evangelisch.de: Frau Dr. Schröter, am Domstift in Brandenburg an der Havel läuft zurzeit die Ausstellung "Keine Frau, Nirgends". Wie kamen Sie denn auf dieses Thema?
Marianne Schröter: Als ich im Spätsommer des letzten Jahres mein Amt als Vorständin für Kultur, Bildung und Wissenschaft am Domstift antrat, haben wir im Team des Dommuseums überlegt, welches Thema wir als Jahresthema 2024 entwickeln wollen. Uns wurde schnell deutlich, dass die jahrhundertelange Geschichte des Ortes in den wichtigen Funktionen männlich bestimmt ist. Von der Gründung der Prämonstratenser im Hochmittelalter bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein gab es Chorherren, Domherren, Lehrer und Zöglinge der Ritterakademie. Und so lag es für uns nahe, mal ganz gezielt nach weiblichen Spuren im Domstift, in der Stadt und der Mark Brandenburg zu suchen. Denn selbstverständlich wurden diese Funktionsträger in ihrer Amtsführung begleitet und versorgt, hatten Mütter und Schwestern und als weltliche Domherren auch Frauen und Töchter.
Schon eine erste Prüfung an den Beständen des Domstiftsarchivs und der Domstiftsbibliothek sowie des Museums und des Textilschatzes zeigte eine große Menge an Zeugnissen weiblicher Provenienz und eindrückliche Beispiele weiblichen Kunstschaffens und Mäzenatentums. Und schnell ergaben sich nicht fünf, auch nicht zehn, sondern 50 mögliche Objekte für einen lebendigen, von Frauen inszenierten Kunst- und Kulturtransfer. Es gibt Zeugnisse für weibliche Stiftungen, politisch wichtige Heiratsallianzen, kunstfertiges Handwerk und gesellschaftliches Engagement von Frauen.
Leicht modifiziert und aus der Literatur geborgt haben wir den Titel der Ausstellung. "Keine Frau. Nirgends". Bewusst haben wir auf ein Frage- oder auch Ausrufezeichen hinter dem Titel verzichtet, sondern wollen die Besucher und Besucherinnen einladen, sich selbst auf Spurensuche zu begeben.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Online-Texterin und Marketing-Coach. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Was ist Ihnen als Frau beim Kuratieren dieser Ausstellung besonders aufgefallen?
Schröter: Besonders imponiert hat mir die Fülle der Objekte aus den verschiedenen Bereichen des Domschatzes, die das Thema erzählen. Zusätzlich haben wir von anderen in der Stadt ansässigen Häusern – wie dem Stadtarchiv Brandenburg an der Havel und dem Stadtmuseum Brandenburg – Exponate ausleihen können, die weitere Akzente setzen.
Ich denke, die Ausstellung mit ihren etwa 100 Objekten vermag es, die Spuren weiblicher Aktivitäten über die Jahrhunderte in ganz verschiedenen Bereichen der Gesellschaft aufzudecken und zu präsentieren. Die Zeitspanne, die wir abbilden, reicht vom Hochmittelalter bis in die Gegenwart.
Beim Thema Frauen in der Geschichte fällt einem zum Beispiel der Name Katharina von Bora, der Ehefrau Martin Luthers, ein…
Schröter: Ja, genau! Ich denke, Katharina von Bora ist ein gutes Beispiel für die sich mit der Reformation ändernde gesellschaftliche Rolle der Frau. Luther hatte sie als Alleinerbin und als Vormund für die noch unmündigen Kinder eingesetzt. Das war eine Sensation! Und obwohl er diese Bestimmung schriftlich hinterlassen hatte, musste Katharina nach seinem Tod 1546 ihre Rechte mithilfe von Philipp Melanchthon und anderen Freunden erst einmal durchsetzen.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Frauen im Umfeld der Reformation in die Angelegenheiten ihrer Zeit einschalten und ihre Gesellschaft mitgestalten. So haben wir in der Ausstellung etwa das Zeugnis der Getrud von Saldern, geborene von Hake, die anregt von den Bildungsinitiativen, die von Wittenberg ausgegangen waren, 1589 in der Brandenburger Altstadt eine Lateinschule stiftete und mit Stipendien ausstattete. Die Schule, die Saldrina, bestand über die Jahrhunderte und ist auch heute noch ein städtisches Gymnasium.
Kann es sein, dass Frauen damals regelrecht versteckt wurden und Männer Angst hatten von intelligenten Frauen?
Schröter: Ich glaube, es gab einfach gesellschaftlich klar definierte Rollen, in denen Frauen tätig werden sollten und durften – und das war in erster Linie der häusliche Kreis. Aber schon im Mittelalter hatten Frauen auch hohen politischen Einfluss, man denke an die Äbtissinnen der reichsunmittelbaren Klöster oder an Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen. Diese einflussreichen Positionen wurden allerdings in der Regel mit Schwestern oder Töchtern der Herrscher besetzt.
Es fällt auf, dass ab dem Zeitalter von Pietismus und Aufklärung auch bürgerliche Frauen an Einfluss gewannen. Sie treten als Initiatorinnen sozialer Projekte und als Lehrerinnen in Erscheinung. Mit den Folgen von Urbanisierung und beginnender Industrialisierung verbunden ist dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Engagement von Frauen aller Gesellschaftsschichten für den Kampf gegen Not und Verelendung.
Hochzeitsallianzen sicherten nicht nur den politischen Einfluss
Durch Hochzeitsallianzen schufen Frauen wichtige Kultur- und Kunsttransfers.
Schon immer wichtig waren Frauen als symbolisches Kapital für das Eingehen von Heiraten. Diese Art der Hochzeitsallianzen sicherten politisch wichtigen Einfluss, schufen aber auch Wege eines Kultur- und Kunsttransfers. Die Bräute kamen in der Regel aus anderen Territorien und Herrschaften, aus anderen Kulturkreisen, mit bestimmten Traditionen und brachten dieses Wissen in ihre neue Heimat mit. Oder Brandenburger Prinzessinnen heirateten nach außen und vermittelten ihre kulturelle Herkunft nach dort.
Über 100 Ausstellungstücke gibt es zu sehen. Welches Wirken einer Frau hat Sie am meisten beeindruckt?
Schröter: Sehr beeindruckend finde ich das Engagement von Frauen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Wir haben für diesen Verweiszusammenhang das Schicksal zweier Frauen herausgegriffen. Die Brandenburgerin Getrud Piter, die als Gewerkschafterin und Abgeordnete der KPD schon früh verfolgt und verhaftet wurde, wurde im Oktober 1933 nach Folter und Vergewaltigungen in ihrer Zelle im Konzentrationslager Brandenburg erhängt.
Hildegard Jacoby, die als sogenannte "Halbjüdin" ihre Anstellung verloren hatte und die sich im Dahlemer Helferkreis für verfolgte Juden und Jüdinnen engagierte, wurde 1943 verhaftet und verurteilt und starb 1944 an den Folgen der Haft. Sie hat als einzige Frau Aufnahme in die Gedenkstätte für den christlichen Widerstand in der Krypta des Domes in Brandenburg gefunden.
Die Ausstellung "Keine Frau. Nirgends" ist ein Projekt im Rahmen von "Welten verbinden – Kulturland Brandenburg 2024/2025" und ist bis zum 31. Oktober zu besichtigen. Informationen zu Öffnungszeiten und Ort finden Sie hier.