Letztes Jahr konnte ich einige Zeit an der Missionsakademie in Hamburg verbringen und wurde erneut daran erinnert, wie der Begriff Mission in verschiedenen Kontexten verstanden wird. Als Wissenschaftlerin am Oxford Centre for Mission Studies (OCMS) unterrichte, betreue und begleite ich Doktorand:innen, die sich mit Mission in der heutigen Welt im weitesten Sinne befassen. Einer von ihnen untersucht zum Beispiel den möglichen missionarischen Beitrag christlicher Kunstschaffender in der säkularen US-Gesellschaft. Eine andere untersucht den Verlust von angestammtem Land als Faktor für das veränderte Leben indigener Gemeinschaften in Kambodscha, die mit dem Land auch ihre Tradition verloren haben. Sie erforscht, wie ihre Kraft zur Selbstbefreiung gestärkt werden kann und wie der Glaube, denjenigen die Christ:innen geworden sind, neue Wege dazu bieten kann. Es ist nicht verwunderlich, dass die Frauen unter den OCMS-Kandidat:innen angesichts des patriarchalen Charakters der Mission den Begriff "Mission" kritisieren. Aber sie verwenden den Begriff weiterhin, um genau das tun zu können. Wie kommt es, also dass diejenigen, die im früheren Paradigma von Mission als koloniale Opfer gesehen werden könnten, sich immer noch die Rückeroberung des Begriffs "Mission" vorstellen können und ihn weiterhin verwenden?
Ich stamme aus Mizoram, einem Bundesstaat in Nordost-Indien, und die Geschichte der Kirche dort geht auf die Mission in einem kolonialen Umfeld zurück. In den letzten 40 Jahren haben Theolog:innen das entwickelt, was sie Stammestheologie nennen. Dabei geht es um eine kritische Rekonstruktion, insbesondere der Art und Weise, wie die vorchristliche Vergangenheit aus christlicher Sicht gelesen und dargestellt wird. Es geht auch darum, über die komplexen Beziehungen nachzudenken, die die Autor:innen solcher Versuche, eine Stammestheologie zu formulieren, zwischen dem christlichen Glauben, wie er rezipiert wurde und wie er gegenwärtig gelebt und praktiziert wird, und der Notwendigkeit einer kontextuelleren Zukunft, auf die sie hinarbeiten, herzustellen versuchen. Dies erfordert eine andere Methodik als die der Reproduktion dessen, was aus der Vergangenheit überliefert wurde. Man braucht ein Leitprinzip oder eine Perspektive, um diesen Prozess zu gestalten. Stammestheolog:innen sehen eine solche Perspektive in der befreienden Kraft des Evangeliums, aus einer Gerechtigkeitsperspektive und aus einer theologischen und spirituellen Perspektive.
In Indien wird den Christ:innen vorgeworfen, sie könnten nicht anders, als zu versuchen, andere zu bekehren. Hindu-Nationalist:innen bestehen darauf, dass die Christ:innen ein anderes Ursprungsland haben, und verweisen dabei auf westliche Missionsunternehmungen. Daher wird ihre Anwesenheit in Indien und insbesondere ihre Mission zu einem Angriff auf den nationalen Charakter Indiens erklärt, der für sie nur hinduistisch sein kann. Das Nachdenken über Mission findet hier in einem diskursiven Dreieck statt:
Wir Menschen aus Mizoram müssen uns mit der Geschichte der Mission in unserer Region auseinandersetzen, die Art der von den Kirchen im Nordosten geförderten und praktizierten Mission kritisch hinterfragen, die solche Anschuldigungen schüren kann, und vermeiden, zum Objekt einer politisierten und kulturalisierten Missionstätigkeit zu werden, die darauf abzielt, die Stammesangehörigen gefügig zu machen und sie in eine indische Nationalität aufzulösen, die ihnen fremd ist.
Ich glaube, dass diese doppelte Herausforderung für indigene Christ:innen in Indien – einerseits ein kolonial geprägtes Christentum zu überwinden und andererseits einer kolonialen Ideologie zu widerstehen, die unter dem Deckmantel daherkommt, rückständigen Stämmen zu helfen, sich zu entwickeln und vollständig in die Moderne einzutreten – ihrer Theologie hilft, kritische Werkzeuge zu schmieden, um zwischen zivilisatorischer Mission und christlicher Mission zu unterscheiden.
