Politikerinnen und Politikern. "Wir sind viel zu lasch, viel zu luschig", sagte Jung am Mittwoch im Deutschlandfunk. Er selbst habe in den vergangenen drei Jahren mehr als 50 Anzeigen wegen Bedrohungen an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. In zwei Fällen sei es zu einer Verurteilung gekommen. Vielfach würden solche Vorfälle als Nachrede abgetan, die zu ertragen sei.
An Beleidigung und Stalking habe man sich fast gewöhnt, die Grenzen der freien Meinungsäußerung müssten neu markiert werden, forderte Jung, der Vizepräsident des Deutschen Städtetages ist. Als bei einer "Pegida"-Demonstration 2015 in Dresden ein Galgen für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "durch die Gegend getragen wurde, hat man zum ersten Mal geschlafen". "Da hätte man Eingreifen müssen", sagte Jung. Ermittlungen in der Sache waren von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
Fehrs: weiterhin friedlich gegen Hass und Hetze
Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch sieht aber auch die Politik in der Verantwortung, in die Demokratie zu investieren. "Umso unverständlicher ist es, dass das bereits im Dezember 2022 im Kabinett beschlossene Demokratiefördergesetz noch immer auf Eis liegt", sagte er und verlangte eine genügende finanzielle Ausstattung von Demokratie-Förderprogrammen.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, forderte, sich von den jüngsten Taten nicht einschüchtern zu lassen. Stattdessen gelte es, weiterhin friedlich gegen Hass und Hetze aufzustehen.
Bischof Stäblein verurteilt Angriff auf Giffey
Der evangelische Berliner Bischof Christian Stäblein hat den Angriff auf Berlins Wirtschaftssenatorin Giffey scharf verurteilt. Der tätliche Angriff sei "absolut unerträglich", erklärte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz am Mittwoch in Berlin. Er sei "geschockt über die Gewalt". Stäblein betonte, "wir müssen leidenschaftlich für unsere Demokratie eintreten. Und die Menschen schützen, die Verantwortung übernehmen."