Detlev Zander
epd-bild/mck
Der Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD, Detlev Zander, fand deutliche Worte auf der bayerischen Landessynode.
Betroffener vor Landessynode
"Missbrauchsskandal ist Genickschuss für Kirche"
Die evangelische Landessynode hat sich am Montag mit der ForuM-Missbrauchsstudie auseinandergesetzt. Betroffene forderten bei der Tagung, dass die Kirche mehr tun müsse. Sie wollten daher weiter "nerven" und den Finger in die Wunde legen.

Der Sprecher der Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Detlev Zander, hat die bayerische evangelische Landeskirche mit deutlichen Worten dazu aufgerufen, endlich Verantwortung in der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt zu übernehmen. "Nicht immer sagen: 'Wir werden. Wir sollten. Wir müssen -, sondern einfach machen", sagte der Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt (BeFo) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Montag vor der in Coburg tagenden Landessynode. Die Betroffenen "haben euch so viel gegeben. Jetzt macht was draus", sagte er an die 108 Synodalen gewandt.

"Der Missbrauchsskandal ist ein Genickschuss für die Institution", sagte Zander weiter. Die Aufarbeitung hänge davon ab, "wie ihr mit dem Thema umgeht", ermahnte er die Synode. Konkret forderte er, dass die Beschlüsse der EKD-Synode im Herbst auch in den Landeskirchen und Kirchengemeinen umgesetzt werden. Hier brauche es ein gewisses Durchregieren der EKD. Denn bisher sei sexualisierte Gewalt nach seiner Erfahrung in den meisten Gemeinden kein Thema. Diese Einschätzung teilt auch Karin Krapp, ebenfalls Missbrauchsbetroffene und Mitglied des BeFo. Sexualisierte Gewalt dürfte nicht mehr wegmoderiert werden, betonten beide.

Laut ForuM-Studie seien nachweislich viele Fälle vertuscht und bis in die strafrechtliche Verjährung verschleppt worden, sagte Zander weiter und fragte, inwieweit man hier auch von "Unterlassung" sprechen könne. Die Betroffenen hätten dadurch ein längeres Leid erlebt, außerdem seien dadurch mehr Taten ermöglicht worden. Diese Frage nach Verantwortung müsse diskutiert werden, vor allem auch, wenn es um Anerkennungszahlungen gehe.

"Ich weiß, das Thema nervt. Ich weiß, wir nerven. Ich weiß, der Zander nervt. Aber ich werde weiter nerven." Denn wenn die Betroffenen nicht immer wieder den Finger in die Wunde legen und in die Öffentlichkeit gehen würden, würde nichts geschehen. Zander räumte zugleich ein, dass er sich nach Veröffentlichung der ForuM-Studie über Synodenpräsidentin Annekathrin Preidel und Landesbischof Christian Kopp geärgert habe - vor allem über deren Kommunikation.

Die Präsidentin der bayerischen evangelischen Landessynode, Annekathrin Preidel, spricht bei der Synode der ELKB in Coburg.

Bayerische Landeskirche: 129 beschuldigte Personen

Auch Karin Krapp sagte vor der Synode, dass viele Wortmeldungen nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie - gerade aus Bayern - sie stutzig gemacht hätten. Sie habe das Gefühl gehabt, dass geredet worden sei, bevor überhaupt die Ergebnisse der Studie wahrgenommen wurden. Sie habe gestaunt, dass die in der Studie beschriebenen typischen Abwehrreaktionen auch nach Studien-Veröffentlichung sichtbar geworden seien - nämlich, dass es doch nur um alte Fälle gehe oder die Relativierung, dass die Kirche doch auch viel Gutes tue.

Karin Krapp, Pfarrerin, spricht bei der Synode der ELKB in Coburg.

Ende Januar hatte ein Forscher-Team seine ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie vorgestellt. Darin ist von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede. Die Forscher gehen aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Die bayerische Landeskirche hatte 129 beschuldigte Personen für den Zeitraum 1917 bis 2020 für die Studie identifiziert.