Nicht nur die westliche Perspektive betrachten
Wenn wir uns heute in der Welt umsehen, sehen wir die Vielfalt der Missionsformen rund um den Globus. Wir sehen kleine Hausgemeinschaften, Missionswerke, von denen viele heute im Globalen Süden angesiedelt sind, und Migrant:innen- oder internationale Gemeinden, die in vielen Regionen missionarisch tätig sind. Wir sehen Ortskirchen, insbesondere im Globalen Süden, deren Existenz und Mission den westlichen Missionsbemühungen vorausgehen. Wir sehen neue unabhängige Missionsbemühungen in vielen Teilen der Weltchristenheit. Dann gibt es zahllose Berichte von Menschen, die zum Glauben an Jesus Christus kommen, die Heilungen und Wunder aller Art erleben und Visionen, Träume und Prophezeiungen haben, die wir dem Wirken des Heiligen Geistes zuschreiben können und nicht dem absichtlichen Missionsversuch von Missionar:innen. Dies zeigt, dass Mission heute überall in vielen Formen stattfindet und darüber hinaus Bewegungen von überall nach überall beinhaltet, wodurch das koloniale Muster einer vermeintlich christlichen und einer nicht-christlichen Welt überwunden wird. Aus theologischer Sicht bin ich nicht mit allem einverstanden, was weltweit unter dem Begriff Mission geschieht. Aber all dies geschieht in einer postkolonialen Welt in sehr unterschiedlichen Konstellationen, und all dies nur aus der westlichen Perspektive der kolonialen Missionsvergangenheit zu betrachten, hieße, einer großen Gruppe von Menschen die Handlungsfähigkeit abzusprechen.
Nach der Betrachtung der verschiedenen Formen, in denen Mission stattfindet, wollen wir uns nun kurz mit der kritischen Reflexion über Mission aus einer postkolonialen Perspektive befassen. Postkoloniale Methoden sind wertvoll und haben neue Ansätze für die Geschichte und die Darstellung der Mission vor dem skizzierten vielfältigen Hintergrund eröffnet. Ein postkolonialer Ansatz kann jedoch der Versuchung unterliegen, die frühere koloniale Trennung zwischen einer christlichen und einer nichtchristlichen Welt durch die Binarität von Mächtigen und Machtlosen zu ersetzen. Dies scheint zu implizieren, dass diejenigen, die als marginalisiert gelten, nur die Möglichkeit haben, durch Nachahmung, subversive Strategien oder Anpassung zu reagieren. Ich möchte hinzufügen, dass viele postkoloniale Ansätze dazu neigen, Religion und Glauben als eine Funktion der Kultur zu betrachten.
Missionskritik ist eine unverzichtbare Aufgabe
Dies kann zur Folge haben, dass lokale Theologien auf den Ausdruck der zugrunde liegenden Machtkämpfe reduziert werden. Infolgedessen werden Stimmen und Akteur:innen entsprechend ihrer Nähe oder Distanz zur angenommenen dominanten Position bewertet, entweder als imitierend, kooperierend oder rebellierend und widerständig. Die Gefahr besteht also darin, dass die Bedeutung jeder Stimme davon abhängt, wie weit es ihr gelungen ist, sich von einer westlichen Dominanz zu distanzieren. Lokale Kulturen werden auf eine abhängige Variante der dominanten Kultur reduziert. Lokale Kirche, Theologie und Mission werden darauf reduziert, eine Variante des westlichen Modells zu sein. Dies kann letztlich verhindern, dass ihre Stimmen gehört werden.
Missionskritik ist eine wichtige und unverzichtbare Aufgabe. Ich glaube, dass die inneren Kräfte der Missionstheologien stark genug sind, um uns in unseren Versuchen voranzutreiben, unsere Theologien, unsere Glaubenspraxis und schließlich eine selbstkritische Reflexion über Mission zu dekolonisieren.
Letztlich scheint mir die entscheidende Frage zu sein, ob die Kritik am Missionsbegriff über eine bestimmte historische Konstellation des Handelns und Denkens der Weitergabe des christlichen Glaubens und seiner Folgen hinausgehen soll. In jedem Fall halte ich es für lohnenswert, auf die Stimmen derjenigen zu hören, die als Opfer einer kolonialen Missionsmentalität gelten und dennoch an ihrem Glauben festhalten, sowie auf ihre theoretischen Überlegungen zur Mission.
Lassen Sie mich mit einer provokanten Frage schließen: Wessen Frage und wessen Problem ist die Verwendung des Begriffs Mission? Man könnte sich fragen, ob die Bestrebungen zur Abschaffung des Begriffs in gewisser Weise als Fortsetzung der Entmündigung gesehen werden können, die die Mission angeblich den Gemeinschaften angetan hat, die verletzlicher sind und weniger Verhandlungsmacht haben.
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