Laut der Leiterin der Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der bayerischen Landeskirche, Martina Frohmader, haben sich im vergangenen Jahr 32 Menschen an die Fachstelle gewandt. In den ersten drei Monaten des Jahres 2024 seien es bereits 20 gewesen.

Landesbischof Kopp und Synodenpräsidentin Preidel hatten in ihren Berichten am Montag einen Schwerpunkt auf das Thema sexualisierte Gewalt gelegt und betont, dass diese im Raum der Kirche keinen Platz haben dürfe. Preidel kündigte an, dass die Synode das 2020 verabschiedete Präventionsgesetz im Licht der Ergebnisse der ForuM-Studie überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten werde.

Kopp sagte, dass die Kirche ihren Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt überprüfen müsse. Es gelte, die betroffenen Personen zu hören. Statt einer Kultur des Wegsehens brauche es eine Kultur des Hinsehens. Zugleich müssten Betroffene ermutigt werden, ins Reden zu kommen. Es brauche daher eine zentrale unabhängige Ansprechstelle oder Ombudsstelle für betroffene Personen auf bundesweiter Ebene.

Kopp: Kirchenkreise München und Augsburg zusammenlegen

Die bayerische Landeskirche steht laut Landesbischof Kopp vor großen Struktur-Veränderungen. "Wir werden eine schlankere Kirche sein", dazu brauche es aber auch schlankere Strukturen, sagte Kopp in seinem Bericht vor der Landessynode. Der Landeskirchenrat schlage daher vor, dass bis zum Jahr 2030 die Zahl der Abteilungen im Landeskirchenamt und die Zahl der Kirchenkreise reduziert werden: von jeweils sechs auf vier. Damit soll bereits dieses Jahr begonnen werden.

Konkret sollen laut Kopp die bisherigen Kirchenkreise München und Augsburg zusammengelegt werden. Ausnahme: Die Donauries-Dekanate sollen zum Kirchenkreis Regensburg dazukommen. Darüber werde nun in der Vorbereitung auf die Herbsttagung der Landessynode vor allem im Organisationsausschuss nachgedacht. "Wir werden gemeinsam um die Strategie ringen. Denn wir werden es nur gemeinsam schaffen. Aber Ringen macht schlank. Ringen macht fit, auch unsere Kirche", sagte Kopp.

Landesbischof: Corona-Zeit aufarbeiten

Zugleich plädierte Kopp für eine gründliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Der Gesellschaft insgesamt würde das guttun, für die Landeskirche wolle er das noch in diesem Jahr anstoßen. Er denke an einen runden Tisch. Kirche und Diakonie hätten in der Pandemie viel Gutes bewirkt. Trotzdem müsse man anschauen, "wo wir übervorsichtig, überreguliert, überbürokratisiert vorgegangen sind". Er denke dabei an die Regelungen zu Gottesdiensten, die Situation der Pflegeheime und Krankenhäuser sowie die Werkstätten für Menschen mit Behinderung: "Wo waren wir näher an politischen Vorgaben als an den Menschen interessiert?"

Warnung vor zunehmendem Nationalismus

Außerdem warb Kopp für die Europawahlen, die in Deutschland am 9. Juni stattfinden, und warnte vor einem zunehmenden Nationalismus. "Wir müssen alles dafür tun, dass die Europäische Union weiter den Frieden sichert und Kompromisse ausarbeitet." Etliche Probleme machten nicht an der Grenze des Nationalstaats Halt. Für den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine und die Migration brauche es europäische Lösungen.

Parteien mit nationalistischen und rechtsextremistischen Positionen könnten von Christen nicht gewählt werden, sagte Kopp. Mitglieder solcher Parteien könnten auch nicht in den Kirchenvorständen mitarbeiten, sagte er mit Blick auf die im Herbst stattfindende Kirchenvorstandswahl in Bayern. "Messen Sie Kandidierende an dem christlichen Gedanken der Gerechtigkeit und des Respekts vor jedem Leben", mahnte Kopp. Am 19. Mai soll der vorläufige Wahlvorschlag - also die Liste der Kandidierenden - bekannt gegeben werden.